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11.08.07 / Ernstfall für die Wirtschaft / Lokführer-Streik hebelt die deutsche Tarifkultur aus – Zeit für Egoisten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-07 vom 11. August 2007

Ernstfall für die Wirtschaft
Lokführer-Streik hebelt die deutsche Tarifkultur aus – Zeit für Egoisten
von Klaus D. Voss

Dieses schlechte Beispiel wird Schule machen – schneller als uns lieb sein kann. Beim Streik der 20000 Lokführer geht es längst nicht mehr allein um die drastischen Lohnaufschläge oder die unversöhnlichen  Ansichten von Bahn-Boß und Gewerkschaftschef; das allein wäre noch zu verkraften. Die deutsche Tarifkultur steht auf dem Spiel.

Die Gefahr ist groß, daß die Wirtschaft ihren solidesten Stützpfeiler verliert, die Verläßlichkeit der Tarifpartner. Lohnzuwachs muß gesamtwirtschaftlich vertretbar sein – diese Einsicht wenigstens teilen die großen Branchengewerkschaften. In einer Gesellschaft, die den Verlust von Gemeinsinn hinnimmt, sogar propagiert, ist aber wohl die Zeit der Tarif-Egoisten gekommen: der Ernstfall für die Wirtschaft.

Über alle Umfragen hinweg sind die Deutschen beim Thema „Streik der Lokführer“ in zwei etwa gleich starke Gruppen gespalten – die eine Seite billigt den Lokführern zu, sich einen dicken Lohnaufschlag erstreiken zu dürfen. Die anderen ärgern sich über die Beeinträchtigungen für die Reisenden und fürchten zu Recht fatale Auswirkungen auf Konjunktur und Wirtschaftsleistung.

Funktionseliten – das ist die Bezeichnung für Menschen in Schlüsselpositionen – glauben gern, sich nehmen zu dürfen, was sie greifen können. Das trifft keinesfalls nur auf die Lokführer mit der Spitzenforderung von 31 Prozent zu: Krankenhausärzte, Fluglotsen und Piloten demonstrieren ihre Macht genauso unverhohlen. In Frankreich blockieren die separat organisierten Lkw-Fahrer Autobahnen, um ihre Forderungen durchzusetzen – in einem Fall mußte die Gendarmerie die Ausfahrten der Öl-Raffinierien freihalten, um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern.

Wenn erst das schlechte Beispiel der Lokführergewerkschaft GDL genug Nachahmer gefunden hat und sich anstelle der großen Branchengewerkschaften erst einmal die kleinen, aber kampfbereiten Berufsständegruppen stark gemacht haben, wird man sich in Deutschland wundern, wie viele Funktionseliten es in einer hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaft wirklich gibt. Eine nicht mehr solidarische Gesellschaft, die das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge mißachtet, ist gefährdet.

Es ist auch ein Irrtum zu glauben, die neue „rabiate Tarifpolitik“ könne eine Gesellschaft reicher machen. Reicher werden dadurch noch nicht einmal die, die sich zu Funktionseliten zählen können. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, warnt eindringlich vor dieser speziellen Konkurrenz von Monopol-Interessen – nach den Marktgesetzen wird am Ende teuer produziert, wenig geleistet und schlecht verdient.

Dafür gibt es einen prägnanten Ausdruck: die „englische Krankheit“. Mitte der 70er Jahre siechte die britische Wirtschaft dahin, das Land erzielte gerade noch das halbe Pro-Kopf-Einkommen der Bundesrepublik. Die Lage änderte sich erst, als Margret Thatcher nach ihrer Wahl zur Premierministerin 1979 den britischen Gewerkschaften die egoistischen Einzelinteressen austrieb. Mit Erfolg: Inzwischen hat Großbritannien Deutschland beim Pro-Kopf-Einkommen abgehängt, dafür zeigt sich die englische Schwäche in unserem Land. (Siehe auch Bericht auf Seite 5)


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