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18.08.07 / Auch in Königsberg keine Patentlösung / Ungeachtet der Schönfärberei der Regierung wirft die russische Zuwanderungspolitik mannigfache Probleme auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-07 vom 18. August 2007

Auch in Königsberg keine Patentlösung
Ungeachtet der Schönfärberei der Regierung wirft die russische Zuwanderungspolitik mannigfache Probleme auf
von Jurij Tschernyschew

Eines der meist diskutierten Themen im Königsberger Gebiet ist die beginnende Rücksiedlung im Ausland lebender ehemaliger Sowjetbürger. Verschiedene Meinungsumfragen, die in diesem Jahr durchgeführt wurden, belegen, daß 69 bis 87 Prozent der Gebietsbewohner gegen den Zuzug neuer Übersiedler sind. Die Regierung versucht jedoch beharrlich, die Bevölkerung von der Notwendigkeit und den Vorteilen einer Zuwanderung zu überzeugen. Sie verspricht, daß dadurch das Leben nur besser und der Lebensstandard den Mitteleuropas erreichen würde.

Und deshalb wurde unlängst der Zuzug der ersten acht Menschen in allen Details in sämtlichen Medien dargestellt. Nicht ohne Grund wurden als erste Übersiedler eine Gruppe ausgewählt, die fast ausnahmslos aus Litauen stammte, denn die Bevölkerung des Königsberger Gebietes ist diesem Personenkreis wohlwollend gesinnt. Nur einer aus der Gruppe kam woanders her, nämlich aus Armenien. Am Flughafen wurde die Gruppe von einer Delegation empfangen, an deren Spitze die regionale Vizeregierungschefin Elena Babinowska stand. Anschließend wurde sie zur Gebietsregierung gebracht, wo potentielle Arbeitgeber sie schon erwarteten. Die anwesenden Königsberger Firmenvertreter knauserten nicht mit Angeboten und versprachen hohe Gehälter, soziale Absicherungen und Wohnungen. Solch vielversprechende Angebote überzeugten die Übersiedler noch mehr von der Richtigkeit ihrer Entscheidung, bekümmert war nur der ehemalige Solist des Nationalen Akademischen Theaters und Konservatoriumslehrer Arkadij Martirosjan. Der Direktor der Königsberger Philharmonie, Wiktor Bobkow, gab nämlich zu verstehen, daß die Finanzierung der Kultur viel zu wünschen übrig lasse und Arkadij deshalb nur wenig erwarten könne. Den krönenden Abschluß bildete ein Treffen mit dem Gebietsgouverneur.

Danach brachte man die Übersiedler am frühen Abend in das ehemalige Militärstädtchen Marienhof. Dieser Ort befindet sich 20 Kilometer von Königsberg entfernt; öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht dorthin; in der Umgebung gibt es überhaupt keine Zivilisation; die nächsten Lebensmittelgeschäfte sind einige Kilometer entfernt und man gelangt nur zu Fuß zu ihnen. Dafür ist die Natur hier unberührt und die Landschaft schön. In dem Dorf ist die Kanalisation hoffnungslos verschlissen und die Alt-Bewohner befürchten, daß mit den Übersiedlern neue Probleme auf sie zukommen. Ihre erste Nacht auf russischem Boden verbrachten die Übersiedler in einer ehemaligen Kaserne, die ihnen als vorübergehende Unterkunft dient. Die Doppel- oder Einzelzimmer sind nur mit einem Bett und einem Hocker ausgestattet. Es gibt Gemeinschaftsküchen mit Herden und Waschküchen mit Waschmaschinen. Die Übersiedler können nur ein halbes Jahr im Übergangsheim wohnen, danach müssen sie sich selber um Wohnungen kümmern. Zur Zeit werden ähnliche Zentren in der Stadt Osersk und im Dorf Frunsenskoje im Kreis Insterburg gebaut, weitere Übergangsheime sind in leerstehenden Militärstädtchen geplant. Bis zum Ende dieses Jahres sollen 3000 Rückkehrer aufgenommen werden. Sie sollen in entsprechenden Behelfsheimen untergebracht werden, die jetzt erst in Ordnung gebracht werden müssen. Die Renovierungsarbeiten laufen parallel zu den Besiedlungen.

Die Gründe, aus denen die ersten acht Mutigen sich entschieden haben, ins Königsberger Gebiet überzusiedeln, sind sehr unterschiedlich, ein Ziel ist aber allen gemein – ein besseres Leben. Wie Gouverneur Georgij Boos nicht müde wird zu betonen, fehlt es der zielstrebig sich entwickelnden regionalen Wirtschaft an qualifizierten Arbeitskräften in der Industrie, in der Landwirtschaft und im Baugewerbe. Arbeitsplätze bieten den Neuankömmlingen Baufirmen, das Verpackungsmittel-Kombinat, Pelzfabriken und die Eisenbahn. Sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungsbereich einschließlich der Medizin werden Mitarbeiter benötigt. In den Landkreisen fehlen vor allem Spezialisten. In Osersk herrscht ein Mangel an Busfahrern und Drehern. Und im Kreis Bagrationowsk (Pr. Eylau) werden Lehrer, Ärzte und Therapeuten und Bibliothekare gesucht sowie ein Kinomechaniker und ein Choreograph.

Bis zum heutigen Tag sind bei der Gebietsregierung mehr als 12000 Anträge zur Übersiedlung eingegangen. Davon haben bereits 1171 die Formulare ausgefüllt und ihre Daten elektronisch speichern lassen. 46 Prozent der Antragsteller kommen aus Kasachstan, 20 Prozent aus Usbekistan und neun Prozent aus der Ukraine.

Laut Gesetz steht den Übersiedlern und ihren Familienangehörigen eine Erstattung der Umzugskosten bis zu einem Transportvolumen von fünf Tonnen zu. Außerdem kann jeder Teilnehmer des Rückkehrprogrammes mit einer einmaligen Aufbauhilfe in Höhe von 60000 Rubel (1711 Euro) rechnen. Dazu kommen 20000 Rubel (570 Euro) für jedes Familienmitglied. Bleiben eigene Einkünfte aus, greift der Staat mit 1848 Rubel (rund 53 Euro) pro Monat unter die Arme. Hinzu kommt ein Sozialpaket, medizinische und andere Dienste betreffend. So erhält eine Übersiedlerfamilie im Durchschnitt ungefähr 3000 Euro. Zweifelsohne reicht dieses Geld nicht aus, um sich eine Wohnung zu beschaffen. Deshalb beschließen viele, ihre bisherigen Wohnungen zu verkaufen, um Geld für den Wohnungskauf im Königsberger Gebiet zu haben.

Ein Beispiel ist die Wirtschaftsexpertin Dima Dolmatowa, die aus Litauen übergesiedelt ist. Ihre litauische Wohnung hat sie schon verkauft, und nun möchte sie eine neue kaufen, aber nicht in Königsberg, weil dafür das Geld nicht reichen wird, sondern irgendwo bei Gumbinnen. Sie weiß selbst noch nicht, was sie in der Stadt erwartet und wie es ihr dort gefallen wird. Sie weiß nur, daß ungefähr die Hälfte der Bewohner zur Arbeit nach Königsberg fährt, weil es in Gumbinnen selbst keine gibt. Die meisten Unternehmen sind geschlossen oder stecken in der Krise. Und wenn die Arbeit schon nicht für die ursprünglichen Einwohner reicht, stellt sich die Frage, was erst werden soll, wenn die Übersiedler kommen. Die Bewohner ärgert es, wenn die Regierung die Übersiedler mit gut bezahlten Arbeitsplätzen und Sozialleistungen lockt, während die Alteingesessenen ihrem Schicksal überlassen werden und das Heer der Obdachlosen und Arbeitslosen auffüllen dürfen.

Die Wohnungsfrage ist nicht nur ein Problem für die neu Zugezogenen, sondern auch für die große Mehrheit der Königsberger. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt in Königsberg zur Zeit bei ungefähr 2000 Euro. Selbst die billigste Wohnung in einem alten Haus wird man kaum für weniger als 50000 Euro erstehen können. Wie bei einem Einkommen von 20000 Rubel, das man schon als gut bezeichnen kann, sich jemand erlauben kann, eine Wohnung zu kaufen, ist fraglich. Selbst mit Hilfe eines Hypothekendarlehens kann sich das eine durchschnittliche Königsberger Familie kaum leisten. Bei den derzeitigen Immobilienpreisen können nur Leute mit viel Geld daran denken, ins Gebiet zu ziehen, und diese sind nicht unbedingt die Spezialisten, welche die Wirtschaft so dringend benötigt. Diese Menschen brauchen auch kein Unterstützungsprogramm für Übersiedler, da sie selbst in der Lage sind, ihren Umzug und ihr Leben zu organisieren. Ihr Geld zieht zudem nicht selten Kriminalität an.

Wenn man sich an Orte begibt, die bei der Königsberger Jugend beliebt sind, sieht man häufig neben dunkelhäutigen jungen Männern aus den sonnigen kaukasischen Republiken großgewachsene Königsberger Mädchen. Auf diese Weise lösen sie mit Leichtigkeit das Problem der Staatsbürgerschaft, und einige stört es nicht einmal, daß sie zu Hause bereits eine Familie haben.

Das Königsberger Gebiet braucht vor allem qualifizierte Arbeitskräfte, in erster Linie im Baugewerbe, wo ungefähr 7000 Arbeiter fehlen. Heute arbeiten auf den Baustellen jedoch Ungelernte aus Tadschikistan und Usbekistan. Mit der Ausbildung des Nachwuchses beschäftigt sich niemand, da sich das System der technischen Berufsausbildung, das schon zur Sowjetzeit nicht das beste war, heute in einer tiefen Krise befindet.

Wie in der Bundesrepublik Deutschland ist also auch im Königsberger Gebiet die Zuwanderung aus dem Ausland keine Patentrezept, mögen hier wie dort auch die Regierungen versuchen, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

Foto: Multikulti: An der Siegessäule in Königsberg


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