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15.09.07 / Geistige Klammer des Deutschen Ordens / Eine internationale Fachtagung beschäftigte sich in Thorn mit dem Marien-Mythos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-07 vom 15. September 2007

Geistige Klammer des Deutschen Ordens
Eine internationale Fachtagung beschäftigte sich in Thorn mit dem Marien-Mythos
von Walter T. Rix

Seine Abhandlung über „Die Wiederherstellung des Schlosses der deutschen Ordensritter zu Marienburg“ (1843) beginnt Joseph von Eichendorff mit der Bemerkung: „Es geht die Sage, am nördlichen Ende der Waldgegend, welche sich damals von Marienwerder heraufzog, auf dem hohen Nogatufer, wo jetzt die Marienburg steht, habe in alter Zeit ein Kirchlein mit einem wundertätigen Muttergottesbilde gestanden; eine Sage, womit das Volksgefühl am würdigsten die Weihe des Orts bezeichnet, von dem das Christentum, unter dem Schutze der heiligen Jungfrau, jene Wälder durchleuchten sollte.“ Nicht ohne Grund setzt Eichendorffs Darstellung mit dem Hinweis auf den Gründungsmythos des Ordens ein, hatte dieser doch seit seiner Gründung 1190 die Gottesmutter Maria zu seiner Patronin erkoren und durch seine gesamte Zeit hindurch eine ganz besondere Form der Marienverehrung entwickelt. Nach seinem Selbstverständnis war das von ihm kolonisierte und verwaltete Gebiet „Terra sanctae Mariae“. Zahlreich sind die Bildwerke und architektonischen Zeugnisse auch heute noch im Deutschordensland, die von der Marienverehrung künden. Zwar ist dieser Sachverhalt in der bisherigen Forschung durchaus zur Kenntnis genommen worden, aber es liegen erstaunlicherweise bisher keine verläßlichen Untersuchungen vor, in welchem Ausmaß der Marianische Geist eine geistige Klammer für den Orden bildete und bis zu welchem Grade er die Zeugnisse seiner Tätigkeit prägte.

Eine Antwort auf diese Frage zu finden führte 20 Historiker und Kunsthistoriker aus Deutschland und Polen an der Universität Thorn zusammen. Im Zentrum stand damit eine Fragestellung von zentraler wissenschaftlicher Bedeutung, die von ausgewiesenen Experten aus den unterschiedlichsten Perspektiven angegangen wurde. Die Leitung lag in den Händen der Professoren Gerhard Eimer (Kopenhagen), Matthias Müller (Mainz) und Kazimierz Pospiesnzny, Direktor des Instituts für Kunst- und Kulturgeschichte der Universität Thorn.

Zunächst bemühten sich die Teilnehmer der Tagung, die von der Kulturstiftung der deutschen Vetriebenen initiiert wurde, darum, das Grundmaterial für die spirituellen Strömungen des Ordens zu erarbeiten, weil hier die Voraussetzungen für seine Entscheidungen sowie seine Architektur und Ikonographie liegen. Die Entwicklung des Marianischen Ordensprinzipes läßt sich bereits am Beispiel der Marburger Elisabeth-Kirche nachweisen. Als Hauptkirche des Deutschen Ordens hat sie ihre Funktion erst 1809 durch Napoleon verloren. An ihrer Entwicklungsgeschichte läßt sich die Überlagerung von Elisabeth- und Marienverehrung aufzeigen. Die durch Konrad von Marburg erbaute Grabeskirche der Heilige Elisabeth wird topographisch teilweise in eine auf ihren Grundmauern entstehende neue Kirche eingemessen. Auf diese Weise ergänzt sich das Prinzip der Memoria mit der Bautechnik, und der Elisabethkult wird praktisch übertragen. In das Grundmuster der Marienkirche wird das Grundmuster der Elisabeth-Grabeskirche eingeschrieben, und indem die nachfolgende Kirche den Grundriß der Bethlehemer Geburtskirche wieder aufnimmt, erfährt sie eine besondere Heiligung. Dadurch werden die Voraussetzungen der Reliquienverehrung in die neue Kirche integriert. Die neue Schutzpatronin Maria nimmt die alte Schutzpatronin Elisabeth ikonographisch in ihren Mantel auf. Die äußere Gestalt der Kirche wird zum materiellen Leib des in ihr ruhenden Leibes. Auf diese Weise erzählt die Architektur die Geschichte von der Übernahme der alten Elisabeth-Verehrung durch den Deutschen Orden: Der Elisabethkult wird immer mehr an den Marienkult angenähert. Dies läßt sich auch am Beispiel des sich heute im Ostchor befindlichen Marienbildes nachweisen. Hier wurde ein älteres Marienglasbild eingesetzt und damit die kosmische Welt Elisabeths in den Marienkult eingefügt. Das abschließende Rundfenster zeigt eine unterhalb der gnadenspendenden Maria kniende Elisabeth und unterstellt sie so im Rang der Gottesmutter.

