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11.08.07 / Der Geist in der Form / 100 Jahre Deutscher Werkbund – Eine Idee hat sich durchgesetzt und bestimmt noch heute das moderne Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-07 vom 11. August 2007

Der Geist in der Form
100 Jahre Deutscher Werkbund – Eine Idee hat sich durchgesetzt und bestimmt noch heute das moderne Leben
von M. Cremer-Thursby

Der Deutsche Werkbund feiert in diesem Jahr seine Gründung vor 100 Jahren. Wenig scheint man heute noch von dieser historischen Institution zu spüren. Ihre Aufgaben und Anliegen sind über die zehn Jahrzehnte hindurch offenbar erfüllt; ihr eigentliches Credo ist aktueller denn je.

Im Jahr 1907 gründeten – sieben Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges – Architekten und Vertreter aus Industrie, Handel und Handwerk den Deutschen Werkbund. Zu ihnen gehörten namhafte Künstler wie Herman Muthesius, Fritz Schumacher, Peter Behrens, Walter Gropius, Henry van de Velde, Heinrich Tessenow, Paul Schmidthenner – um nur einige zu nennen – aber auch Politiker wie Friedrich Naumann oder der Chef der AEG, der Großindustrielle Walter Rathenau. Diese Gemeinschaft von nicht unbedingt Gleichgesinnten hatte dennoch ein gemeinsames Ziel, sie nannten es: die Veredelung der industriellen Arbeit.

Den industriell gefertigten Produkten, vom Haus bis zum Hausrat, von der Fabrikanlage bis zur Bogenlampe sollte eine ehrliche Form verpaßt werden. Edel und ehrlich sollten die Dinge werden und das war auch ethisch gemeint. Die Werkbundleute hatten einen sozial verantwortlichen Sinn, und damit wollte man nicht nur Formen schöner machen, sondern auch die Gesellschaft verändern. Das war ganz im Sinne der bildungsbürgerlichen Schicht im Wilhelminischen Deutschland, die gebildet, belesen, kunstliebend und musikalisch den Willen zur neuen, einfachen, sachlichen Form teilte und unterstützte. Es gehörte zum guten Ton in jenen Kreisen, sich für die Werkbundform einzusetzen und sich um das, was man „die soziale Frage“ nannte, zu kümmern.

Man muß sich vergegenwärtigen, wie die industrielle Serienfertigung in die Herstellung von handwerklichen Produkten seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer mehr eingriff. Die Maschinen übernahmen die ursprüngliche Arbeit des Handwerkers, die Maschinen arbeiteten sogar schneller, präziser und preisgünstiger. Das dadurch entstehende soziale Elend einerseits aber auch die von Maschinen gefertigten bedeutungslos gewordenen Ornamente riefen politische und künstlerische Reformbewegungen hervor. Wo waren die Formen, die den Geist einer modernen und sozial gerechten Industriegesellschaft spiegelten? Viele Maler und Architekten begannen sich um den Entwurf von Haus und Hausrat zu kümmern, denn das waren die eigentlichen Herausforderungen der Zeit. Sie gestalteten Innenräume, sie entwarfen Tische, Töpfe, Tassen und Kleidung; sie machten sich Gedanken über gut klimatisierte Fabriken und lebenswerte Häuser zum preiswerten Wohnen.

In einem gemeinsamen Kraftakt begann eine ganze Gesellschaft sich menschenwürdigere Lebensumstände zu schaffen. Fragen der Typisierung von Industrie-Architekturen waren genauso wichtig wie die ideale Wohnung für den Arbeiter mit licht- und luftdurchlässigen Innenräumen. Der von monotoner Industriearbeit gequälte Mensch sollte wieder Freude an seiner Arbeit und seinem Leben haben. Diesem, von Hermann Muthesius wortführend gegründeten, Deutschen Werkbund gelang es, die bestehende Industriegesellschaft ethisch und ästhetisch völlig neu zu überdenken. Alles, was wir heute so selbstverständlich benutzen und worin wir wohnen, wurde in Form und Geist in der Zeit Kaiser Wilhelms II. begonnen. Wir wissen heute, wie diese Form ausgesehen hat, es war die glatte und schnörkellose Form der Serien, es waren die Fassaden ohne überflüssigen Zierrat und die Möbel ohne Ornament. Funktionalismus nennt man aus der Rückschau diese Ästhetik und „Form follows function“ war ihr formulierter Gedanke, der weltweit das Industriedesign begründete.

Hermann Muthesius war sich dieser Vorreiterrolle bewußt, er nannte die Werkbundform, die deutsche Form, weil sie etwas neues darstellte, was in Deutschland erfunden worden war. Und alles, was damit zusammenhing, war deutscher Geist, der die Welt erobern sollte, in Form der neuen internationalen Form, für die man die Deutschen lieben würde – so glaubte er.

