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18.08.07 / Unverdient im Schatten zweier »Denkmäler« / Vor 50 Jahren starb der Nachfolger von Ernst Reuter und Vorgänger von Willy Brandt im Amte des Regierenden Bürgermeisters, Otto Suhr

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-07 vom 18. August 2007

Unverdient im Schatten zweier »Denkmäler«
Vor 50 Jahren starb der Nachfolger von Ernst Reuter und Vorgänger von Willy Brandt im Amte des Regierenden Bürgermeisters, Otto Suhr
von Hans Lody

Gäbe es an der Freien Universität nicht das Otto-Suhr-Institut und eine große sechsspurige Allee in der Berliner Innenstadt, die seinen Namen trägt, wäre der Mann sicherlich in Vergessenheit geraten, denn als Regierender Bürgermeister hatte er das „Pech“, daß seine Amtszeit zwischen jenen der „Denkmäler“ Ernst Reuter und Willy Brand lag.

Ursprünglich stammte Otto Suhr aus Oldenburg, wo er am 17. August 1894 geboren wurde. Den Ersten Weltkrieg machte er vom ersten bis zum letzten Tag als Frontsoldat mit. Bei Kriegsende wurde er Mitglied der SPD. Nach dem Krieg setzte er sein schon zur Kaiserzeit aufgenommenes Studium der Zeitungswissenschaften, der Geschichte und der Volkswirtschaft fort. 1923 promovierte er und nahm 1925 eine Lehrtätigkeit an der Universität Jena auf. 1926 fand er eine Anstellung beim Allgemeinen freien Angestelltenbund und siedelte nach Berlin über. Durch seine jüdische Ehefrau hatte Suhr im Dritten Reich Schwierigkeiten, konnte aber als Wirtschaftsredakteur der „Frankfurter Zeitung“ weiterhin eine auskömmliche Tätigkeit ausüben. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 sollte er verhaftet werden, konnte sich aber durch Flucht dieser Maßnahme entziehen.

Das Kriegsende erlebte er in Berlin. Sofort nach dem Ende der Kämpfe begann er mit dem Wiederaufbau der SPD in der deutschen Hauptstadt. Nach der NS-Zeit erlebten die Suhrs das andere Gesicht des Totalitarismus. Waren sie bislang von den Nationalsozialisten drangsaliert worden, lernten sie Mord, Plünderung und Vergewaltigung durch die Rote Armee kennen. Unmittelbar danach kam die „Gruppe Ulbricht“, die generalstabsmäßig die Machtergreifung des Kommunismus vorbereitet hatte, nach dem Motto: „Es muß alles demokratisch aussehen, aber wir müssen es in der Hand behalten.“ Suhr hielt dagegen und wurde Generalsekretär und später Vorsitzender der SPD. Daneben war er wieder beruflich im Hochschulbereich tätig, hielt Vorlesungen und leitete das Institut für politische Wissenschaften. Von Anfang an gehörte er der Stadtverordnetenversammlung von Berlin an, deren Vorsteher er jahrelang war.

Als die Kommunisten und die sowjetische Besatzungsmacht die SPD als politische Kraft durch eine Zwangsvereinigung mit der KPD zur SED auszuschalten versuchten, stand Suhr neben Ernst Reuter und den vielen anderen, die gegen diese politische Vergewaltigung Widerstand leisteten. Im Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgesetzes, dem auch Suhr angehörte, setzte sich der Berliner vergeblich dafür ein, den Bundestagsabgeordneten aus der Hauptstadt volles Stimmrecht zuzubilligen.

Nach dem Tode Ernst Reuters stellte ihn die SPD als Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 5. Dezember 1954 auf. Hauptforderung seines Wahlkampfes war: „In Berlin muß große Politik im Sinne der Wiedervereinigung gemacht werden.“ Was dem legendären Ernst Reuter nicht gelungen war, war Otto Suhr vergönnt; unter ihm errang die SPD bei den Wahlen die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Durch die schwierige Lage in Berlin wollte Suhr die politische Verantwortung auf eine möglichst breite Basis stellen und bildete deshalb trotzdem mit der CDU eine Koalitionsregierung. Aber es war ein kranker Mann, der am 11. Januar 1955 das Amtszimmer des Regierenden Bürgermeisters bezog.

In der wenigen Zeit, die ihm seine Leukämie noch ließ, bewegte Otto Suhr in seiner Heimatstadt nichtsdestoweniger sehr viel. Schon im April 1954 hatte das Bundeskabinett in Bonn seinen Plan zum Wiederaufbau Berlins gebilligt. Er holte die Internationale Bauausstellung in die Stadt, in deren Rahmen 1957 das Hansa Viertel im Bezirk Tiergarten entstand. Er tat auch etwas gegen die Erpreßbarkeit West-Berlins auf verkehrspolitischem Gebiet, die dadurch gegeben war, daß alle seine U-Bahnlinien durch den Ostteil der Stadt führten. Es galt daher eine neue von Nord nach Süd verlaufende U-Bahnlinie zu bauen, die ausschließlich über West-Berliner Gebiet führte. Der erste Rammschlag für den Bau der neuen Linie erfolgte am 23. Juni 1955 im Tiergarten. Auch auf wirtschaftspolitischem Gebiete hatte Suhr erfolge aufzuweisen. Eine Bilanz zur Jahreswende 1955/56 ergab, daß in seinem Amtsbereich seit seinem Regierungsantritt 50000 neue Arbeitsplätze entstanden waren. Auf bundespolitischem Gebiete setzte er durch, daß der Berliner Regierungschef an dem turnusmäßigen Wechsel des Bundesratspräsidiums beteiligt wurde.

Am 1. Oktober 1957 hätte so Otto Suhr als Regierender Bürgermeister Bundesratspräsident werden sollen, aber das mitzuerleben, war ihm nicht mehr vergönnt. Vor einem halben Jahrhundert, am 30. August 1957, raffte ihn die Leukämie hinweg. Sein Amtsnachfolger Willy Brandt profitierte von der absoluten Mehrheit der SPD, die Suhr ihm hinterlassen hatte. Erst 1981, fast ein viertel Jahrhundert nach Otto Suhrs Tod, wurde die andere Volkspartei, die CDU, in Berlin mehrheitsfähig.

Foto: Otto Suhr: Berlins Regierender Bürgermeister (1955–1957)


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