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01.09.07 / Trost bei Schenkendorf / Lieder und Gedichte als Lebensbegleiter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-07 vom 01. September 2007

Trost bei Schenkendorf
Lieder und Gedichte als Lebensbegleiter
von H. Patzelthennig

Meine erste „Begegnung“ mit Max von Schenkendorf hatte ich in Tilsit, wo er als Denkmal auf hohem Sockel stand. Als Siebenjährige sah ich ihn dort im Sommer 1944 zum letzten Mal. Nach der Flucht im folgenden Herbst und der Rückkehr in die Heimat im Frühjahr 1945 streifte ich Tilsit nicht mehr. Aber Max von Schenkendorf tauchte manchmal durch Wort und Reim in meinem Kinderleben auf, denn mein Großvater bemühte sich in den folgenden vier erbärmlichen, schullosen Jahren, mir das eine oder andere, was er für wissens- und lernenswert hielt, beizubringen. Es geschah bei Tätigkeiten, in die ich einbezogen wurde. Arbeiten, die dem einzigen Zweck des damaligen Daseins, dem Sattwerden, dienten.

Großvater erzählte Geschichten aus dem Leben wie auch solche, die er noch aus der eigenen Schulzeit im Gedächtnis hatte. Und er sagte auch viele Gedichte auf bis hin zu Sprichwörtern. Außerdem sangen wir oft – meistens Choräle. Sehr gern auch „In die Ferne möcht’ ich ziehen“ von Max von Schenkendorf. Eine Sehnsucht, die aus unserer Verbannung damals ihre Berechtigung hatte. Max von Schenkendorf war mit dem Anfang eines seiner Gedichte manchmal auch dabei, wenn ich mit Mutter und Großvater vor den Gemüsebeeten kniete oder vor den mit dem Spaten „beackerten“ kleinen Landstücken, um auf ihnen das Unkraut zu jäten. Dort hörte ich von Großvater, wenn mich die Lust an der Arbeit gänzlich verließ, immer wieder: „Ein Gärtner geht im Garten, wo tausend Blumen blühn, und alle treu zu warten ist innig sein Bemühn. Der gibt er sanften Regen und jener Sonnenschein. Das nenn ich treues Pflegen. Da müssen sie gedeihn.“ Wenn es auch nicht ganz paßte, verstand ich doch, was ich verstehen sollte.

Als man uns dann vom großelterlichen Hof, auf den wir zurückgekehrt waren, unverhofft verwies und wir in Ragnit, in einem kleinen zugigen Raum einen argen Winter ohne jegliches Heizmaterial verbrachten, so daß man nicht nur draußen, sondern auch drinnen schrecklich fror, sprach ich aus Sehnsucht nach Frühling und Wärme die folgenden Schenkendorfverse oft still vor mich hin: „Mildes warmes Frühlingswetter, weh mich an du laue Luft. Allen Bäumen wachsen Blätter, Veilchen senden süßen Duft.“ Ich hatte sie wie vieles andere Gereimte, was Großvater mir nahegebracht hatte, irgendwann auswendig gelernt und handhabte sie jetzt mitunter fast wie ein Gebet. – Und dabei hatte ich sogar das Empfinden von einem kleinen bißchen Erleichterung beim Ertragen der Kälte. Vielleicht durch die gedankliche Ablenkung.

1949 waren wir dann in einem niedersächsischen Dorf angelangt. Und in der kleinen Schule, die ich dort besuchte, lernten wir bald darauf das Lied „Freiheit die ich meine“ von Max von Schenkendorf. Dieser Text sprach mich so an, daß ich ihn – und nur ihn – in unserer kleinen Flüchtlingswohnung tagelang trällerte. Meine Begeisterung für eben dieses Lied nährte wohl auch zusätzlich der Begriff Freiheit, die mir erst seit einigen Monaten zur erlebten Wirklichkeit geworden war, nachdem wir zwei Grenzen innerhalb eines halben Jahres hinter uns gelassen hatten oder besser gesagt hinter uns lassen konnten.

In den Jahren, die folgten, und durch die weiteren Jahrzehnte tauchte dann in heimatlicher Literatur und entsprechenden Druckwerken immer wieder Max von Schenkendorfs Gedicht „Muttersprache, Mutterlaut“ auf, das in so großem Umfang vielleicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung seine größte Anerkennung fand.

Was mich persönlich unabhängig von seinem literarischen Werk immer wieder sehr anspricht, sind Worte aus einem Brief von Max von Schenkendorfs an Karoline von Wolzogen vom März 1815. Da heißt es: „... Rückwärts geht Gott und die Zeit nicht – also in Gottes Namen vorwärts.“ Auf diese Worte griff ich schon so manches mal zurück.


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