Die Ordensbrüder wurden ausnahmslos auf Maria als Leitbild verpflichtet, und durch acht Jahrhunderte hindurch zeichnet sich das gesamte Ordensleben durch einen engen Marienbezug aus, der vom Siegel bis zum Hauptbanner des Ordens, dem Marienbanner, reicht. Maria begleitete den Ordensbruder praktisch während des gesamten Tages. Im Rahmen des täglichen Officiums wurde ihrer gedacht, und bei jeder Nennung ihres Namens mußte der Ritter niederknien. Die absolute Sündenfreiheit Marias spielte dabei eine entscheidende Rolle. Der Ritter mußte in Fleisch und Gedanken jeglicher Sexualität abschwören. Eine sublimierte Liebesbeziehung war jedoch in Gestalt der Marienverehrung durchaus üblich. Im Ablauf des liturgischen Jahres kam Maria eine herausgehobenen Stellung zu. Das Ordensjahr kannte allein vier Marienfeste und nur zwei Jesusfeste. Die Mahlzeiten mußten schweigend eingenommen werden. Es gab jedoch sogenannte Tischlesungen, bei denen Mariengeschichten vorgetragen wurden. Die Erforschung der Rezeption dieser Tischlesungen erlaubt nun zahlreiche Rückschlüsse auf die praktischen Tätigkeiten des Ordens. Und schließlich ermöglichte die Kunde von den Marienwundern eine Anbindung der religiösen Welt an die Wirklichkeit des Alltagsgeschehens. Zwei Fragen mußte die Tagung in diesem Zusammenhang allerdings offenlassen: Weisen die Zeugnisse der Marienverehrung grundsätzlich auf ein Wirken des Ordens hin oder handelt es sich um ein gesamteuropäisches Phänomen? Was entspricht in der Mariendarstellung der verbindlichen Geisteswelt des Ordens und was entspringt der persönlichen Vorstellungswelt des einzelnen Ordensbruders?

Anhand konkreter Beispiele zeigten die einzelnen Vorträge die Wechselbeziehung zwischen dem Marienkult und den weltlichen Zeugnissen des Ordens auf. Die Beispiele reichten von der 1945 zerstörten Mosaikmadonna in der Ostnische der Schloßkirche der Marienburg über eine Diskussion von „Gott, Welt und Mensch in der Sicht der Deutschordensritter“ und einer Erörterung der Marienzeugnisse im Dom zu Königsberg und der Kirche in Arnau bis hin zu einer Schilderung der territorialen Auswirkung des Marienkultes im Rahmen des Vortrags „Die Neumark als Teil der Terra sanctae Mariae (1402–1455)“. Abgerundet wurde das theoretische Gesamtbild durch eine eintätige Exkursion, die nach Marienwerder, Marienburg, Pelplin, Pehsken und Kulm führte. In ihrer Gesamtheit vermittelten die Vorträge einen höchst aufschlußreichen und bisher nicht gebotenen Einblick in die geistige Tiefenstruktur des Deutschen Ordens. Sie verdeutlichten anschaulich, aus welchem Geist sich sein Selbstverständnis, seine Politik und nicht zuletzt auch seine Ästhetik ableiten. Dem in etwa einem Jahr erscheinenden Tagungsband kann man daher mit großen Erwartungen entgegensehen: Er wird einen wesentlichen Forschungsbeitrag liefern.

Foto: Die Marienburg: Ein mächtiges Bollwerk des Deutschen Ordens


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