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07.07.07 / "Da hilft kein Beten, da hilft bloß Mist" / Haßgefühle und Selbstmitleid schaden nur der eigenen Seele - Hildegard Rauschenbach über den Umgang mit dem Erlebtem

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-07 vom 07. Juli 2007

"Da hilft kein Beten, da hilft bloß Mist"
Haßgefühle und Selbstmitleid schaden nur der eigenen Seele - Hildegard Rauschenbach über den Umgang mit dem Erlebtem
von H. Rauschenbach

Vor ein paar Tagen besuchte mich eine Diplom-Pädagogin, die an der Dortmunder Universität Rehabilitierungswissenschaft studiert hatte und zur Zeit an ihrer Dissertation arbeitet. Sie hatte mein Buch "Von Pillkallen nach Schadrinsk" gelesen und um ein persönliches Gespräch gebeten. Schon mehrfach hatten mich Studenten aufgesucht, die aber immer an ausländischen Universitäten studierten - wie der Oxford und Harvard Universität - und sich für das Schicksal der damals verschleppten Frauen interessierten.

Ariane - so hieß sie - hatte sich schon während ihres Studiums mit Fragen beschäftigt, wie die Frauen und Mädchen bei Ende des Zweiten Weltkriegs das Trauma sexueller Gewalt verkraftet hatten. Daß diese nie eine psychologische Betreuung erfahren hatten, wußte sie. Interessant war dabei für mich, von ihr zu erfahren, daß diese Frauen alles besser bewältigt hatten als die heute davon Betroffenen. Zu diesem Ergebnis führten jedenfalls Forschungen der Organisation "Media Mondiale" in Köln, die heute durch Gewalt traumatisierte Frauen betreut und unterstützt.

Ariane wollte wissen, was ich zu diesem Thema sagen könne. Da brauchte ich nicht lange zu überlegen, denn schon des öfteren wurde ich nach meinen Lesungen und Vorträgen gefragt: "Wie hat sich die Gefangenschaft auf Ihr weiteres Leben ausgewirkt?" oder "Was hat Ihnen die Kraft gegeben?" Ja, junge Mädchen standen vor mir, mich fast ehrfurchtsvoll anschauend, und sagten: "Sind Sie eine starke Frau!" Ich muß wohl stark gewesen sein. Ich erinnere mich auch, daß ich nie Selbstmitleid gehabt habe oder gar Haßgefühle; beides richtet nur Schaden an der eigenen Seele an. Was aber hat mir Kraft und Stärke gegeben? - Erbeten habe ich sie wissentlich nicht. Ein ostpreußisches Sprichwort sagt: "Da hilft kein Beten, da hilft bloß Mist."

Vielleicht war es der Mist, den ich einst aufs Feld gestreut habe, der dem Acker die Kraft gab und dessen Frucht ich aß? Oder war es der Stallgeruch und der alltägliche Kontakt mit den Tieren unseres Hofes, die ich schon als Kind so gern umsorgte, sie streichelte und mit Hund und Katz schmuste? Und schließlich waren da um mich Oma und Opa, Mama und Papa, Tante Auguste und meine älteren Brüder Werner und Alfred, die mit mir spielten und geduldig meine Wißbegierde befriedigten. Um mich war Liebe. Ich war ein fröhliches Kind, voller Übermut und Phantasie, Langeweile war mir fremd, zumal ich schon sehr früh, wie alle Landkinder, in kleine Pflichten eingebunden wurde. Und wie könnte ich die nahe fließende Szeszuppe vergessen, das geheimnisvolle Hochmoor "Kacksche Balis", die Poggenteiche und Roßgärten, oder das Barfußlaufen im morgendlichen taufrischen Gras. Es war mein Kindheitsparadies, das mir wohl das Rüstzeug fürs Leben gab und ein Fundament schuf, in dem eine reichliche Portion Optimismus einzementiert gewesen sein muß. Was mir wohl letztendlich die Kraft verlieh, all die Qualen bei Kriegsende und die dreieinhalb Jahre schwerste Zwangsarbeit in Sibirien zu überstehen.

