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22.09.07 / Alle setzen auf Kernkraft / 16 Staaten in der »Globalen Partnerschaft für Nuklearenergie« – Deutschland bleibt beim Atomausstieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Alle setzen auf Kernkraft
16 Staaten in der »Globalen Partnerschaft für Nuklearenergie« – Deutschland bleibt beim Atomausstieg
von Klaus D. Voss

Die Kernenergie steht weltweit vor einer Renaissance: Inzwischen haben 16 Staaten eine „Globale Partnerschaft für die Nukleartechnologie“ (GNEP) geschlossen, um den Ausbau der friedlichen Atomnutzung voranzutreiben. Die Initiative ging von den fünf Gründungsmitgliedern  Vereinigte Staaten, Rußland, Japan, China und Frankreich aus.

Auf dem zweiten GNEP-Treffen jetzt in Wien schlossen sich elf weitere Staaten an: Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Litauen, Polen, Slowenien, die Ukraine, daneben Australien, Ghana, Jordanien und Kasachstan. Großbritannien will demnächst dazustoßen. Deutschland, bisher weltweit führend in der Konstruktion von Kernkraft-Anlagen, wird nicht mit am Tisch sitzen.

In diesem Club GNEP wird aller Erwartung nach über die künftige Energieversorgung mit Atomstrom entschieden – und natürlich wird dieses neue Atom-Kartell auch über die großen Geschäfte bestimmen, die mit diesen Anlagen zu machen sind.

Ein Geschäft mit vielen Vorbehalten und Beschränkungen: Die Teilnehmer wollen die Weiterverbreitung der Kernenergie zur zivilen Nutzung selbst kontrollieren – und damit verhindern, daß noch mehr Staaten in den Besitz von Atomwaffen kommen können.

Auch wenn es (noch) bestritten wird, aber damit wäre das Ende der IAEO besiegelt. Die Internationale Atomenergieagentur unter dem Dach der Uno sollte eigentlich den Mißbrauch von kerntechnischen Anlagen verhindern. Aber Nordkorea und der Iran haben die internationale Organisation in ihrer Machtlosigkeit vorgeführt.

Die Zeit drängt beim Ausbau der Energieversorgung – in dieser Branche müssen die Entscheidungen wegen der hohen Investitionskosten und der langen Vorlaufzeiten ohnehin auf weite Sicht getroffen werden. Die Eckpunkte stehen aber fest:

• Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung um zwei auf mehr als neun Milliarden Menschen anwachsen.

• Die großen Schwellenländer, darunter China, Indien, Brasilien, Indonesien, haben einen ungeheuren Energiebedarf; in Indien hat noch nicht einmal jeder zweite Haushalt einen Stromanschluß.

• Die meisten der heute 437 Kernenergieanlagen, die 16 Prozent des weltweiten Strombedarfs decken, stammen aus den 70er und 80er Jahren. Sie werden nach 40 bis höchstens 60 Betriebsjahren ersetzt werden müssen – 2020 ist das Stichjahr dazu.

• Einige Staaten, Vorreiter sind die USA, wollen sich von den Weltenergiemärkten so gut es geht abkoppeln. Wer ausreichend Energie aus eigenen Quellen produzieren kann, muß nicht Gas und Öl um und für jeden Preis importieren.

• Schließlich: In den Industrieländern soll der Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Erdöl eingeschränkt werden – das Stichwort dazu heißt „Klimaschutz“.

Entsprechend ehrgeizig sind die Ausbaupläne. In den USA sollen  29 Atomkraftwerke hinzugebaut werden, sechs bis zehn Bauanträge erwartet man in Washington noch bis zum Jahresende. Rußland hat sich schon entschieden: Bis zum Jahr 2015 werden zehn Reaktoren in Betrieb gehen, das rechnet sich von selbst: Atomstrom statt Gaskraftwerke im eigenen Land – die Russen können so mehr Erdgas für teuer Geld nach Westeuropa verkaufen. Noch nicht entscheidungsreif sind die Pläne aus Moskau, schwimmende Kernkraftwerke zu vermarkten. Auf Pontons sollen Reaktoren installiert werden, wie sie auch in Atom-U-Booten und anderen Schiffen verbaut werden. Diese mobilen Anlagen können überall eingesetzt werden, wo es ausreichend Kühlwasser gibt.

China hat den Konzern Toshiba-Westinghouse mit dem Bau von Kernkraftwerken beauftragt; die konkreten Pläne werden wie ein Staatsgeheimnis behandelt. In Frankreich und Japan bildet die Kernenergie ohnehin das Rückgrat der Stromversorgung.

Die Zeit ist günstig, um mit weniger Vorbehalten als bisher über die Nutzung der Kernenergie zu verhandeln. Selbst wenn man die Programme zur Vorbeugung gegen einen Klimawandel mit größter Skepsis verfolgt, die Diskussion um den „Klimaschutz“ hat einen großen Vorzug der Kernenergieanlagen herausgefiltert – sie sind „CO2-frei“. Ohne Atomenergie auf der Rechnung geht weltweit kein Klimaschutz-Plan auf. Selbst Patrick Moore, kanadischer Mitbegründer der Umweltschutzorganisation „Greenpeace“, setzt sich seit 2005 für die Nutzung der Kernenergie ein. Moore betrachtet inzwischen die „ideologischen Vorstellungen“ seiner ehemaligen Mitstreiter mit großer Distanz.

In der EU hat das Umdenken schon begonnen: Die Niederlande brechen gerade das Atom-Tabu und diskutieren ein Energiekonzept aus der Vor-Tschernobyl-Zeit. Das heißt konkret, fünf neue Reaktoren könnten gebaut werden. In Belgien geht es inzwischen um verlängerte Laufzeiten für die beiden Kernkraftwerke, ein drittes steht zur Debatte. Finnland ist schon einen Schritt weiter, Reaktor Nummer fünf ist im Bau – das modernste Kernkraftwerk der Welt, geliefert vom deutsch-französischen Konsortium Areva-Siemens. Selbst in Schweden hat sich der Wind gedreht. An den beschlossenen Atomausstieg bis 2010 glaubt kaum noch jemand, wahrscheinlich wird die Laufzeit der Kernreaktoren bis 2050 verlängert. Die Slowakei bestimmt gerade den Standort eines weiteren Atomkraftwerks im Osten des Landes.

Deutschland ist, was die vorausschauend sichere Energievorsorgung und den Einsatz von Kerntechnik angeht, die Problemzone Europas geworden. