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18.08.07 / Raketen auf Georgien / Hintergründe eines Konflikts auf dem Kaukasus – Was will Rußland?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-07 vom 18. August 2007

Raketen auf Georgien
Hintergründe eines Konflikts auf dem Kaukasus – Was will Rußland?
von Wolf Oschlies

Zitelubani ist ein Dorf im nordgeorgischen Gori-Bezirk, in dem das Verteidigungsministerium Georgiens seine größte Radarstation unterhält. Gori grenzt an die Region Süd-Ossetien, die 1991 einen Sezessionskrieg gegen Georgien führte und diesem bis heute die Gefolgschaft verweigert. Hinter Süd-Ossetien steht Rußland, und von dort, irgendwoher „aus dem Norden“, drangen am Abend des 6. August zwei russische Kampfflugzeuge des Typs SU-24 auf georgisches Territorium vor und warfen über Zitelubani eine Rakete ab, die einen tiefen Krater aufriß, weiter aber keinen Schaden anrichtete. So die wenigen Fakten, die von zivilen Radarstationen Georgiens erhärtet und von Experten der OSZE bestätigt wurden.

Die russischen Soldaten, die Süd-Ossetien gegen Georgien militärisch unterstützten, sind immer noch dort, agieren aber seit Jahren als „Friedensstifter“. Ihr Kommandant, Generalmajor Marat Kulachmetow, beklagte am 7. August heftig die „Eile“, in welcher georgische Truppen am Tag zuvor in Zitelubani „aufgeräumt“ hatten. Was der russische General als Verwischung von Beweismitteln hinstellte, war tatsächlich Beweissicherung, denn Georgien hat seit fünf Jahren schlechteste Erfahrungen mit russischer „Friedenssicherung“ per Bordkanone. Zuletzt mußte es sich am 11. März 2007 gegen einen Angriff russischer Helikopter wehren, die aus der Kodor-Schlucht kamen. Kodor liegt in Abchasien, dem zweiten Sezessionsgebiet auf georgischem Territorium, das wie Süd-Ossetien von Rußland gefördert, finanziert und munitioniert wird.

Auch jetzt fanden sich bei Zitelubani Hinweise in Fülle, die auf russische Urheberschaft des Anschlags verwiesen, die General Jurij Baluewski, Chef des Generalstabs der russischen Luftwaffe, noch am 10. August bestritt: Er gab sich „überzeugt, daß eine von Georgien inszenierte Provokation gegen die russischen Friedensstifter und Rußland insgesamt vorliegt“. Das aber ist technisch unmöglich: Die bewußte Rakete war eine „Raduga“ Ch-58 – eine Waffe, über die Georgien nicht verfügt. Nur: Die Raduga-Rakete von Zitelubani ist nicht explodiert! Dieser Umstand spricht für die Interpretation von General Kulachmetow: Es habe sich nur um ein Flugzeug gehandelt und dieses sei aus dem „Nordosten“ gekommen (also doch wohl aus Tschetschenien). Über süd-ossetischem Gebiet sei die SU-24 von einer Boden-Luft-Rakete des Typs „Strela“ (Pfeil) gestreift worden, abgefeuert von süd-ossetischen Separatisten, worauf der Pilot in Panik seine Raduga-Rakete abwarf, um dank der Gewichtserleichterung von 640 Kilogramm leichter flüchten zu können. Dabei sei er unabsichtlich auf georgisches Gebiet gekommen. Georgische Kommentatoren machten sich ihren eigenen Reim: Separatisten haben russische Kampfflieger „erschreckt“, damit diese zu ihrem Nutzen die georgische Luftabwehr „blenden“, und nun bleibt der russischen Diplomatie nur, entweder zu „lügen“ oder sich „heftige Rechtfertigungen“ auszudenken. Gelogen haben die Russen ab der ersten Minute, als sie von der georgischen Luftüberwachung auf die einfliegende Maschine aufmerksam gemacht wurden und sich ahnungslos gaben. Daraufhin forderte Georgien von Rußland ganz offiziell die Herausgabe aller Flugdaten, was Vize-Außenminister Karasin mit einem vagen Kooperationsangebot „in nächster Zeit“ beantwortete.

Der ganze Vorfall ist für Georgien nahezu ein Glücksfall. Das gegenüber Rußland winzige Land – so groß wie Bayern und etwas mehr bevölkert als Rheinland Pfalz – hat seit Januar 2004 unter seinem prowestlichen Präsidenten Michail Saakaschwili eine Bilderbuchentwicklung genommen: Korruption, Kriminalität und Staatsverschuldung sind nahezu ausgerottet, Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe höchst erfolgreich, radikaler Reformkurs der Regierung, die größtenteils aus westerfahrenen Heimkehrern rekrutiert wurde. Doppelten Gewinn zieht Georgien aus drei Pipelines, durch die Öl und Gas aus Aserbaidschan und Kasachstan über Georgien bis in die Türkei und weiter fließen. Das bringt nicht nur harte Dollars in Tifliser Kassen, es befreite Georgien auch aus dem Würgegriff russischer Konzerne. Als diese den Gaspreis auf 235 Dollar pro 1000 Kubikmeter steigern wollten, gingen die Georgier zu aserischen Partnern, bei denen nur 60 Dollar zu zahlen waren. Seit drei Jahren betreibt das Land ein ehrgeiziges Programm der Renovierung und des Neubaus von Wasserkraftwerken, wodurch es erstmals im Winter keine Stromsperren brauchte und ganzjährig zum gefragten Stromexporteur avancierte. Dieses Land sollte ein Wunschpartner Rußlands sein, ist es aber nicht. 

Im April 2007 sprach der russische Politologe Sergej Markedonow vom „georgischen Paradoxon russischer Politik“: Warum behandelt Moskau Georgien so schlecht? Was es damit erreiche, sei allein Georgiens „Flucht vor dem russischen Imperium“ und sein forciertes Setzen auf die „westliche Wahl“. Wie wahr! Moskau hat Georgien dem Westen förmlich in die Arme getrieben. Seine 1991 proklamierte Unabhängigkeit von Rußland ist unumkehrbar. Seine zunehmende ökonomische Solidität und seine Rolle in der transkaukasischen Kooperation machten es zum Partner des Westens und integrierten es in westliche Sicherheitskonzepte. Und die Ereignisse vom 6. August stellen, so Außenminister Gela Beshuaschwili, „noch nachdrücklicher die Frage nach der Nato-Mitgliedschaft Georgiens“. Irakli Tschikowani, Georgiens UN-Botschafter, forderte vom Sicherheitsrat eine Untersuchung der Ereignisse und eine Verurteilung Rußlands. Wobei das Ergebnis für Tiflis längst feststeht: Rußlands süd-ossetischen Kriegshunde haben ein (scheinbar) georgisches Kampfflugzeug beschossen, ein russisches getroffen, und jetzt muß Moskau die Sache hinter einem Nebelvorhang aus Lügen und Gefasel verbergen.

Foto: Erfreulicherweise nicht explodiert: Die „Raduga“ CH-58 war allerdings politischer Sprengstoff.


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