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25.08.07 / Der Führer lebt … in den deutschen Medien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-07 vom 25. August 2007

»Moment mal!«
Der Führer lebt … in den deutschen Medien
von Klaus Rainer Röhl

Wenn man aus dem Ausland kommt, von welcher Seite auch immer, und die deutsche Grenze überschreitet, sieht man mit dem bloßen Auge sofort, daß man in Deutschland ist. Wälder von kirchturmhohen Windrädern, mit denen die deutschen Schildbürger auch noch zwei Jahre nach dem verdienten Abgang von Trittin Strom aus Wind machen wollen, und Hakenkreuzfahnen und Hitlerbilder an jedem Zeitungsstand. Das sind die auffälligen Merkmale, an denen man erkennen kann, daß man deutschen Boden betreten hat.

Die Schildbürger trugen bekanntlich, weil sie vergessen hatten, in ihr Rathaus Fenster einzubauen, das Sonnenlicht in Eimern und Schüsseln ins Gebäude. Unsere modernen Schildbürger versuchen es mit Windmühlen zur Stromerzeugung, also mit ins Bombastische vergrößerten Fahrraddynamos – im Zeitalter der weiterentwickelten, kohlendioxydfreien Kernenergie, die die ganze übrige Welt ausbaut.

Hitler lebt, 62 Jahre nach seinem Selbstmord, an allen Zeitungsständen, auf allen Fernseh-Kanälen, im Straßenbild. Vor dem Sitz des Bundesfinanzministers in der Berliner Wilhelmstraße, dem ehemaligen Reichsluftfahrtministerium, flattern die fünf Meter hohen Hakenkreuzflaggen lustig im Wind, 300 Wehrmachtssoldaten rollen in Schützenpanzern und Mannschaftswagen durch die Straßen. Allen alten und jungen Nazi-Anhängern wird ganz warm ums Herz. Man dreht die ersten Szenen des Stauffenberg-Films mit Tom Cruise, morgen wird man einen anderen Film drehen, einen Fernseh-Spot mit Hitler, eine Ausstellung mit Hitlers Bildern eröffnen, ein Theaterstück mit Hitler aufführen, eine sensationelle Reportage drucken: „Wo sind Hitlers Noten?“ Die Erstschrift der Meistersinger-Partitur, die ihm zum 50. Geburtstag geschenkt wurde, sie ist verschollen! Wollte Hitler Picasso deportieren, fragt ein soeben erschienenes Buch. Der Maler sollte als Zwangsarbeiter nach Essen gebracht werden! Hörte der Führer jüdische Schallplatten? Russischer Geheimdienstmann entdeckt Hitlers Schallplattensammlung. Wann wird „Mein Kampf“ endlich im Buchhandel wieder erscheinen? Natürlich als kommentierte wissenschaftliche Ausgabe. Bisher konnte man ihn nur im Ausland oder antiquarisch beziehen. Soll Hitlers Buch nun erscheinen? Ja, sagen berühmte Wissenschaftler, die kommentierte Ausgabe ist lange überfällig.

Alle eben genannten Meldungen stammen aus der letzten Woche.

Hitler im Film, Hitler als Maler, Hitler in der Architektur, Hitler als Comic. Hitler in der Oper, Hitler sogar im „Tatort“. In Deutschland ist immer „Führerwetter“. Die Abbildung von Hakenkreuzen scheint nie verboten zu sein, wenn sie sich nur linksrum drehen, also von strammen Linken „Spiegel“-verkehrt bearbeitet werden. Offenbar kann sich das Volk an den Führerbildern und Hakenkreuzfahnen nicht satt sehen, denn in einer freien Wirtschaft wird bekanntlich nur das produziert, was auch verkäuflich ist.

Bei „Spiegel“-Gründer Augstein und „stern“-Chef Henry Nannen war die Vorliebe für Hitler-Storys noch verständlich. Beide waren bei der Wehrmacht, Offiziere, später gut umerzogen. Augstein war einer der ersten Lizenzträger, als die Alliierten die Umerziehung an die Deutschen abgaben, seine Wochenzeitung machte die Sache erst professionell. Nannens Illustrierte folgte. Gegen Hitler ging es, und gegen die Bonzen und die Drahtzieher. Im „Spiegel“ und im „stern“ stand, warum das alles so gekommen war und wer daran schuld war und wer nicht. Ergebnis offen. Also jede Woche noch mal.

Gegen Hitler und Stalin und die Diktaturen, die Stalin überall in Europa an die Macht gebracht hatte. Besonders interessierten die Zustände in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ). Aber das Hauptinteresse der Herausgeber galt natürlich der Vergangenheit, die bei der Gründung der Magazine noch ganz nahe war. Manche NS-Größen waren noch gar nicht wieder aus der Gefangenschaft entlassen, andere in Südamerika untergetaucht. Das gab viel Stoff für spannende Untersuchungen. Was ist eigentlich aus Baldur von Schirach geworden, wo lebt seine Frau, wenn ja – wovon? Wo lebt Hitlers Sekretärin, wo seine Schwester? Gab es heimliche Verbindungen der katholischen Kirche zu den Nazigrößen, die auf dem Weg durch italienische Klöster von Priestern nach Südamerika geschleust wurden? Das alles muß Rudolf Augstein damals ebenso interessiert haben wie seine Leser, die mit ihm jung waren und langsam älter wurden und immer noch was dazulernen wollten über die Nazizeit, von der jeder nur seinen kleinen Ausschnitt gekannt hatte. Das machte den „Spiegel“ so erfolgreich. Das gab Stoff für Tausende von Seiten.

Was macht Leni Riefenstahl, was Kristina Söderbaum, wie war es wirklich mit Albert Speer, mit Generalfeldmarschall Paulus, mit Goebbels’ Frauen, mit Görings Drogensucht, mit Rommels Afrika-Feldzug, mit Gallands und Mölders Abschüssen feindlicher Flugzeuge. Waren die Abschuß-Zahlen womöglich nach oben korrigiert, das Ritterkreuz mit Schwertern verdient? Das interessierte Augstein, das interessierte die Leser.

War alles wirklich so schlimm? Hat der Führer das gewußt? Die Antwort: Es war noch viel schlimmer, aber anders. „Spiegel“-Leser, so hieß der Slogan, wissen mehr. „Spiegel“-Leser wußten mehr vom Führer, von Göring und Goebbels und allen den anderen. Wie lebten die in ihren Bunkern, und wie war es mit ihren Frauen und mit ihren Weibergeschichten und vegetarischen Eintopfsuppen und mit den Gelagen und mit dem Kunstraub und der Extra-Uniform, das war endloser Stoff für den „Spiegel“, Woche für Woche. Augstein brachte die Nazi-Zeit den deutschen Lesern, die sie selber ja nur immer an einer einzelnen Stelle der Front, auf der Flucht, im Luftschutzbunker oder in ihrer kleinen Stadt miterlebt hatten und nicht in den Zentren der Macht, so richtig nahe. Chefredakteur und Leser waren eine Einheit: gegen die Diktatur, aber doch sehr interessiert an ihrer Erscheinungsform. Wie war es genau, das Schlimme? Hauptsache, die Details stimmen. Stimmte das, daß wir den ersten Düsenjäger der Welt gebaut haben, die deutsche Me 262 A-1a (Schwalbe), mit der fast gleichzeitig gebauten Me 262 A-1b nicht zu verwechseln, ebensowenig wie das Ritterkreuz mit Schwertern mit dem Ritterkreuz mit Schwertern und Brillanten. Wievielmal wurde es überhaupt verliehen? Das wird nie in der Quiz-Sendung mit Jörg Pilawa und Günther Jauch gefragt. „Spiegel“-Leser könnten es beantworten.

50mal Albert Speer, 14mal Kristina Söderbaum, 200mal Goebbelstagebücher, 100mal Führerbunker. Ohne Gewähr.

Hatten wir nun doch Wunderwaffen? Nein. Eigentlich nicht, aber fast, immerhin bauten wir an der Atombombe, wir hatten auch die ersten Raketen dazu, die ersten Düsenjäger sowieso, und die Verflüssigung von Kohle zu Benzin für Flugzeuge und Panzer war eine deutsche Erfindung. Wer war schuld an den KZ-Greueln? Wer wußte davon? Bitte melden. Die eigentliche Entnazifizierung fand im „Spiegel“ statt, und alle wurden eingestuft als nicht sehr belastet – ausgenommen natürlich die ganz schlimmen Fälle, die Verbrecher, KZ-Kommandanten und Mordkommandos, dagegen waren alle, niemand wollte dafür sein.

Die Leserschaft des „Spiegel“ hat sich verjüngt. Von den Lesern von 1950, den Kriegsteilnehmern, den Überlebenden von Flucht, Bombenkrieg und Gefangenschaft, ist die Hälfte gestorben, aber vorher hatten sie die deutsche Wirtschaft wieder angekurbelt, Arbeitsplätze geschaffen und die Städte wieder aufgebaut. In diesen Städten wuchs die neue Generation der „Spiegel“-Leser auf, die Anzeigenseiten des „Spiegel“ wuchsen um das Fünffache und die Anzeigenpreise um das 20fache, und nachdem die Städte und Fabriken halbwegs gut aufgeräumt und die Kinder des Wirtschaftswunders in die neu aufgebauten Universitäten eingezogen waren, gingen die meisten von ihnen erst mal demonstrieren, als Anhänger der antiautoritären Revolte von 1967/68. Mit ihnen kam eine neue Welle von Entnazifizierung ins Land, aber diesmal entnazifizierten nicht die Besatzungsmächte die Deutschen, diesmal entnazifizierten die Söhne und Töchter ihre Eltern, der „Spiegel“ half auch hier mit exakten Daten und Enthüllungen über bisher unbekannte Details. Und vor allen Dingen Fotos. Der „stern“ immer dabei, seit den „Hitlertagebüchern“ aber vorsichtig.

Zwei ganze Generationen sind seither dazugekommen und wissen immer noch mehr, aber dieses seltsame Interesse an Bildern von damals, man muß schon sagen, die Faszination, hat sich erhalten, und selbst die Enkelkinder der ersten „Spiegel“-Leser haben dieses Interesse an den Führerbildern und Filmen und Aufmärschen und Klatschgeschichten scheinbar im Kopf und wollen die „furchtbare Zeit“ immer noch mal sehen, und seit es, ab 1998, im ZDF die populären Fernseh-Serien über die NS-Zeit von Guido Knopp gab, schwemmte der Trend noch mehr Interessenten ins „Spiegel“-Haus. Hitler, Hitler, Hitler. Die Deutschen seien krank, sagt meine griechische Freundin.

Sind die Deutschen wirklich krank? Oder nur die „Spiegel“-Leser und die Leser des „stern“? Hitler und sein Hund, Hitlers letzte Geliebte, Hitlers ehemalige Geliebte, Hitlers versteckte Schwester, Hitlers Kusine, Hitlers Arzt, Hitlers Medikamente, Hitlers Freunde im Hause Wagner, Hitler und Leni Riefenstahl, Hitlers Verklemmtheit, Hitler als Nichtraucher, Hitlers Zeichnungen. Und Hitlers Architekt, der natürlich ganz besonders, er war auch noch ein Frauentyp. Wenn kein Sex-Titelbild mehr über das Sommerloch hilft, der Führer tut es. Es ist immer Führerwetter in Deutschland.

Foto: Berlin 2007: Hakenkreuzfahne weht für den Film „Valkyrie“ vor dem Finanzministerium.


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