19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.06.07 / Flickwerk Europa / Neuer Ärger droht: Verfassungsreform durch die Hintertür?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Flickwerk Europa
Neuer Ärger droht: Verfassungsreform durch die Hintertür?
von Klaus D. Voss

Das wichtigste Ziel des Brüsseler EU-Gipfels wurde so weit verfehlt, daß kaum noch jemand darauf verweisen mochte. Zur Erinnerung: Die Europäische Union sollte für die Bürger transparenter und in den Entscheidungsprozessen demokratisiert werden, mit dem Ziel, neue Begeisterung für die EU zu wecken. Doch die Europa-Stimmung verharrt am unteren Ende der Skala - und neuer Ärger um die Grundrechte-Charta steht an.

Auch die Reform der EU-Institutionen bleibt Flickwerk. Bei der entscheidend wichtigen Frage, wie handlungsfähig die auf 27 Mitglieder angewachsene Gemeinschaft sein kann, ist die Antwort auf das Jahr 2017 vertagt worden. Bis dahin hat in allen Streitfällen jedes Land ungeachtet seiner Größe nur eine Stimme, dafür faktisch ein Vetorecht. Erst in zehn Jahren soll das Prinzip der doppelten Mehrheit gelten - die Abstimmungen müssen dann von mindestens 55 Prozent der Staaten getragen werden, die auch 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

Ob es soweit kommen wird, ist noch nicht gesichert. Das Ziel, Europa eine Verfassung zu geben, war gescheitert, jetzt soll ein Reformvertrag die neue Geschäftsordnung bilden. Mit dem Übergang der Ratspräsidentschaft von Deutschland an Portugal wird ein Regierungskonvent einberufen, der die kritischen Punkte abhandeln muß. Allerdings rechnen EU-Realisten mit Störmanövern einzelner Staaten - wie zuletzt Polen. Warschau hatte eine Stimmengewichtung zum Nachteil Deutschlands durchsetzen wollen, aber nur die Verschiebung auf das Jahr 2017 zugesprochen bekommen.

Streitpunkte bleiben, die Verkleinerung der EU-Kommission auf 15 Kommissare ist heikel. Der neue EU-Präsident mit einer Amtszeit von mindestens 30 (statt jetzt sechs) Monaten soll für mehr Kontinuität sorgen; diese Aufgabe wird allerdings auf den Wirkungsbereich eines Generalsekretärs beschränkt. Gedacht war ursprünglich, einen EU-Außenminister zu berufen, doch die Außenpolitik bleibt in der Souveränität der Einzelstaaten. Jetzt wird der Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik in erster Linie Chef des diplomatischen Dienstes der EU sein; die Aufgabenstellung dieser neu zu schaffenden Brüsseler Behörde ist noch nicht klar umrissen.

Staatsrechtlich und politisch besonders problematisch ist das Kapitel Grundrechte. Eigentlich sollten die Grundwerte in der Verfassung verankert sein, jetzt wird der Reformvertrag mit einem Querverweis die im Jahr 2000 lediglich von den Staats- und Regierungschef proklamierte Charta der Grundrechte in Kraft setzen - und sie damit über die nationalen Verfassungen erheben. Dieser Umweg, eine Charta mit Verfassungscharakter quasi auf dem Verwaltungsweg zu stiften, ist in der Demokratie-Geschichte ohne Beispiel.

Wie viele EU-Staaten dem Beispiel Großbritanniens folgen werden und die Option zum Charta-Ausstieg nutzen, ist noch offen. Die Grundrechte-Charta greift weit in nationale Souveränität ein, zum Beispiel wird das Recht auf Strafverfolgung einzelner Länder eingeschränkt. Die Charta rückt die Staaten uneingeschränkt unter die Rechtsgewalt des Europäischen Gerichtshofs - auch in historisch heiklen Fragen. Artikel 17 der Charta garantiert zum Beispiel das Recht auf Eigentum oder Entschädigung bei Enteignung. Völlig unklar ist, ob sich etwa Polen dieser ewigen Streitfrage stellen oder die Charta ablehnen wird.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren