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21.07.07 / Ein Traum in Lila / Gefühltes Alter und die Erinnerungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-07 vom 21. Juli 2007

Ein Traum in Lila
Gefühltes Alter und die Erinnerungen
von Christel Bethke

Auf dem runden Kleiderständer hängt der Rest vom SSV. Zwischen den Sachen leuchtet etwas Zartfarbenes. Sie fühlt sich davon angezogen und zieht eine blaßlila Jacke hervor, na, mehr ein Jäckchen. Leicht wie eine Feder und bei genauer Betrachtung eigentlich sehr schön. Und der Preis erst! Statt 275 Euro nur noch 100. Toll! Doch 77 Jahre verbieten Schnitt und Farbe. Außerdem ist sie wohl eine Nummer zu klein.

Aber anprobieren kann man ja mal. Die Jacke paßt gerade und ist kaum zu spüren. Doch Zweifel bleiben, und sie hängt die Jacke zurück, dreht noch eine Runde durch den großen Laden, immerzu die Jacke im Kopf. Soll sie, soll sie nicht? Warum eigentlich nicht?! Die letzten Schritte läuft sie fast und - Gott sei Dank - die Jacke hängt noch am Ständer. Erneut probiert, und während sie das Spieglein an der Wand befragt, nähert sich eine Verkäuferin und meint: "Die hat auf Sie gewartet. Sitzt doch wie angegossen und paßt vorzüglich zu Ihrem hellen Haar." Helles Haar! Sie ist weiß, weiß sie, schneeweiß. Dennoch stimmt es, die Jacke steht ihr.

"Am besten ich lasse sie gleich an, wenn es geht, damit ich nicht erst in Versuchung gerate und sie noch umtausche." Es geht und wird so gemacht. Beschwingt geht sie anschließend gleich zum Türken an der Ecke und wird mit "Hallo Lady" begrüßt. Er hat die besten Fleischtomaten und auch der Schafskäse aus Bulgarien ist gut bei ihm. Die Lady nimmt auch einen Topf Basilikum und wird sich zu Hause einen feinen Salat machen. "Lady, hast du Kleingeld?" Ein Cent fehlt, und der freundliche Mensch meint, damit kann er leben.

Noch auf dem Heimweg denkt sie vergnügt an den Einkauf, und plötzlich weiß sie auch, warum ihr so leicht und froh in dem lilafarbenen Jäckchen ist: Es ist die Farbe des Flieders, der bei den Großeltern in Gerdauen vor der Veranda stand, hoch wie eine Wand. Großmutter darunter am Feierabend. Endlich mal die Hände im Schoß.

Es war der einfache, nicht der doppelte Flieder, mit seinem wunderbaren leichten Duft und zart, ganz zart in der Farbe, fliederfarben eben. Die Lady könnte altersmäßig die Mutter der Großmutter von damals sein. Oma in fliederfarbener Jacke! Undenkbar. Immer dunkel gekleidet, Knopfschuhe und schwarze Strümpfe, die weder "seidenmatt" noch "seidenglatt" waren. Eher mit sehr "blickdicht" zu bezeichnen.

Den Fliederbusch gibt es nur noch als Erinnerung. Die neuen Bewohner des Hauses mit der Veranda, die übrigens umgebaut worden ist, wissen nichts mehr von ihm. Als sie einzogen, existierte er schon nicht mehr. Auch an die Linde können sie sich nicht mehr erinnern, die ihr noch immer in den Sinn kommt, wenn sie im Westen blühen und duften. Vielleicht sollte man als Gastgeschenk einen Busch mitbringen, denn die Erde schien sich sehr gut für Flieder zu eignen, während er hier, trotz mehrerer Versuche, nur so dahinkümmert.

Nur in der Erinnerung sind wir ganz zu Hause, sagt ein Dichter, und vielleicht fühlt sich die Lady deshalb so leicht und behaglich in der neuen Jacke.


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