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08.09.07 / Kirche ist kein Experimentierfeld? / Debatte über Zulassung der Lateinischen Messe bei Protestanten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-07 vom 08. September 2007

Kirche ist kein Experimentierfeld?
Debatte über Zulassung der Lateinischen Messe bei Protestanten

Die Wiederzulassung der Lateinischen Messe in der katholische Kirche hat auch auf protestantischer Seite eine Debatte darüber entfacht, ob nicht die Liturgie im Gottesdienst eine größere Rolle spielen sollte. Die Philosophieprofessorin und Dozentin an der Freien Theologischen Akademie Gießen Edith Düsing gehört zu den Unterzeichnern des „Manifestes zur Wiederzulassung der überlieferten lateinischen Messe“ und sieht in ihr ein Vorbild auch für evangelische Gottesdienste. Völlig anders sieht es der Baptistenpastor Klaus Schönberg.

Pro

1. Die alte Lateinische Messe zeichnet sich durch ihre hohe ästhetische Qualität aus und gehört zum europäischen Weltkulturerbe, das ebenso wenig wie die Musik von Monteverdi auf den Schutthaufen vergangener Geschichte geworfen werden darf. Traditionsbewahrung ist heute wichtiger denn je, da wir Gefahr laufen, im Konsumrausch das Beste zu vergessen: die Ehrfurcht vor Gott und die Achtung vor dem unendlichen Wert jedes einzelnen Menschen. 2. Als evangelische Philosophin begrüße ich als Pendant zur Zulassung der Lateinischen Messe evangelische hochkirchliche Bestrebungen, die eine Aufwertung der liturgischen Form gegen die überhandnehmenden „Häresien der Formlosigkeit“ vornehmen. Schon Goethe hat laut „Dichtung und Wahrheit“ (7. Buch) im evangelischen Gottesdienst die mangelnde sakramentale Konsequenz und Fülle vermißt. Liturgie zum Experimentierfeld zu machen, trivialisiert ihre symbolischen Inhalte und widerstreitet der Würde des christlichen Gottesdienstes, der einer festen gewachsenen Form bedarf, die nicht von Akteuren nach Belieben manipuliert werden kann. Die biblische und reformatorische Substanzlosigkeit vieler evangelischer Predigten mit ihren peinlichen Pseudo-Aktualisierungen fällt um so schmerzlicher ins Gewicht, wenn auch die Liturgie entleert ist. 3. Für mich ist wahre Kirche dort, wo ein sakraler Raum durch in ihm dargebrachte Symbole, getätigte Worte, geistlich inspirierende Musik in seiner ganzen Atmosphäre in der Seele des Eintretenden Ehrfurcht zu erwecken vermag, wie sie beispielhaft in Tersteegens Lied hervorleuchtet: „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten …“ 4. Freundschaft und Sympathie mit christusgläubigen Katholiken bekunde ich mit meiner Unterschrift für die nun wiederzugelassene Lateinische Messe. Pietätvolle Bewahrung heißt nicht restaurative Fixierung auf ein archaisches überholtes Erbe, sondern Treue zum kostbarsten Anvertrauten und Pochen auf erlaubte Vielfalt gegen eine erzwungene Uniformierung. Eben dies fehlt der evangelischen Kirche immer wieder, die wie in vorlaufendem Gehorsam zum Zeitgeist von Anpassung zu Hörigkeit, von Hörigkeit zu pseudoliberaler Intoleranz gegen ihre eigenen Treuen im Lande voranschreitet. Eine sich selbst aufhebende Liberalität, in der alles erlaubt ist, aber niemand mehr ein „Dominus dixit“ („Der Herr hat gesprochen“) sagen darf, führt die Kirche in den Abgrund gesellschaftlicher und weltgeschichtlicher Unglaubwürdigkeit, den sie sich selbst bereitet hat.

Kontra

Zur Frage, ob auch evangelische Gottesdienste liturgischer werden müssen, sage ich ein Ja im besondern und ein Nein im allgemeinen. Ja, der geforderte hochkirchliche evangelische Gottesdienst (wahrscheinlich in Form von Personalgemeinden) ist ein legitimer Versuch, den „Herrn der Herren“ zu ehren. Zusammen mit den Gottesdienstformen katholischer, evangelischer und freikirchlicher Kirchen bietet er den unterschiedlichen Gruppen der postchristlichen Gesellschaft individuelle Zugänge zu Gott.

Doch ich sage Nein zu der Möglichkeit, den sakral-traditionellen Ansatz als „Modell“ für einen flächendeckenden Reformversuch zu interpretieren. Er ist trotz gegenteiliger Beteuerung der Versuch, den Inhalt (die Präsenz Gottes) über die Form (Liturgie) wiederzugewinnen. Während am Anfang eine Bewegung aus dem Geist geboren und von charismatischen Persönlichkeiten getragen wurde, wird sie in den nächsten Generationen von Verwaltern kontrolliert. Der Dynamik folgt die Statik. Der Geist des Aufbruchs wird in Regeln und Ordnungen gefaßt und in einer Liturgie für sakrosankt erklärt. Nein, weil wir zu schnell vergessen, daß es einen Grund gab, sich von der tridentinischen Messe und sakralisierten Gottesdiensten zu verabschieden: daß nämlich, mantraartige Wiederholungen von Doxologien, die – ohne Verstand und Willen erreicht zu haben – glaubenslos wiederholt wurden, eine Kirche ohne Nachfolger Jesu und eine mehr oder weniger abergläubische Volksfrömmigkeit hervorbrachten. Nein, weil Menschen sich nicht am Skandalon einer unverständlichen Liturgie, sondern nur am Skandalon des Kreuzes stören sollen. Selbst Paulus hat den häretischen Korinthern nur etwas mehr Ordnung, keinesfalls aber eine Art Liturgie verschrieben. Nein, weil alle Liturgien zeitbedingt sind und per se veränderlich sein müssen. Weil die kulturellen Bedingungen, unter denen das Evangelium verkündigt wird, sich ständig verändern, muß die Form des Gottesdienstes sich immer wieder ändern, ohne den Inhalt preiszugeben.

Ecclesia semper reformanda est – die Kirche muß ständig reformiert werden. Wer aber glaubt, den Inhalt durch die Form bewahren zu müssen und zu können, wird – ohne es zu wollen – den Inhalt preisgeben. Jede Kirche, die in Zukunft eine evangeliumsgemäße, glaubensgestaltende Rolle in unserer Gesellschaft spielen will, muß christozentrisch und kulturrelevant sein. Wenn nicht, wird sie zunehmend irrelevant.


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