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30.06.07 / Gibt es die Liebe auf den ersten Blick? / Hormone und uralte Verhaltensmuster bestimmen den Weg ins gemeinsame Glück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Gibt es die Liebe auf den ersten Blick?
Hormone und uralte Verhaltensmuster bestimmen den Weg ins gemeinsame Glück
von Corinna Weinert

Es passiert völlig unerwartet, ohne Vorwarnung. Von einem auf den anderen Augenblick - auf den ersten Blick eben: Man spürt das berühmt-berüchtigte Kribbeln im Bauch, fühlt sich magisch zu einem Menschen hingezogen, den man nie zuvor gesehen hat. 92 Prozent der Deutschen glauben daran, und 54 Prozent wollen es sogar schon einmal erlebt haben: "Liebe auf den ersten Blick". Damit nehmen wir im internationalen Vergleich einen guten Mittelplatz ein, zwischen dem Spitzenreiter Mexiko mit 71 Prozent und dem Schlußlicht USA mit dürftigen 27 Prozent.

Aber was heißt eigentlich "Liebe auf den ersten Blick"? Die Bezeichnung ist etwas irreführend, wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß wahre Liebe ein tiefes Gefühl ist, das nicht über Nacht entsteht, sondern zwischen zwei Menschen langsam wächst. Nach dieser Auffassung kann es Liebe auf den ersten Blick nicht geben, wohl aber ein heftiges Verliebtsein, das uns mit prickelnden Schauern überrollt und gewissermaßen in einen Rauschzustand versetzt.

Wenn man "Liebe auf den ersten Blick" auf diese Weise definiert, dann gibt es sie tatsächlich. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, daß jeder die "Liebe auf den ersten Blick" wieder etwas anders erlebt und interpretiert. So fallen hierunter höchst unterschiedliche Dinge wie beispielsweise rein körperliches Begehren oder die Faszination durch das gewisse Etwas einer fremden Person.

Die Wissenschaft stützt die Theorie vom Ruck-Zuck-Verlieben. Zumindest indirekt. Beziehungsforscher haben herausgefunden, daß bereits die ersten Sekunden - genau genommen sogar Millisekunden - beim Kennenlernen über das Urteil "anziehend" beziehungsweise "nicht anziehend" entscheiden. Um das Für und Wider einer Persönlichkeit abzuwägen, brauchen wir Monate, um uns zu Verlieben aber nur einen kurzen Augenblick. Verhaltensforscher bewiesen unlängst in einem Experiment: Drei Minuten reichen, um zu wissen, was man von dem anderen will. Nur, unsere Vernunft hat damit ausgesprochen wenig zu tun. "Ob wir jemanden mögen oder nicht, entscheidet unser Gehirn, ohne daß wir davon etwas mitbekommen", erklärt Prof. Dr. Karl Grammer, "Wir merken nur das Ergebnis." Und das ist ein gutes oder schlechtes Gefühl, das wir bei jemandem haben.

Der versteckte Teil unseres Gehirns, der zu dieser Entscheidung kommt, nennt sich "das adaptive Unbewußte". "Das adaptive Unbewußte ist eine Art gigantischer Computer, der schnell und unbemerkt riesige Datenmengen - also ankommende Informationen - bewältigt. Er filtert alle wichtigen Signale heraus, da wir kognitiv gar nicht alle Reize, die ständig auf uns einprasseln, verarbeiten könnten.

Was aber löst die "Liebe auf den ersten Blick" aus, und welchen Sinn hat sie? Psychologen behaupten, daß die von der Blitzliebe Ereilten sie bereits sehnsüchtig erwartet haben und demzufolge innerlich auf sie vorbereitet waren. Angeblich bündeln die Betroffenen alle Hoffnungen und Wünsche auf das unbekannte Wesen, das ihnen nur gerade zufällig über den Weg gelaufen ist.

Auch den Ursprung dieses Phänomens glaubt man entschlüsselt zu wissen: Ganz am Anfang der Menschheitsgeschichte mußten die paarungswilligen Damen und Herren in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob der Kandidat vor ihnen als "Beschützer und Ernährer" beziehungsweise als "Muttertier" geeignet ist. Die rasche Urteilsfähigkeit bricht heute bei den "kultivierten" Menschen eben in der "Liebe auf den ersten Blick" gelegentlich wieder hervor. Das Ganze läuft dann in etwa so ab: Bei der ersten Begegnung treffen sich die Blicke. Unbemerkt werden gegenseitig die Gesichter gescannt. Hat die Frau volle Lippen, feine Augenbrauen, einen schmalen Kiefer? Für seine geheime Schaltzentrale sind das Merkmale, die auf das Vorhandensein von Östrogen, dem wichtigsten weiblichen Geschlechtshormon, hindeuten. Die Schlußfolgerung: Sie ist wahrscheinlich fruchtbar. Sendung an das Bewußtsein: Die Frau ist toll. Hat der Mann einen breiten Kiefer und kräftige Knochen unter den Augenbrauen? Für ihre geheime Schaltzentrale sind das Merkmale, die auf einen hohen Gehalt an Testosteron, dem wichtigsten männlichen Geschlechtshormon, hindeuten. Die Schlußfolgerung: Guter genetischer Vater, weil er an seine Kinder Gene weitergeben wird, die sie durchsetzungsfähig machen. Aber er ist nicht so fürsorglich. Und vielleicht buttert er mich unter. Sendung an das Bewußtsein: Jein.

Kommen sich die beiden näher, übernehmen Sexualbotenstoffe die Regie. Durch sie scheinen auf geheimnisvolle Weise Informationen über unser Immunsystem transportiert zu werden, denn irgendwie mögen wir den Geruch von Menschen, deren Abwehrkräfte sich von unseren unterscheiden.

Die biologische Begründung hat wieder den Vorteil der Kinder im Blick, denn ihr molekulares Waffenarsenal wird eine Mixtur aus dem der Eltern sein. Je stärker sich also das Immunsystem von Mutter und Vater unterscheidet, desto breiter ist das Spektrum der Kinder und desto besser ist der Schutz vor Krankheiten. Unser Unbewußtes leitet wieder nur die Kurzform weiter. Statt "sie riecht nach gutem Immunsystem, unsere Kinder werden wenig Schnupfen haben" nur "klasse Frau". Wenn wir jemanden "nicht riechen können", dann bedeutet das meistens, daß er uns genetisch zu ähnlich ist, was sich auf potentielle Nachkommen ungünstig auswirkt.

Ähnlich verarbeiten wir eine Fülle anderer Signale wie beispielsweise Körperform und Mimik. "Das Ganze muß ein System sein, das wenig Raum für Betrug läßt", erklärt Grammer. Es ist ein lebenswichtiger Lügendetektor, der uns vor einem Reinfall bewahren soll. Aber woher weiß unser Unbewußtes das alles? Grammer vermutet, daß wir einen Teil der Informationen bereits in die Wiege gelegt bekommen. "Ich glaube, daß da auch unsere Gene mitspielen, wir müssen zumindest Tendenzen beziehungsweise Vorlieben vererbt bekommen."

Manchmal läßt sich unser Gehirn indes doch täuschen. Denn erstaunlicherweise ist es nicht nur wichtig, wen man kennenlernt, sondern auch, wo es passiert. Je spannender eine Umgebung ist, desto besser stehen die Chancen, sich zu vergucken. Das liegt wahrscheinlich an einem Denkfehler, den unser Unterbewußtes macht: Wenn die Situation so aufregend ist wie etwa eine Achterbahnfahrt, nach der die Beine zittern, muß das Gehirn sich einen Reim darauf machen. Trifft man etwa in dieser Situation einen potentiellen Partner beziehungsweise eine potentielle Partnerin, hat das Gehirn zwei Möglichkeiten, die wackligen Knie zuzuordnen: Der Fahrt oder der Person. Und oft fällt die Entscheidung dann zugunsten des Gegenübers aus.

Man kann der "Liebe auf den ersten Blick" also ein bißchen auf die Sprünge helfen ...

Foto: Verliebt: Kann sie ihn becircen?


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