Ist es vielleicht dieses Fundament, das einem Großteil unserer Nachkommen heute fehlt, und ist sie deshalb großen Belastungen nicht gewachsen? Wen wundert es da, daß in unserer modernen und vom Computer gesteuerten Welt die Heranwachsenden nach einem Halt suchen, ihn nicht finden und im Drogen- oder Alkoholrausch enden. Sollte es uns nicht nachdenklich machen, daß ein kleiner Eisbär weltweit die Herzen von Millionen Menschen zu bewegen vermag und Zoobesucher mit ihren Kindern stundenlang anstehen, um sich an seinem Spiel- und Kuschelbedürfnis mit dem menschlichen "Ziehvater" zu erfreuen? Und da ist wohl kein Kind dabei, das nicht selbst gern mit dem kleinen Raubtier kuscheln würde. Wie tröstlich zu wissen, daß die heutzutage in fast all unsere Lebensbereiche dringende Technik noch Raum für Gefühle läßt; wie hier offensichtlich den Wunsch nach Wärme und Zärtlichkeit.

Zurückkommend auf das am Anfang genannte Ergebnis von "Medica Mondiale", das durch Befragung von Zeitzeugen gewonnen wurde, muß ich an die chaotischen Zustände bei Kriegsende erinnern. Millionen von Flüchtlingen überfluteten unser geschundenes Land, suchten nach einer Bleibe, nach Nahrung. Mütter bangten um das Leben ihrer Kinder, in den östlich der Elbe liegenden Gegenden mußten Frauen und Mädchen noch immer die sowjetische Soldateska fürchten, und die Zukunft sahen alle als eine graue undurchdringliche Wand vor sich. Hier mußte man stark sein! Für Jammern und Grübeln über erlittene Qualen oder gar Selbstmitleid war kein Platz im täglichen Lebenskampf. So wurde alles verdrängt und verschwiegen. Verschwiegen aus Scham?

Ja, selbst in unserem sibirischen Lager war das Thema "Vergewaltigung" tabu. Heute frage ich mich warum? Den Frauen wurde doch Gewalt angetan! Sich verzweifelt wehrende Frauen oder Väter, die sich schützend vor die Tochter stellten, wurden kurzerhand erschossen! Lange Jahre blieb dieses Thema auch in den deutschen Medien unerwähnt. Erst als das Gemetzel in Jugoslawien stattfand und wieder Frauen und Mädchen zur Kriegsbeute wurden, kamen einige Stimmen auf, wie "das hatte es damals bei Kriegsende ja auch bei uns gegeben ..." Flüchtlingsströme aus den Kriegsgebieten kamen nach Deutschland, traumatisierte Frauen wurden sofort betreut.

Kritisieren muß ich das Fehlverhalten unserer Politiker und Medien (außer der PAZ), die sich scheuen, die etwa 200000 verschleppten Frauen, Mädchen und halbwüchsigen Jungen auch nur zu erwähnen. Sie haben für unseren verlorenen Krieg Reparationsleistungen erbracht. Unter menschenunwürdigen Bedingungen, mit Verlust von Gesundheit und oft auch des Lebens. Die Bundesrepublik Deutschland hat bekanntlich die Nachfolge des Hitler-Reiches übernommen und somit auch die Reparationskosten. Ein Teil dieser Kosten wurde an die Siegermächte mit Maschinen und Geräten aus den Fabriken abgegolten. Wie hoch die Entschädigungssumme war, die später von der Bundesrepublik Deutschland an die betroffenen Betriebe gezahlt wurde, ist leider nicht bekannt.

In jüngster Zeit wird der Opfer des Nazi-Regimes mit einer Ausstellung in Berlin gedacht, in der Gegner, Fahnenflüchtige und zum Tode Verurteilte ihre Würdigung finden. Auch an den Abschluß der Entschädigungszahlungen an die ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen wurde in einer Sitzung des Bundestages gedacht. Die Bundeskanzlerin zeigte sich zufrieden mit der ganzen Aktion und sagte zum Abschluß ihrer Rede: "... wir haben diesen Menschen ihre Würde wiedergegeben." Schließlich wurde am 11. Juni ein Gesetz verabschiedet, durch das DDR-Bewohner, die länger als ein halbes Jahr im Gefängnis gesessen haben, Entschädigung erhalten - und das ist auch gut so! Doch wer bitte gibt uns, den Verschleppten und gedemütigten Frauen die Würde wieder? Wir wurden nicht einmal erwähnt, und das tut weh - sehr weh!

Foto: Flucht und Vertreibung schlugen tiefe Wunden in den Seelen der Betroffenen.


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