18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.09.07 / Zu Besuch bei Tante Grete / Zeitvertreib und gleichzeitiges Eintauchen in eine andere Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-07 vom 15. September 2007

Zu Besuch bei Tante Grete
Zeitvertreib und gleichzeitiges Eintauchen in eine andere Welt
von H. Patzelt-Hennig

Wenn mich als Kind die Langeweile beschlich, ging ich gern zu meiner Tante Grete. Sie wohnte am anderen Ende unseres Dorfes. Ihre paradiesische kleine Wohnung befand sich im oberen Teil eines Bauernhauses. Tante Grete lebte allein und hatte für mich immer Zeit, wenn ich sie besuchte. Sie war seit dem Ersten Weltkrieg verwitwet und ihre beiden Söhne lange aus dem Haus, irgendwo in der Welt.

Ich war Tante Gretes einzige Großnichte und als solche eine der Hauptanwärterinnen auf das, was sich hinter den Türen ihres Glasschrankes befand, in der etwas nach hinten gerückten Porzellandose mit rosengeziertem Deckel. Für die Süßigkeiten, die sich darin befanden, lohnte sich der Weg durch das Dorf.

Was mich bei Tante Grete außerdem immer wieder interessierte, war die Schachtel mit den alten Fotografien. Viele davon stammten aus der Zeit, als ihre Söhne noch kleine Jungen waren. Man sah die Buben mit meiner Mutter zusammen von den Bildern lächeln. Mutter in einem sogenannten Russenkittelchen, die Jungen in Matrosenanzügen.

In Tante Gretes Stube gab es einen mannshohen Spiegel, der rechts und links Stellagen als Abgrenzungen hatte. Darauf standen Porzellanfiguren, die mich stets ins Träumen brachten. Es waren Schwäne mit Blumenkörben auf den Rücken und eine Tänzerin in einem Rüschenrock, wie ich ihn mir auch gewünscht hätte. Außerdem stand da etwas, das Tante Grete als Füllhorn bezeichnete.

Mit diesem Namen wußte ich allerdings nichts anzufangen, aber was aus dem spitztütenartigen Ding hervorquoll, war eine Pracht an Blüten.

Immer wieder beeindruckte mich auch die riesige Muschel, die Tante Grete dort liegen hatte. Wenn man sie ans Ohr hielt, hörte man darin ein Rauschen. Es sei Meeresrauschen, sagte Tante Grete. Doch das Meer, aus dem sie stammen mochte, war weit weg. Die Muschel aber rauschte hier, in Tante Gretes Wohnung. Ein Wunder schien mir das zu sein, ein wirkliches Wunder!

Was mir in Tante Gretes Wohnung nicht gefiel, waren die Bilder mit den Männern in Uniform, die zwischen den beiden Stubenfenstern hingen. Ihre riesigen Schnurrbärte störten mich, und es gefiel mir auch nicht, daß sie alle so ernst dreinblickten.

„Warum hast du die da bloß hängen?“ so fragte ich die Tante immer wieder.

„Sie gehören zu meinem Leben und sind alle aus Onkel Pauls Familie!“ bekam ich jedesmal zur Antwort. „Alle sind sie in verschieden Ländern gefallen und auf verschiedenen Friedhöfen begraben. Wenigstens hier sollen sie zusammen sein“, ergänzte sie meistens noch.

Wenn ich den Ausführungen Erwachsener nicht folgen konnte, sagte ich im allgemeinen nichts. So war es auch in diesem Fall. Still setzte ich mich aufs Sofa und begann an einem Kissen herumzuhantieren. Tante Gretes Sofakissen liebte ich! Am meisten die Schlummerrolle in Hellgrün und Rosa. Auch das rundgehäkelte kunterbunte mit den verwirrenden Streifen beschäftigte mich viel.

Das kuscheligste aber war das große eckige mit den leicht erhöhten Kästchen in Orange und Braun. So zartweich wie dieses war keines. Nicht nur einmal bin ich darauf beim Nachdenken niedergesunken und eingeschlafen. Und dann gab es da noch eins in dunklem Gelb mit silberner und hellgrüner Stickerei. Außerdem ein schwarzgrundiges mit vielen bunten Farben. Und oben, auf der Sofalehne, lag ein weißes, seidenunterlegtes Richelieukissen. Daß ich das in meine Kuscheleien einbezog, wünschte Tante Grete nicht; denn es war das Taufkissen ihrer Söhne. Nahezu ehrfurchtsvoll hielt ich mich an diese Weisung.

Auch machte es mich glücklich, zu wissen, daß ich selber ebenfalls auf einem Richelieukissen getauft worden war, das es auch noch gab. Mehr als dieses Taufkissen beeindruckte und beschäftigte mich allerdings noch das Bild, das bei Tante Grete über dem Sofa hing. Es berührte meine junge Seele jedesmal tief.

Auf dem Bild waren ein kleines Mädchen und ein kleiner Junge, die in dunkler Nacht auf einem schmalen Holzsteg einen breiten reißenden Bach überquerten, wobei die Gefahr deutlich ersichtlich war. Hinter den beiden aber schritt ein großer Engel, der schützend seine Arme ausbreitete, damit ihnen nichts geschah. Eigentümlich war, daß die beiden nichts von dem Engel zu wissen schienen, ihn gar nicht bemerkten. Dieses Bild machte mir wie nichts anderes glaubwürdig, daß Kinder einen Schutzengel hatten, der da war, sich aber nicht zeigte.

Ich fand es einfach wunderbar, daß man hier, bei Tante Grete, wenigstens auf dem Bild sehen konnte, wie Schutzengel aussahen. Schön und fromm wirkte dieser Engel. Und ich glaubte fest daran, daß meiner ein Abbild davon war.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren