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28.07.07 / Nachhilfe in Mord und Totschlag / Die "Mörderischen Schwestern" treffen sich regelmäßig zu einem Erfahrungsaustausch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-07 vom 28. Juli 2007

Nachhilfe in Mord und Totschlag
Die "Mörderischen Schwestern" treffen sich regelmäßig zu einem Erfahrungsaustausch
von Helen Bauers

Sie nennen sich "Mörderische Schwestern" und haben nichts als Mord und Totschlag im Kopf - allerdings nur auf dem Papier, denn bei dieser Schwesternschaft handelt es sich um eine Vereinigung deutschsprachiger Kriminalautorinnen. "Wir verstehen uns als Netzwerk für Krimis schreibende Frauen", erläutert Mitglied Doro F. Gerhardt  auf dem Jahrestreffen in Hannover, "bei uns sind allerdings nicht nur Autorinnen willkommen, sondern auch Verlegerinnen, Buchhändlerinnen und Bibliothekarinnen, eigentlich jede Frau, die sich für Kriminalliteratur interessiert - auch leidenschaftliche Leserinnen, besonders unserer Veröffentlichungen, tragen natürlich zum Erfolg des Netzwerks bei", ergänzt sie augenzwinkernd.

Die "Mörderischen Schwestern" zählen gegenwärtig knapp 300 Mitglieder, die meisten in Deutschland, aber auch etliche in Österreich, der Schweiz und Portugal. Es stellt sich die Frage, wie eine so weit verbreitete Organisation in der Praxis funktionieren kann. "Neben unserer Zusammenarbeit im Internet haben wir uns natürlich regional organisiert", erläutert Eva Almstädt, Koordinatorin für Norddeutschland, "heute haben zum Beispiel Mitglieder aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen die Gelegenheit, sich einmal wieder persönlich zu sehen."

Was aber mag der Inhalt einer Jahresveranstaltung mordender Schreibtischtäterinnen sein? "Neben allgemeiner Kontaktpflege wie einer Vorstellungsrunde für unsere Neuzugänge und Austausch über Buchprojekte und andere schriftstellerische Erfahrungen bemühen wir uns um Beiträge zur Autorenfortbildung, zum Beispiel durch Referate von Experten zu krimirelevanten Themen", berichtet Eva Almstädt, "in diesem Jahr hörten wir den Vortrag eines Polizeizeichners über seine Arbeit in der Phantombildstelle des Landeskriminalamtes Niedersachsen - hochinteressant!" Jetzt wissen die "Mörderischen Schwestern", daß Phantombildzeichner selbst in heutiger Zeit nicht ausschließlich im Computer gespeicherte Augen-, Nasen- und Kinnformen so lange zusammensetzen, bis das Ergebnis stimmig erscheint. Vielmehr hat der gute alte Bleistift für die traditionelle Handzeichnung keineswegs ausgedient und die Bearbeitung von "echten" Fotografien mit Stift oder PC besitzt je nach Einzelfall nach wie vor ihren Stellenwert. Fotoporträts von langjährig Vermißten oder polizeilich Gesuchten können heute einem Alterungsprozeß unterworfen werden, so daß die betreffende Person auf dem überarbeiteten Bild so erscheint, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussehen müßte - was in erstaunlich vielen Fällen bereits zum Erfolg geführt hat. Und schließlich: Wer hat sich bisher schon jemals Gedanken darüber gemacht, daß die Zusammenarbeit mit Zeugen und vor allem mit Opfern von Gewalttaten dem Polizeizeichner ähnlich viel seelische Widerstandskraft abverlangt wie zum Beispiel einem Psychologen?

