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14.07.07 / Die Frauen haben keine Chance / Überall ausliegende Kondome schützen gerade Ehefrauen nicht vor Aids

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-07 vom 14. Juli 2007

Die Frauen haben keine Chance
Überall ausliegende Kondome schützen gerade Ehefrauen nicht vor Aids
von Rebeccca Bellano

Wir müssen Afrika helfen", kamen die mahnenden Appelle zum G8-Gipfel von allen Seiten. Mit Geld, mit Medikamenten, mit Bildung und Wissen soll der Westen die Afrikaner retten. "Wie kann der Westen uns sterben lassen, sind wir weniger wert", fragten aidskranke Bewohner des schwarzen Kontinents in die bereitstehenden Kameras.

Die Aktionen waren ergreifend, und kaum einer konnte sich ihnen verschließen, doch wer sich näher mit dem Thema auseinandersetzte, stellte fest, daß trotz aller Medienpräsens und Informationskampagnen wichtige Fragen unbeantwortet blieben.

Daß der Westen lebensverlängernde Medikamente für HIV-Infizierte zu teuer anbietet, das erfährt man. Doch wieso stecken sich Hunderttausende jedes Jahr neu an? Dabei haben einige Länder eine Krankheitsquote von 30 Prozent - also jeder dort Wohnende kennt Menschen, die an Aids sterben. Diese müßten doch Warnung genug sein. Und kennt man südlich der Sahara keine Kondome?

Die Kanadierin Stephanie Nolen hat als Afrika-Korrespondentin bereits aus über 20 Ländern dieses Kontinents berichtet. Die in Südafrika lebende Journalistin hat nun in "28 Stories über Aids in Afrika" 28 individuelle Schicksale aufgeführt, welche die Komplexität der Probleme, die mit Aids zu tun haben, schildern. 28 Schicksale - eins für je eine Million Afrikaner, die in den nächsten Jahren an Aids sterben werden.

"Was in Afrika passiert, ist ein Völkermord aus Gleichgültigkeit. Aber nicht ein Volk, sondern Hunderte Völker - die Matswana, die Masotho, die Zulu, die Shona, die Matebele ... - verschwinden", so Nolen, bevor sie anfängt zu erklären, warum die schlechte Stellung der Frau in Afrika eine der schwerwiegendsten Ursachen für die Verbreitung von Aids ist. Ein Großteil der infizierten Frauen - ob Bäuerin oder Lehrerin - sind finanziell und gesellschaftlich von ihrem Ehemann abhängig, doch diese erweisen sich nicht als monogam, haben in manchen Regionen sogar mehrere Ehefrauen. Diese schlafen mit ihrem Mann, obwohl sie wissen, daß dieser infiziert ist. Die Folge ist, daß die Ehefrauen ebenfalls krank werden und das Virus an ihre Kinder weitergeben. Ihr Leiden und ihre Schuldgefühle beschreibt Nolen anschaulich.

Auch wurde über zwei Jahrzehnte in den meisten der 54 afrikanischen Staaten die Aids-Seuche heruntergespielt. Informationen gab es kaum. "Siphiwe hatte damals noch nie von Kondomen gehört, sie wurden in Swasiland nicht öffentlich verkauft. Der Arzt dort sagte ihr, ohne einen Brief ihres Mannes könne sie keine Verhütungsmittel bekommen." Selbst unter Geschwistern wurde nicht darüber gesprochen. Wer sich zu der Krankheit bekannte, wurde und wird häufig ausgegrenzt, gar als Hexe beschimpft. Von Siphiwes 24 Geschwistern leben noch sechs, was zur Folge hat, daß deren Kinder häufig als Waisen aufwachsen, ohne direkte Bezugsperson, denn auch Onkel und Tante sind tot. Doch ohne jemanden, der sich um das Wohl und die Ausbildung dieser verlorenen, häufig über die Eltern infizierten Generation kümmert, kann Afrika nie seine Armut überwinden.

Die vielen Grenzkriege auf dem Kontinent gingen laut Nolen mit Vergewaltigungen einher, so daß sich auch so die Seuche weiter verbreitet. Zudem müßten sich viele Frauen in Flüchtlingslagern verkaufen, um ihre Kinder durchzubringen.

Doch auch in Friedenszeiten verbreitet sich das Virus rasant. Lkw-Fahrer Mohammed Ali erklärt der Autorin, wieso er sich infiziert hat, denn "ein Mann muß jeden Tag Sex haben", denn ohne Sex könne er gesundheitliche Schäden erleiden. Kondome - umständlich und unter seiner Würde. Die Frau daheim sei aber angeblich HIVnegativ.

Despotische Herrscher, Kriege, Armut, die schlechte Stellung der Frau, gesellschaftliche Tabus, schlechte hygienische Bedingungen in Krankenhäusern, das Ego der Männer - das sind nur einige Gründe für die Verbreitung von Aids. Da in Indien der Patentschutz westlicher Medikamente nicht gilt, werden hier Präparate günstig nachgemacht, und so kommen inzwischen immer mehr HIV-infizierte Afrikaner in den Genuß dieser Medikamente. Doch auch das hatte Folgen, wie die Autorin belegt. Da viele Kranke aufgrund der Tabletten nicht mehr merken, daß sie krank sind, leben sie normal weiter und haben auch ungeschützten Sex mit noch gesunden Personen.

Bevor die Menschen in Afrika nicht ihr Verhalten ändern, bringen auch Milliarden US-Dollar nur Linderung, aber keine Lösung. Doch die Journalistin Nolen nennt auch Positiv-Beispiele. Da Südafrikas Regierung einsehen mußte, daß sie mehr Soldaten durch Aids als durch Kämpfe verloren hat - sieben von zehn Todesfällen -, wurden die Aufklärungsmaßnahmen verstärkt.

Stephanie Nolen: "28 Stories über Aids in Afrika", Piper, München 2007, brosch., 462 Seiten, 16 Euro

Foto: Stigma: Noch immer lassen zu wenig Afrikaner sich auf Aids testen, da sie die Gewißheit fürchten.


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