Das Deutsche Kaiserreich trat mit voller Kraft und Enthusiasmus in einen wirtschaftlichen Wettbewerb mit der damaligen Weltmacht England. Es war dies ein moderner Wettstreit nach den Regeln des Kapitalismus und der von ihm finanzierten Industrie. Und es war die Strategie der Deutschen, das Königreich England nicht nur quantitativ auf dem Weltmarkt zu bedrängen, sondern es vor allem mit den besseren Produkten, „Made in Germany“, zu besiegen. Dieser Wirtschaftskrieg wurde von den Werkbundleuten heiß unterstützt. Noch während des Krieges schrieb Muthesius, „wir werden siegen, weil wir die bessere Organisation haben“.

Nicht dieser Aspekt jedoch scheint uns heute so ungeheuer modern, auch wenn dieser Patriotismus Grundlage für eine gesunde Volkswirtschaft ist, sondern es ist das grundsätzliche Verantwortungsgefühl, das die Werkbundleute für die Gestaltung der Lebensbedingungen ihres Vaterlandes fühlten. In der heute so oft gescholtenen Wilhelminischen Zeit ist ja nicht nur die Anzahl an Panzerschiffen erhöht und der Ausstoß an Produkten für den Weltmarkt verzigfacht worden, sondern gleichzeitig war das deutsche Kaiserreich das Land der meisten Nobelpreisträger und ein Land mit den höchsten Arbeiterlöhnen und sozialen Absicherungen.

Über 40 Jahre lang, bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, beherrschen die Werkbundideen und ihre Schöpfer die Kreationen des Alltags. Die Gründung des Bauhauses im Jahr 1919 durch Walter Gropius entsteht aus dem inneren Spannungsfeld des Werkbundes und aus seinen Idealen heraus. Eine Generation von namhaften Architekten und Designern durchlebt diese kreativen Zeiten vom Anfang des Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg.

Welche Kraft muß in diesen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gelegen haben, die uns heute so unverschämt einseitig dargestellt werden. Dennoch tobte der Schaffensdrang der Werkbündler nach dem desaströsen Ersten Weltkrieg ohne Unterlaß fort, als hätte der Krieg nichts verändert und mündete nur wenige Jahre später in die Diktatur des Nationalsozialismus, der ebenfalls die Gedanken fortführt und transformiert. Dieser Odem zweier Generationen überlebte auch die Vernichtungen des Zweiten Weltkrieges und ebbte erst nach dem sogenannten Wirtschaftswunder langsam ab.

Aktueller denn je sind die Grundgedanken der Werkbündler, weil sie eine Reform des Kapitalismus anstrebten durch einen sozialen und nationalen Kompromiß. Dafür war es notwendig, daß Wirtschaft, Kunst und Handel an einem Tisch saßen, um sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft zu machen. In dieser fruchtbaren Zeit der Wilhelminischen Ära wurden die Grundlagen der modernen Architektur und des Designs gelegt und eine sozial befriedende Vision der menschlichen Gesellschaft entworfen.

 

Zwei Ausstellungen und ein Museum

Zwei Ereignisse weisen auf eine Institution hin, die heute meist unbekannt ist, die aber das moderne Leben immer noch nachhaltig beeinflußt: der Deutsche Werkbund. An seine Gründung vor 100 Jahren erinnert eine Ausstellung, die noch bis zum 26. August im Architekturmuseum der Neuen Pinakothek München zu sehen ist. In Berlin, wo die Ausstellung ab 16. September in der Akademie der Künste gezeigt werden wird (bis 18. November), kann das Archiv des Deutschen Werkbunds im Museum der Dinge, Oranienstraße 25, 10999 Berlin, nach fünf langen Jahren seine Sammlung wieder öffentlich präsentieren. Zuvor war man im Berliner Martin-Gropius-Bau untergebracht, der jedoch für andere Zwecke benötigt wurde. Nun ist in der Oranienstraße bis zum 31. Dezember unter dem Titel „Kampf der Dinge“ erstmals ein bedeutender Teil der umfangreichen, bisher verborgenen Sammlungen zur Design- und Alltagskultur des 20. Jahrhunderts in der Form eines begehbaren Depots der Öffentlichkeit zugänglich (Öffnungszeiten Freitag, Sonnabend, Sonntag und Montag 12 bis 19 Uhr; Archiv und Bibliothek stehen für private und wissenschaftliche Recherchen nach Voranmeldung zur Verfügung, Telefon 030 – 92 10 63 11).

Wer sich ausführlicher über die Münchner beziehungsweise Berliner Ausstellung „100 Jahre Deutscher Werkbund 1907/2007“ informieren will, der kann das auch anhand des prächtigen Katalogs, der im Prestel Verlag erschienen ist (384 Seiten, 600 Abb., davon 300 in Farbe, geb. mit Schutzumschlag, 59 Euro). Texte über die Hintergründe des Werkbundgedankens sind dort ebenso zu finden wie brillante Fotos der Exponate.      os

 

Dr. phil. Marc Cremer-Thursby wurde 1962 in Hamburg geboren und ist Kunsthistoriker.

Foto: Peter Behrens: Werkbundpaket, Verpackung für Bahlsen Kekse, geschaffen für die Werkbundausstellung 1914 in Köln


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