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18.08.07 / Abstieg ins Mittelmaß? / Deutschland stellt seine Hochschulabschlüsse um – Chance oder Dauerchaos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-07 vom 18. August 2007

Abstieg ins Mittelmaß?
Deutschland stellt seine Hochschulabschlüsse um – Chance oder Dauerchaos
von Rebecca Bellano

Ja, also, das ist eine sehr spezielle Frage, da müßten Sie noch mal woanders nachfragen.“ Diese unbefriedigende Antwort hilft der Magister-Absolventin nicht wirklich weiter, auch wenn ihre Frage zugegeben spezieller Art ist, so ist sie doch berechtigt: Da der Arbeitsmarkt Lehrer sucht, würde sie gern umsatteln und dazu müßte sie wissen, welche ihrer Scheine aus dem Magisterstudium fürs Lehramtstudium anerkannt werden. Doch da die befragte Universität gerade vollständig auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt hat, fehlt noch die Erfahrung mit derartigen Wünschen. Aber Schwund gibt es überall und gerade in Phasen großer Umschwünge und Veränderungen ist dieser an der Tagesordnung. Die Frage ist nur immer, inwieweit sind Fehler vermeidbar?

Vor nunmehr acht Jahren haben  Vertreter von 29 europäischen Ländern in Bologna entschieden, den Hochschulraum zu vereinheitlichen. Inzwischen beteiligen sich 46 Länder dieses Kontinents an der Umstellung ihrer Studienabschlüsse auf Bachelor und den darauf aufbauenden Master. Bis 2010 sollen die Studiengänge, die die in Deutschland üblichen Abschlüsse Diplom und Magister ablösen sollen, überall eingeführt sein. Ziel ist die Vergleichbarkeit der Hochschulabschlüsse innerhalb Europas, kürzere Studienzeiten, die Schaffung eines zweistufigen Systems um die Quote der Studienabbrecher (bei einigen Studiengängen 80 Prozent) zu reduzieren und die Erhöhung der Mobilität der Studenten innerhalb Europas.

Derzeit herrscht allerdings in Deutschland noch ziemliches Durcheinander. So laufen Bachelor- und Masterstudiengänge teilweise noch parallel zu Diplom (in den Naturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und technischen Abschlüssen) und Magister (Geisteswissenschaften). Und auch wenn sich inzwischen viel getan hat – laut Hochschul-Informations-System waren zum Wintersemester 2006 2138 Studiengänge umgestellt – während es ein Jahr zuvor nur 1253 waren, so bemühen sich doch die einzelnen Bundesländer unterschiedlich stark um Vereinheitlichung. Zum Sommersemester 2006 hatte Berlin 69 Prozent aller in Frage kommenden Studiengänge umgestellt, im Saarland waren es hingegen nur 19 Prozent. Und auch innerhalb der Bundesländer gibt es starke Unterschiede. Zwar kann Nordrhein-Westfalen zum im Oktober beginnenden Wintersemester verkünden, daß 1500 Studiengänge umgestellt wurden und nur 25 aufgrund einer Sondergenehmigung noch auf Magister oder Diplom hinauslaufen, doch auch bis hier war es ein zähes Ringen. So war die Universität Bochum Vorreiter und begann schon gleich nach der Entscheidung von Bologna mit Überlegungen zum Wechsel, zu dem es dann gleich zur Jahrtausendwende kam. Die Universität Köln hingegen ließ sich Zeit. Ob das eine Einstellungsfrage war oder ob man alles gründlich machen wollte? Vermutlich von beidem etwas, denn die Aufgabe altbewährter deutscher Abschlüsse hat nicht jeden mit Begeisterung erfüllt.

Für viele ist der Bachelor, der schon nach drei bis vier Jahren erworben werden kann, ein Schmalspur-Abschluß. Zu sehr ähnelt er dem Vordiplom beziehungsweise dem Erreichen der Zwischenprüfung der vorherigen Abschlüsse. Außerdem ärgert es die Universitäten, daß ihre Absolventen jetzt mit Absolventen der Fachhochschulen (FH) gleichgestellt werden. Wo früher Dipl.ing (FH) stand, was für mehr Praxisnähe, aber weniger Wissenschaftlichkeit stand, steht jetzt wie bei den Universitäten einfach nur M.Eng. (siehe Kasten rechts). Zwar gibt es einen Akkreditierungsrat, der die Studiengänge der einzelnen Anbieter bewertet, aber der ist nicht auf dem neuesten Stand. Während in Hessen Ende 2006 schon 72 Prozent der neuen Studiengänge akzeptiert wurden, waren es in Sachsen-Anhalt erst sieben Prozent. Doch das heißt nicht, daß die Studiengänge in Sachsen-Anhalt schlechter wären als in Hessen. Die Mühlen der Bürokratie mahlen hier eben nur langsamer.

