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01.09.07 / »Ich bin ein Sonntagskind« / Eine Begegnung mit Karin Stilke, die einst von den großen Fotografen der Zeit abgelichtet wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

»Ich bin ein Sonntagskind«
Eine Begegnung mit Karin Stilke, die einst von den großen Fotografen der Zeit abgelichtet wurde
von Susanne Deuter

Nach einem halben Jahrhundert steht sie erneut im Scheinwerferlicht, kommt ein wahrer Boom auf sie zu. Die Medien aus allen Himmelsrichtungen suchen den Kontakt zu ihr. Gerade entsteht ein Filmbeitrag für den NDR. „Es ist wirklich unglaublich. Ich kann’s immer noch nicht verstehen“, freut sich Karin Stilke. Von 1936 bis 1957 war sie das wohl gefragteste deutsche Fotomodell. Eine ungewöhnlich lange Zeit in dem Beruf, den die gebürtige Bremerin ursprünglich gar nicht angestrebt hatte. Doch der Zufall, der ja bekanntlich keiner ist, führte Regie. Und so ist sie auch heute noch, mit 90 Jahren, eine Freude fürs Fotografenauge. Ob im Türrahmen bei der Begrüßung oder im Sessel beim Gespräch: Sie steht und sitzt einfach anders da – perfekt! Entweder man hat’s oder man hat’s nicht. Sie hat’s.

Karin Stilke, damals noch Lahl, lebte als angehende Dolmetscherin für Englisch in Berlin, als sie 1936 von der Fotografin Yva auf dem Kurfürstendamm angesprochen und entdeckt wurde. Was dann folgte, befindet sich seit kurzem nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln, sondern zeigt auch die Sonderausstellung „Karin Stilke: Fotomodell“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Zur Eröffnung war der Spiegelsaal vollbesetzt. Sie wurde gefeiert. „Das hat mir Freude gemacht. Es war so eine wunderbare warme Atmosphäre.“ Momente, die bleiben und guttun.

Rechtzeitig zur Ausstellung entstand ein gewichtiges Buch, das mit den Lebenserinnerungen Karin Stilkes beginnt: „Ich bin ein Sonntagskind.“ Der zweite Teil von Christoph Moderegger ist nicht nur eine Reise durch die Geschichte der Modefotografie, er enthält vor allen Dingen herrliche Aufnahmen von Karin Stilke aus den vielen Jahren als Topmodell.

Damals schminkte man sich mit den wenigen Mitteln noch selber. Das macht sie weiterhin, sogar vor dem Spiegel, obwohl sie kaum noch sehen kann. Eine außergewöhnliche Frau. Die war sie mit Sicherheit für all die Modefotografen, zu denen auch F. C. Gundlach gehörte, der stets ihre große Professionalität hervorhebt. Karin Stilke betont gern, daß der Beruf nicht ihr Leben ausmachte. Es war viel Spaß dabei. Und es war eine andere Zeit. Während heute Models wie Claudia Schiffer und Heidi Klum durch die Welt reisen, beschränkte sich der Arbeitsplatz damals doch mehr auf das Atelier der Fotografen. Da wurde improvisiert, gezaubert, und schon war sie da, die nötige Kulisse für Fotos, die in Modezeitschriften wie „Die Dame“ und „Film und Frau“ erschienen. Auch für Werbezwecke war Karin Stilke, ebenso elegant wie sportlich, ein beliebtes Modell. 1950 beispielsweise grüßte ihr Porträt von allen westdeutschen Litfaßsäulen. Sie, die Nichtraucherin, machte Reklame für Texas-Zigaretten.

