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08.09.07 / Kinder als sozialer Abfall / Straßenkinder in Kinshasa: Opfer von Aberglaube und Armut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-07 vom 08. September 2007

Kinder als sozialer Abfall
Straßenkinder in Kinshasa: Opfer von Aberglaube und Armut
von Jürgen Förster

Kinshasa, Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Leben hier sieben, acht oder gar neun Millionen Menschen? Auf jeden Fall heute mehr als gestern. Die Kunst, auf dieser urbanen Müllhalde zu überleben, dabei nicht zu verzweifeln, das können sie, die Kongolesen, und sind dabei offenherzig, dem Fremden zugewandt.

Kinshasa saugt Menschen aus dem Landesinneren auf wie ein Schwamm. Die korrupten Eliten versorgen nur sich selbst. Kinshasa befindet sich in der Krise. Die Demokratische Republik Kongo ist unabhängig seit 1960, nach einer grausamen Geschichte als belgische Kolonie unter Leopold II. Immerhin gab es damals eine tadellos funktionierende Infrastruktur, Kinshasa hatte das Flair einer Weltstadt. Hiervon zeugen nur noch Rudimente. Die Wirtschaft taumelt seit 47 Jahren in rasanter Talfahrt, beschleunigt durch Aufstände und kriegerische Konflikte. Die Arbeitslosenquote strebt der 100-Prozent-Marke zu. Jeder versucht irgendwie zu überleben: als Händler am Straßenrand, als Mechaniker mit der Reparatur fossiler Automobile, oder als Beamter durch Erpressung zusätzlichen Einkommens vom hilflos ausgelieferten Klientel. Denn der Staat zahlt ihnen so gut wie nichts.

Kinder in die Welt zu setzen ist oberstes Gebot. Ein Mann hat eine Spur zu hinterlassen. Wen stört es, daß sich diese Spuren allzu oft bis hinaus auf die Straße verlängern? Konservative Schätzungen gehen von mindestens 10000 Straßenkindern in der Stadt aus. Damit nicht genug, auch Kinder aus armen Familien leben auf der Straße. Nein, sie versuchen hier zu überleben, suchen wie die obdachlosen Kinder nach dem täglichen Über-Lebensmittel, erledigen kleine Arbeiten für Marktfrauen, betteln oder stehlen.

Kinder verdienen für die Familie hinzu oder erkämpfen sich selbst die Mittel für den Schulbesuch. Sie wollen leben, wollen lernen und träumen von einer besseren Zukunft, die niemals stattfindet. Sie, die Armutskinder aus Familien als Kinder auf der Straße, und die Straßenkinder zusammen. Längst sind die ersten Straßenkinder Kinshasas erwachsen geworden, haben Partner gefunden und ihrerseits Kinder in die Welt gesetzt. Straßenkinder zeugen Straßenkinder. Eine Parallelgesellschaft ist entstanden – sie lehrt das Fürchten: Jugendgangs, Jugendliche ohne Chancen, terrorisieren bereits in einzelnen Vierteln die Bevölkerung.

Kinder als sozialer Abfall – vitale Paradoxie einer Kultur, die Nachwuchs einfordert und entsorgt. Eine widersprüchliche Kultur, in der nicht das Individuum, sondern die afrikanische Großfamilie zählt. Cousins und Cousinen sind Brüdern und Schwestern gleichgestellt. Als ebenso belastend gelten Mitbringsel aus früheren Partnerschaften. Nach Scheidungen lehnt der neue Partner häufig Kinder aus früheren Verbindungen ab. In vielen Familien wächst der Druck, die Anzahl der Mitesser zu verringern. Wie aber sich eines Kindes entledigen? Ganz einfach: Indem man es als Hexe entlarvt!

In der überkommenen Stammeskultur wird die soziale Ordnung durch Zauberei aufrechterhalten: Maßgebende Glieder des Clans werden als Zauberer initiiert und bekommen Macht über die unsichtbare Zwischenwelt der Ahnen und Geister. Eine Macht, die sie befähigt, Störenfriede der sozialen Ordnung mit okkulten Kräften zu bändigen, notfalls zu beseitigen. Die Angst vor diesen Mächten zwingt in die Schranken. Früher Tod, wirtschaftliche Schwierigkeiten, Unfruchtbarkeit: Immer wird die Ursache in der unsichtbaren Welt gesucht. Beweisbar ist nichts, und wirtschaftliche Schwierigkeiten hat jeder. Das familiäre Unglück wird personalisiert und alle unerträgliche Last auf die Schultern der Kinder gelegt.

So erging es auch Aristot, zwölf Jahre, Halbwaise. Er soll durch Zauberei seinen Bruder umgebracht haben. Als Hexer gebrandmarkt, wurde ihm das Leben zur Hölle gemacht, bis er die Familie „freiwillig“ verließ. Heute lebt er von den Brosamen der Marktfrauen, reinigt Marktstände und sammelt Holzkohlereste zum Verkauf.

Foto: Kinder: In der Hauptstadt der Republik Kongo haben Zehntausende kein Zuhause.


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