„Der Wettbewerb gewinnt an Fahrt“, jubelt das zuständige nordrhein-westfälische Ministerium. Fakt ist, daß die Studenten verwirrt sind. Warum entscheiden sich wohl sonst noch so viele Studienanfänger für die alten Studiengänge? Wollen die Studenten nicht innovativ und flexibel sein, so wie es ihnen in Bologna versprochen wurde? Ihre Scheu ist durchaus berechtigt, denn auch 2007 kann ihnen niemand sagen, wie die Arbeitgeber auf die Bachelor-Absolventen reagieren. Die Technische Hochschule Aachen klagt zwar, daß ihr die Unternehmen die Bachelor-Absolventen gleich vor den Hochschultoren abfangen und daß ihr so die guten Leute für den vertiefenden Master fehlen, doch das liegt am derzeit sehr guten Arbeitsmarkt für Absolventen technischer Berufe.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung sieht es aufgrund der Bildungshoheit der Länder nicht als seine Aufgabe an, bundesweit erste Erhebungen zu starten. Die Hochschulrektorenkonferenz sei zuständig, habe aber noch keine Informationen weitergeleitet.

Den Studenten hilft derartiges Kompetenzgerangel nicht. Sie möchten wissen, ob der Arbeitsmarkt sie auch mit Bachelor nimmt. Außerdem: Wie viel verdient ein Bachelor im Vergleich zu seinen länger studierten Diplom- oder auch Master-Kollegen?

Auch möchte keiner Versuchskaninchen sein, wenn überlegt wird, wie die Module am besten aufgeteilt werden. Und wer strebt schon gern einen Abschluß an, der als „aufgewertete Zwischenprüfung“ und als „entwissenschaftlicht“ beschimpft wird.

Doch das hält natürlich nicht alle ab. Vor allem jene, die nach einer Berufsausbildung zusätzlich an die Hochschule streben, sind vom Bachelor angetan. Hier halten sie nach nur drei Jahren zusätzlich zur Ausbildung einen Abschluß in der Hand. Außerdem neigen viele dazu, die neuen Abschlüsse anzupeilen, da sie Sorge haben, daß bei den auslaufenden an Lehrkräften und ähnlichem gespart wird. Je mehr außerdem umgestellt wird, desto weniger haben sowieso die Qual der Wahl, sie müssen dann mit dem Bachelor anfangen.

Inwieweit der Bologna-Prozeß dem deutschen Hochschulwesen gut tut, ist noch nicht zu sagen. Ob Studenten und Professoren aus aller Welt den Standort Deutschland nach der Vereinheitlichung besser beurteilen, wird frühestens in zehn Jahren, wenn Ruhe eingekehrt ist, zu beurteilen sein und hängt keineswegs nur von den Folgen von Bologna ab. Die Qualität der Lehre und der Absolventen wird an anderen Maßstäben gemessen.

Foto: Weniger Qual der Wahl: Immer öfter heißt es Bachelor statt Diplom und Magister.

 

Zeitzeugen

Rudolf Virchow – Trotz seines Einsatzes bei der Märzrevolution 1848 rissen sich die Universitäten um den 1821 geborenen Pommern. 1856 holten sich die Preußen den eigenwilligen Arzt von Würzburg wieder zurück an die Berliner Charité, wo er eine medizinische Grundversorgung aller sozialen Schichten durchsetzte. In Seuchenfragen wandten sich Regierungen aus aller Welt an den Hygieniker, der international als Koryphäe auf seinem Gebiet galt.

 

Wilhelm und Alexander von Humboldt – Die Brüder prägten mit ihrem Forscherdrang eine Epoche. Während Alexander den naturwissenschaftlichen Zweig teilweise auf Expeditionen auslebte, verlegte sich Wilhelm auf den kulturwissenschaftlichen und regte 1810 die Gründung der Berliner Universität an. Wilhelm beschäftigte sich zudem mit Bildungsfragen.

 

Justus von Liebig – Alles begann bei dem 1803 geborenen Chemiker mit Knallerbsen. Seine Entdeckungen, Schriften und Lehrmethoden machten den jungen Gießener Professor international so bekannt, daß selbst Engländer und Amerikaner seine Vorlesungen stürmten. Universitäten rissen sich um den Wissenschaftler. St. Petersburg und London waren nur einige seiner Stationen. Er gilt als Begründer der Organischen Chemie.

 

Theodor W. Hänsch – Der Physiker gilt als ein Pionier der Laserspektroskopie und wurde 2005 gemeinsam mit John L. Hall neben Roy J. Glauber (beide USA) mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Den größten Teil seiner Erkenntnisse erlangte Hänsch in den 70er Jahren in den USA. 1986 wurde Hänsch Direktor und wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.


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