Karin Stilke kann auf ein reiches gesellschaftliches Leben zurückblicken, voll interessanter Begegnungen und Freundschaften. Schon in ihrer ersten Berliner Zeit verkehrte sie in einem Künstlerkreis, zu dem Erich Kästner, Gustaf Gründgens, Curt Goetz und Lilian Harvey zählten. „Ich hab einfach dabei gesessen und gelauscht, war begeistert davon, was ich so zu hören bekam. Und gerade wenn man aus der Provinz kommt.“ Hans Söhnker war Karin Stilke schon aus Bremen verbunden, Curd Jürgens lernte sie bei Modeaufnahmen in Berlin kennen und Marlene Dietrich in Venedig, ihrer Lieblingsstadt. Die wohl wichtigste Begegnung war die mit dem Unternehmer Georg Stilke. Auf einer Party in Potsdam lernten sie sich 1938 kennen. Bis in die Gegenwart hinein tragen Bahnhofsbuchhandlungen seinen Namen. Am 6. August 1941 wurde geheiratet. Das Leben mit einem Buchhändler kam ihrer Leselust nur entgegen.

Auf Schloß Ringelsdorf, dem Familienbesitz der Stilkes 100 Kilometer entfernt von Berlin, hat Karin Stilke die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erlebt und überlebt. Zu den schönen Erinnerungen gehört das Landleben mit Tieren: „Wir hatten auch Puten, und ich merkte, daß die kleinen Puten immer starben.“ Sie habe sich schlau gemacht und gelernt, daß die Tiere kein Regenwasser trinken dürfen.

Dann waren die russischen Besatzer fort. „Nichts ist übrig geblieben. Wir hatten keinen Pfennig in der Tasche und auch nur das an, was wir schon ein Vierteljahr lang getragen hatten.“ Das Paar zog zunächst ins Stadthaus nach Berlin, das zum Teil bewohnbar war. Berlin lockt sie heute nicht mehr. Von anderen geliebten Orten wie Berchtesgaden („Ich habe in Salzburg jeden ,Jedermann‘ der Nachkriegszeit gesehen.“) und Morcote bei Lugano hat sie Abschied genommen. Längst ist Hamburg ihr Zuhause. Die begeisterte Spaziergängerin fühlt sich wohl in Alsternähe. „Natur, wo auch immer, ist für mich ein Platz der Ruhe. Bäume finde ich toll. Als Kind habe ich sie immer gern umarmt und mir eingebildet, daß sie mir Kraft geben. Es ist ein besonderes Gefühl.“

Bereits 1974 starb ihr Mann Georg Stilke. Ganz in seinem Sinne gründete sie eine Stiftung für alte Menschen. „Man darf die Alten nicht vergessen. Sie ertragen stumm ihr Leid. Alles andere hat irgendwo eine Lobby.“ So gibt es in Genthin unweit von Magdeburg ein Seniorenzentrum, das nach Georg Stilke benannt ist. Bis vor kurzem war es noch in Schloß Ringelsdorf untergebracht, doch mehr Raum wurde benötigt.

Auch in Hamburg unterstützt die Stiftung diverse Einrichtungen für alte Menschen. Beim Montagstreff im Pöseldorfer Stilke-Haus ist Karin Stilke regelmäßig mit dabei.

Sie ist ein lebensfroher, dankbarer Mensch. Wie lautet ihr Rezept, wenn das Sonntagskind doch mal unglücklich ist?

„Dann sage ich mir immer, du hast wirklich ein Leben, wie viele es sich wünschen. Du hast liebe Menschen, die sich um dich kümmern. Schnell das hervorholen, was einen noch freut.“ „Fernhören“ und Hörbücher zum Beispiel, die Stunden mit ihrem 19jährigen Vorleser, Gespräche und Musik. Noch vor kurzem unternahm Karin Stilke eine ihrer geliebten Kreuzfahrten – ans Nordkap. Wenn sie auch wegen der schlechten Augen auf Landausflüge verzichten mußte, an Bord gab es genug Abwechslung. Für einen wachen Geist wie Karin Stilke allemal.

Die Ausstellung „Karin Stilke: Ich bin ein Sonntagskind – Erinnerungen eines Fotomodells“ ist im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe täglich (außer montags) von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr zu sehen, Eintritt 8 / 5 Euro, bis 23. September.

Fotos: Noch heute charmant: Hutmode im März 1941 präsentiert von Karin Stilke; Eine außergewöhnliche Frau: Karin Stilke heute


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