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07.07.07 / Ingenieur frei Haus / OECD mahnt Anwerbung von Fachkräften an - Wirtschaft dringt auf diesen bequemen Weg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-07 vom 07. Juli 2007

Ingenieur frei Haus
OECD mahnt Anwerbung von Fachkräften an - Wirtschaft dringt auf diesen bequemen Weg
von Rebecca Bellano

In den vergangenen zwei Wochen war die SPD für eine Überraschung gut: Sie sprach sich eisern gegen Zuwanderung aus. Der Grund für diese Kehrtwende war eine Studie der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung" (OECD), die Deutschland vor einem Fachkräftemangel warnt. Da Deutschland neben Japan und Italien das einzige Industrieland der OECD ist, in dem die Erwerbsbevölkerung aufgrund der demographischen Entwicklung jetzt schon schrumpfe, müsse das Land durch Zuwanderung seinen Arbeitskräftebestand sichern. Der Präsident der Bundes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, forderte daraufhin sofort mehr Zuwanderung, schon jetzt würde ein Fachkräftemangel das Wachstum bremsen.

Bundesbildungsministern Anette Schavan (CDU), von den Warnungen der OECD offenbar kalt überrascht, meinte zaghaft, man könnte ja die Zuwanderung erleichtern. Doch schon schoß die SPD zurück. "Die SPD wird keinen Weg gehen, bei dem Bildung und Weiterbildung hier im Land vernachlässigt wird und dann gleichzeitig der Bedarf an Fachkräften durch Zuwanderung gedeckt wird", so deren Generalsekretär Hubertus Heil.

Doch herrscht in Deutschland überhaupt Fachkräftemangel? Rudolf Schilling, Vizepräsident der Technischen Universität München, bestätigt zwar, daß gerade Ingenieure händeringend gesucht werden, aber dies bedeute nicht gleich, daß nun Personal aus dem Ausland herangeholt werden müsse. "Die Industrie versteht es nicht gut genug, Leute durch Weiterbildung einzugliedern", beklagt er das hausgemachte Problem. Es gäbe noch Zehntausende arbeitslose Ingenieure auf dem Arbeitsmarkt und es sei durchaus nicht negativ, daß es sich hier um ältere Personen handle, denn gerade ihre Erfahrungen könnten zusammen mit dem aktuellen Wissen der Universitäts-absolventen beste Ergebnisse erzielen. Außerdem sei die Wirtschaft Schuld daran, daß sich ihr Fachkräftebedarf jetzt konzentriere, schließlich hätte sie in den mageren Jahren nicht an die Zukunft gedacht, kaum neues Personal eingestellt, bestehendes entlassen. Das wiederum zur Folge habe, daß auch weniger junge Menschen den Schritt in diese Berufssparte gewagt hätten. 1988 hatte die Technische Universität München 1000 Studienanfänger im Bereich Ingenieurswesen, 1996 waren es nur noch 270. Auch die Technische Universität in Hamburg meldet vor allem für die Luftfahrtbranche: "Hier werden händeringend Ingenieure gesucht, was unter anderem dazu führt, daß es zu personellen Engpässen in der Forschung kommt. Die Industrie zahlt besser."

Und tatsächlich ist die Bezahlung neben dem bereits genannten Mangel an Weiterbildung des vorhandenen Personals ein weiterer Grund, warum es in Deutschland überhaupt zu Engpässen kommt. "Ich bestreite nicht, daß wir einen Fachkräftemangel haben. Ich glaube aber, daß die Gründe, daß deutsche Facharbeiter ins Ausland gehen, dieselben sind, aus denen so wenige herkommen. Es liegt nicht am Zuwanderungsrecht - sondern zum Beispiel an der Bezahlung", meint der Unionsabgeordnete Reinhard Grindel. Und tatsächlich ist es nicht neu, daß deutsche Fachkräfte in den letzten Jahren vor allem in die USA und nach Kanada gegangen sind, weil sie dort besser verdienen, während sie in Deutschland gar keinen oder nur einen schlecht bezahlten Job angeboten bekamen. 155000 überwiegend gut ausgebildete Deutsche haben das Land 2006 verlassen. Da wäre es durchaus sinnvoller, die eigenen Leute, die die Sprache und Umgangsformen im Land einwandfrei beherrschen, zurückzuholen, als sich erneut Menschen aus anderen Kulturkreisen dazuzuholen. Denn - das erwähnt auch die OECD-Studie - Deutschland hat schon genügend damit zu tun, die bereits hier lebenden ausländischen Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.

Außerdem, so Rudolf Schilling gegenüber der PAZ, überspringen immer mehr Hochqualifizierte aus Rußland und Osteuropa Deutschland und gehen gleich in die USA, da die Einstieggehälter dort deutlich über den in Deutschland üblichen 40000 Euro Jahresbrutto liegen.

Letztendlich sind die von der OECD angesprochenen Probleme allesamt nicht neu, aber Politik und Wirtschaft ziehen daraus kaum Schlüsse. Und so mancher Schulabgänger und Berufsanfänger fragt sich, warum man ihm keine Chance gibt. Städte und Gemeinden, aber auch Versicherungen, Banken und Großkonzerne neigen seit Jahren dazu, ihren ausgebildeten Nachwuchs mit Halbtagsstellen oder Jahresverträgen abzuspeisen. So etwas wie einen Karriereplan, in dem die jungen Leute aller Bildungsniveaus - vom Hauptschulabschluß bis hin zum abgeschlossenen Studium - zugesagt bekommen, wann sie welche, für die Firma kostenintensive Fortbildung machen, gibt es bei diesen Arbeitskräften auf Zeit nicht.

Der derzeitige Mangel an Ingenieuren ist also nur ein Vorspiel für noch einen größeren Mangel an Fachpersonal - doch dann in fast allen Bereichen. Da Politiker und Vorstände immer nur für einige Jahre im Amt sind, denkt allerdings kaum einer an Nachhaltigkeit. So wird, obwohl die demographische Entwicklung lange bekannt ist und viele Konzerne mit älterem Personal durchaus wissen, daß in vier, fünf Jahren ganze Abteilungsstärken in Rente gehen, das Heranziehen eines eigenen Nachwuchses zu Lasten aller unterlassen. Bald wird nicht nur Verbandschef Jürgen Thumann nach Fachpersonal aus dem Ausland rufen und versuchen, der Politik die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Foto: International als Spezialisten gefragt: Indischer Physiker überprüft eine Maschine.


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