23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.06.07 / Eine Frage des Alters / Traum und Wirklichkeit liegen oft weit auseinander - besonders in der Phantasie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-07 vom 30. Juni 2007

Eine Frage des Alters
Traum und Wirklichkeit liegen oft weit auseinander - besonders in der Phantasie
von Renate Dopatka

Der Ort gefiel ihm. Ja, hier ließ es sich schon aushalten, zumindest dann, wenn man alt und ruhebedürftig war und vom Leben nichts mehr zu erwarten hatte. Ihn selbst bekämen sicher keine zehn Pferde in dieses Kaff, doch seiner Schwiegermutter würde die ländliche Atmosphäre des kleinen Kurortes bestimmt zusagen. Auf der Suche nach einem Heimplatz für sie war ihm der Prospekt einer erst kürzlich fertiggestellten privaten Seniorenresidenz in die Hände gefallen: "Ganz nett, nicht wahr?" hatte er seiner Frau zugelächelt. "Sobald ich mir etwas Luft verschaffen kann, fahre ich hin und seh' mir das Ganze an."

Und so hatte er den Sonnabend nachmittag, der eigentlich fürs Tennismatch reserviert war, kurzfristig der guten Sache geopfert und war zur Besichtigung gestartet. Allein, da seine Frau die kränkelnde Mutter nicht der Obhut des Hauspersonals überlassen wollte. In letzter Zeit nahm die Gebrechlichkeit der alten Dame immer mehr zu, so daß sich auch die täglich nach dem Rechten sehende Pflegerin allmählich überfordert fühlte. Nun, wenn alles klappte, konnte er dieses Problem bald zu den Akten legen und sich wieder angenehmeren Dingen zuwenden.

Obwohl der Wind jetzt stark auffrischte, dachte er nicht daran, das Verdeck seines Cabrios hochzufahren. Er genoß es, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu lenken, speziell die der Frauen. Mit seiner vom Fahrtwind zerzausten Silbermähne, dem teuren Sakko und den vielen Lachfältchen im gebräunten Gesicht fühlte er sich jedem Jüngling überlegen. Ein etwas geringschätziges Lächeln spielte um seinen Mund, während er die dichtbewaldeten Berghänge betrachtete, die nur hie und da ein wenig hellen Fels durchschimmern ließen. Als Gebirge konnte man diese Buckelzwerge wohl kaum bezeichnen. Immerhin - für einen alten Menschen mochte es durchaus von Vorteil sein, wenn er beim Blick aus dem Fenster nicht durch das Panorama gewaltig aufragender Dreitausender erschreckt wurde, sondern sich am sanften Grün harmloser Bergwäldchen erfreuen konnte.

Selbstgefällig dachte er an seine letzte Klettertour zurück. Ohne seine Frau, die für Unternehmungen dieser Art nichts übrig hatte, war er mit einigen guten Freunden, zu denen auch Sibylle, eine junge Anwaltskollegin, gehörte, zur Zugspitze hochgekraxelt. Es war kein leichtes Unterfangen gewesen, zumal sie sich für die schwierigste aller Routen, den Weg durchs Höllental, entschieden hatten. Schwindlig und ziemlich außer Atem erreichte er den Gipfel. Diese plötzliche Unpäßlichkeit hatte ihn schon ein wenig beunruhigt, doch Sibylle wußte seine Sorgen zu zerstreuen: "Du warst doch tadellos in Form", hatte sie ihm versichert. "Daß dir ein wenig schwindlig ist, liegt sicher am Föhn." Die Logik dieser Worte und die offenkundige Bewunderung in ihren Augen hatten ihn schnell wieder vergessen lassen, daß er ja schon ein Mann in den Sechzigern war ... In jüngster Zeit beschäftigte sich seine Phantasie immer öfter mit Sibylle. Sie war jung, schön, erfolgreich und genau sein Typ. Seine diskreten Annäherungsversuche hatte sie bislang nie zurückgewiesen.

Zu seiner Rechten zog sich jetzt das parkähnliche Gelände der Seniorenresidenz hin. Noch während er nach einem Parkplatz suchte, reifte in ihm der Entschluß, alles auf eine Karte zu setzen. Das Gespräch mit der Heimleiterin würde sicher nicht allzu lange dauern. Ihm blieb also noch Zeit. Zeit, um Sibylle auf dem Rückweg einen Besuch abzustatten. Ein Vorwand würde sich schon finden lassen. Schließlich waren sie nicht nur Berufskollegen und Tennispartner, sondern auch Duzfreunde ...

Er sah auf die Uhr. Es erschien ihm sinnvoll, erst einmal eine Kleinigkeit zu essen, bevor er zur Besichtigung schritt. In unmittelbarer Nähe der Residenz entdeckte er einen schmucken Landgasthof, der ganz den Eindruck erweckte, als hielte er auch Speisen für den verwöhnten Gaumen bereit. Gutgelaunt ließ er sich Minuten später vom Serviermädel die Karte zeigen. Die Kleine war recht hübsch, mit ernsthaften Augen und schlicht nach hinten geknotetem Haar. Es machte ihm Spaß, während der Bestellung ein wenig mit ihr zu plaudern. Da es ganz aufschlußreich war, zu hören, wie die Einheimischen über das neuerrichtete Pflegeheim dachten, versuchte er geschickt, Informationen einzuholen. Ob es denn sehr schwer sei, dort einen Platz zu bekommen? Eine Frage, deren Bejahung ein sicheres Zeichen für die Beliebtheit und den guten Ruf der Anlage gewesen wäre. Ja, das Haus werde sehr gut angenommen, gab das Mädchen bereitwillig Auskunft. Mittlerweile sei fast alles belegt, nur einige der größeren Zimmer stünden noch leer. Ein bisserl teuer sei es halt schon, aber dafür sehr komfortabeI.

Ihre dunklen Augen musterten ihn nachdenklich: "Ich glaub schon, daß Sie sich da recht wohl fühlen werden." Ein wenig zögerlich, da sie seine plötzliche Erstarrung bemerkte, nahm sie die Getränkekarte an sich. "Wenn's recht ist, bring ich Ihnen jetzt Ihren Wein." "Ja, ja, schon gut", murmelte er vor sich hin, während seine Finger nervös mit der Serviette spielten. Wie viele Jahre Unterschied mochten zwischen Sibylle und diesem Mädchen bestehen? Zehn, zwölf Jahre? Auf jeden Fall gehörten sie der gleichen Generation an, einer Generation, die aller Toleranz und Modernität zum Trotz klare Grenzen zu ziehen vermochte. Grenzen zwischen Alt und Jung. Er wußte nicht, was das Gespräch mit der Heimleiterin ergeben würde. Aber er wußte schon jetzt, daß er danach direkt nach Hause fahren würde. Ohne jeden Umweg ...


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren