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25.08.07 / Kurtchens Kopfstand / Jugendlicher Übermut tut selten gut und hat Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-07 vom 25. August 2007

Kurtchens Kopfstand
Jugendlicher Übermut tut selten gut und hat Folgen
von Eva Kobs-Grommeck

Es war im Winter 1902, als die vier Jungen der Kunzfamilie auf den Osteroder See zum Eislaufen gingen. Sie hatten Holzpantinen an den Füßen. Damit konnten sie gut schliddern. Das siebenjährige Kurtchen allen voran. Ihm war von Mutter Anna die Verantwortung für seine Brüder übergeben worden.

Auf dem Eis ging’s schon lustig her, als sie dort ankamen. Auf’s Karlchen, gerade zwei Jahre alt, sollte Kurtchen besonders achten, hatte die Mutter gesagt. Das war für Kurtchen eigentlich selbstverständlich. Doch oh weh, bald gab’s einen Tumult und ein Schrei war zu hören. Karlchen hing in einem Wasserloch, das ja winters aufbleiben mußte, damit die Frauen dort das Wasser für’s Wäschewaschen schöpfen konnten. Die Ärmchen des Kleinen hingen zu beiden Seiten noch auf der Eisdecke, als Kurtchen dazu kam und die Bescherung sah. Schnell packte er sein Brüderchen am Schlafittchen und zog es aus dem Eisloch. Der Kleine triefte nur so.

Schnell liefen sie zu Mutter Anna und stellten sich an den Ofen. Da stellten sie sich ganz von selbst hin, wenn sie etwas ausgefressen hatten. „Lorbaß du einer“, sagte die Mutter zu Kurtchen und gab ihm eine kräftige Ohrfeige. Sie entkleidete das Karlchen, rieb es trocken, bis sich die Haut rötete und flößte ihm einen warmen, verdünnten Bärenfang ein. Anschließend legte sie ihn mit einem in ein Handtuch gewickelten Ziegelstein ins Bett. Dann steckte sie die beiden anderen Lauselümmel ins Bett. Kurtchen befahl sie, sich umzukleiden.

Mit Schrecken fiel ihr im Dunkelwerden ein, daß sie Streichhölzer für den nächsten Morgen benötigte. Sie schickte ihren Ältesten zu ihrer Schwägerin, die auf der anderen Straßenseite wohnte, wo der Mann eine Gaststätte betrieb. Kurt bekam fürchterliche Angst, in die Dunkelheit zu gehen. Mutter Anna duldete jedoch keinen Widerspruch, schon gar nicht an diesem Abend.

„Was möchtest du, Kurtchen“, fragte ihn Tante Gertrud, als er zur Tür hereinkam, „es ist doch schon so dunkel ...“ „Streichhölzer, Tantchen“, bat er. Sein drei Jahre älteres Kusinchen stand in der Tür, winkte Kurt zu und sagte: „Ich zeig’ dir was ...“ „Ich muß nach Haus, Trudchen ...“ „Aber wo, komm schon!“ Sie nahm ihren Cousin an die Hand und ehe Mutter Gertrud sich versah, hatte sie ihn in den Getränkekeller entführt.

Dort griff sie zielsicher nach einem Becher und verführte das Kurtchen zur Weinprobe. Mit einem Lachanfall, der nicht aufhören wollte, gingen die Kinder nach einer Weile nach oben. Kurtchen schwankte auf dem Heimweg und fiel über eine hartgefrorene Schneeschrunde, wobei sich seine Streichhölzer, die er fest im Griff hatte, entzündeten. Oh oh ... Er heulte, als er seiner Mama gegenüberstand und fiel der Länge nach hin. „Das wollte ich nicht, Mama“, stotterte er.

Anna holte sogleich die Zinkwanne aus der Vorküche und steckte ihn da hinein, begann ihn zu waschen, während es in Kurtchens Kopf schwer brummte. Tante Gertrud kam zur Tür herein. Hinter vorgehaltener Hand konnte sie sich das Lachen nicht verbeißen und bekannte: „Mein Trudchen und dein Sohn haben im Keller einiges gezwitschert. Trudchen hat gebrochen. Nimm’s nicht zu schwer, liebe Anna. Ich schicke Trudchen mit Streichhölzern zu dir.“

Wenige Minuten später kam Trudchen ohne wie sonst zu klopfen zu Tür herein und brachte die versprochenen Streichhölzer. Kurtchen saß derweil splitternackt in der Wanne. „Schau Trudchen“, sagte er voller Scham. „Ich kann in der Wanne Kopfchen stehen. Ich mache dir’s vor ...“ Mutter Anna hatte das überhört, weil sie noch einmal zu den jüngeren Geschwistern an die Betten ging und bei Karlchen nach dem Fieber sah. Nun, die Wanne stand auf zwei Stühlen. Kurtchen war zwar ein guter Turner, aber diese Situation war der Wanne zu viel. Sicher stand er Kopf, aber auch mit ihm die Wanne, deren Wasser sich in der ganzen Küche ergoß. Trudchen suchte schnell das Weite. Anna hörte das Poltern in der Küche. Eilends kam sie heraus, schlidderte, konnte sich aber noch halten und suchte nach einem Wischlappen.  Mit diesem versuchte sie das Wasser aufzusaugen. Sie drückte den Wischlappen zwar aus, bevor sie kräftig zulangte, und so spürte Kurtchen den Rest so lang wie er gewachsen war. „Ich werde dir helfen Kopfchenstehen, du Schlawiner ...“ Kurtchen vergaß diese Geschichte bis ins hohe Alter nicht.


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