Aber auch die Kriminalgeschichte vor Ort kommt nicht zu kurz. "Wir treffen uns in jedem Jahr möglichst in einer anderen Stadt", betont Eva Almstädt, "es ist spannend, die Kriminalhistorie des jeweiligen Ortes zu erkunden. Manchmal gibt es Stadtführungen, die auf unseren Schwerpunkt schon zugeschnitten sind, aber meist werden sie von den Anbietern extra für uns aufbereitet." In Hannover kommen die "Mörderischen Schwestern" da ja kaum zu kurz? "Ganz sicher nicht", lacht Eva Almstädt, "allein die Geschichte des Massenmörders Fritz Haarmann gehört ja zu den historischen Kriminalfällen, die zur ‚Allgemeinbildung' jeder Krimiautorin zählen sollten!" Und tatsächlich - auch wenn die Führerin mit einem Kindsmord aus dem 16. Jahrhundert und der Beschreibung des "hochnotpeinlichen Halsgerichts" mit seinen sorgsam abgestuften Foltermethoden beginnt und dann  die betrübliche Karriere des Raubmörders Jasper Hanebuth im 17. Jahrhundert und die nicht unproblematische Stellung des Henkers im sozialen Gefüge der Stadt beschreibt, kommt sie in der Folge unweigerlich auf Hannovers zweifelhaftesten Prominenten, Fritz Haarmann, zu sprechen. Es ist allerdings erstaunlich, wie pauschal das Wissen sogar engagierter Kriminalschriftstellerinnen über einen der berühmtesten Massenmörder seiner Zeit ist. "Ich dachte, der hätte reihenweise Frauen umgebracht", wundert sich eine Teilnehmerin. Keineswegs - schon früh zeigten sich bei Haarmann zum Teil gewalttätige homosexuelle Neigungen, besonders gegenüber sehr jungen Geschlechtsgenossen, was letztlich dazu führte, daß Haarmann in 24 bewiesenen Fällen junge Männer in seine Dachstube lockte, sich an ihnen verging, sie mit seinem Küchengerät zerstückelte und in einem Arm der Leine versenkte, wo ein skelettierter Schädel, der von spielenden Kindern am Ufer entdeckt wurde, zu weiteren Funden unzähliger menschlicher Knochen und schließlich zur Überführung Haarmanns führte. Nur wenige aus der mörderischen Schwesternschaft wußten außerdem, daß "Herr Criminal" - so der Spitzname Haarmanns rund um den Hannoverschen Hauptbahnhof - als Spitzel eingesetzt war, der die Schwulen-szene beobachten und der Polizei Meldung über damals noch strafbare homosexuelle Handlungen machen sollte. Ein Umstand übrigens, der ihm sein eigenes dubioses Treiben für sehr viel längere Zeit ermöglichte, als es unter "normalen" Umständen der Fall gewesen wäre.

Die Frage einer Mitschuld der Gesellschaft (und speziell der Polizei) an der (zu) späten Entdeckung Haarmanns hat übrigens schon der Philosophiedozent Theodor Lessing - mit dieser sozialkritischen Fragestellung seiner Zeit im Jahre 1925 weit voraus - in seinem damals sehr umstrittenen Buch gestellt: "Haarmann - die Geschichte eines Werwolfs" (nur noch antiquarisch zu beziehen). Trotz lahmer Füße und schmerzendem Kreuz - die historischen Greueltaten wurden soweit wie möglich an Originalschauplätzen im Innenstadtbereich Hannovers erörtert. So war die Führung für die "Mörderischen Schwestern" bis zum letzten Augenblick fesselnd, und begeisterte Krimileser dürfen sicher sein, daß als Folge dieser Veranstaltung nicht nur eine Idee entstanden ist, die in absehbarer Zeit als neuer Kriminalroman auf dem Buchmarkt erscheinen wird.

Informationen zu Mitgliedern und Veröffentlichungen der "Mörderischen Schwestern" unter www.moerderische-schwestern.eu zu finden.

Foto: Ein keineswegs konspiratives Treffen: Norddeutsche Krimi-Autorinnen kamen in Hannover zu einem Erfahrungsaustausch zusammen.


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