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14.07.07 / Ein brodelnder Hexenkessel / EU-Sondergesandter Christian Schwarz-Schilling verläßt Bosnien und die Herzegowina mit einem unguten Gefühl

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-07 vom 14. Juli 2007

Ein brodelnder Hexenkessel
EU-Sondergesandter Christian Schwarz-Schilling verläßt Bosnien und die Herzegowina mit einem unguten Gefühl
von Wilfried Böhm

Der Balkan wird auch nach einer möglichen Unabhängigkeit des Kosovo ein Problemgebiet für Europa bleiben", stellte der kürzlich aus dem Amt des internationalen Bosnien-Beauftragten geschiedene deutsche Politiker Christian Schwarz-Schilling in Sarajevo fest. Die Europäische Union (EU) dürfe Bosnien und Herzegowina nicht vernachlässigen. Neben der Polizeimission und der Friedenstruppe Eufor müsse im Land auch politisch mehr Verantwortung übernommen werden. Bisher seien aber entsprechende Vorschläge abgelehnt worden.

Bei der Zusammensetzung der Bevölkerung - muslimische Bosniaken (48 Prozent), orthodoxe Serben (37 Prozent) und katholische Kroaten (17 Prozent) - spiegelt sich "wie in einer Nußschale" das ehemalige Jugoslawien, das Tito einst mit eiserner Hand zusammenhielt und schließlich durch geschicktes Taktieren zwischen den Weltblöcken durch den Kalten Krieg lavierte.

Der frühere deutsche Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Schwarz-Schilling war 1982 in die von Bundeskanzler Helmut Kohl geführte Bundesregierung berufen worden. Sein politisches Engagement ging über dieses Amt hinaus. Unter seiner Leitung wurde in Deutschland das Kabelfernsehen eingeführt und das Privatfernsehen zugelassen. Als er 1992 von diesem Amt zurücktrat, begründete er diesen Schritt nicht fachlich, sondern als Regierungsmitglied mit seinem Protest gegen die Haltung dieser Bundesregierung im damaligen Jugoslawien-Konflikt.

Hatte ihn schon als jungen Mann die offensichtliche Hilflosigkeit des Westens gegenüber der Niederschlagung des Aufstands der Ungarn im Jahr 1956 durch sowjetische Panzer betroffen gemacht, von dem obendrein Großbritannien die Weltöffentlichkeit durch sein Suez-Abenteuer ablenkte, so erregten ihn als Bundesminister die Hilferufe, die zwischen 1992 und 1995 aus dem von der damaligen Jugoslawischen Volksarmee eingeschlossenen Sarajevo kamen. In einer hitzigen Diskussion im Bundeskabinett erklärte der hessische Politiker aus Büdingen: "Ich schäme mich, diesem Kabinett anzugehören, wenn es beim Nichtstun bleibt" und erklärte einige Tage danach seinen Rücktritt vom Ministeramt.

Später war er für ein Jahrzehnt als internationaler Vermittler zwischen den Völkern und Volksgruppen in dieser Balkanregion tätig, die er wie kaum ein anderer kennt.

Anfang 2006 schließlich wurde Schwarz-Schilling auf Vorschlag der Bundesregierung zum Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft für Bosnien und Herzegowina und Sondergesandte der EU ernannt mit der Aufgabe, die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton aus dem Jahr 1995 zu überwachen und die Installation der Nachkriegsordnung zu beaufsichtigen.

Als zentrales Machtinstrument für diese Aufgabe wurde das "Office of High Representative" (OHR) in Sarajevo eingerichtet. Grundlage sind die als "Bonner Befugnisse" ("Bonn-Powers") bezeichneten außerdemokratischen Sondervollmachten, mit denen der Hohe Repräsentant jede gegen die Nachkriegsordnung verstoßende Entscheidung einheimischer Politiker aufheben und die Politiker selbst aus allen Ämtern entlassen kann.

Ende Juni 2007 endete das Mandat des deutschen Politikers. Schwarz-Schilling hatte bereits im Januar dieses Jahres angekündigt, er strebe eine Verlängerung seines Mandates über den 30. Juni 2007 nicht an, obwohl er sich gewünscht hätte, der letzte der Hohen Repräsentanten zu sein. Nun wurde der slowakische Diplomat Miroslav Lajcák sein Nachfolger.

Im Gegensatz zu seinem britischen Vorgänger Paddy Ashdown, der, wie man sagt, sein Amt "mehr im Stil britischer Kolonialherren" mit immer neuen Dekreten und Entlassungen von angeblich kooperationsunwilligen Politikern ausgeführt hatte, nahm sich Schwarz-Schilling in der Ausübung seines Amtes bewußt zurück und forderte und förderte mehr die Initiative der gewählten Politikern des Landes, gewissermaßen als "demokratisches Lehrstück" in der Praxis des politischen Geschehens.

Doch zum Abschluß seiner Amtsführung wurde auch der gutwillige und in seinem ständigen, geduldigen Bemühen in den Augen weiter Teile der Bevölkerung erfolgreiche Schwarz-Schilling von den Politgeistern der Vergangenheit eingeholt. Der Massenmord von Srebrenica, zum schrecklichen Symbol der postjugoslawischen Zeit geworden, wurde erneut zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Bosniaken und bosnischen Serben. Schwarz-Schilling verfügte, daß die Gedenkstätte für die Opfer von Srebrenica, zu der auch der Friedhof der 8000 Opfer gehört und die wie der Ort selbst auf dem Gebiet der "Republika Srpska" (RS) liegt, also der serbischen Teilrepublik, künftig unter der Kontrolle des Gesamtstaates stehen soll. Das Parlament der RS reagierte heftig. Dieser Entschluß sei verfassungswidrig und ein "Zugeständnis an die Extremisten".

Die bosnisch-serbische Polizei solle alle Maßnahmen auf dem Gebiet der Gemeinde Srebrenica ergreifen, um den geplanten Kontrollentzug zu verhindern. Schwarz-Schillings Nachfolger sieht sich mit einem gefährlichen innenpolitischen Konflikt konfrontiert.

Kommt man nach 15 Jahren wieder in die europäische Schicksalsstadt Sarajevo, dann meint man, diese Stadt nicht wieder zu erkennen. Der Weg vom Flughafen in die Stadt konnte 1992 nur über die berüchtigte "Sniperallee", die Allee der serbischen Scharfschützen, nur im gepanzerten Fahrzeug zurückgelegt werden.

Im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens und des Endes des kommunistischen Einparteiensystems hatte ein blutiger Bürgerkrieg die Stadt ins Chaos stürzte. Jeder Tag brachte neue Opfer und neue Ruinen. Am 5. April 1992 hatte die Belagerung der Stadt durch die damalige Jugoslawische Volksarmee begonnen, der 14000 getötete Menschen und 50000 Verwundete zum Opfer fielen.

Heute pulsiert urbanes Leben in den Straßen der Stadt, unzählige Autos jagen sich in den Straßen, Fußgänger flanieren bis weit nach Mitternacht durch die engen Straßen und Fußgängerzonen der Innenstadt vorbei an unzähligen Restaurants mit südländischem Flair. Internationale Hotelketten haben ihre Bauten errichtet.

Wer genau hinsieht, entdeckt aber auch manche mehr oder weniger versteckten Kriegsruinen und viele notdürftig geflickte Einschußlöcher.


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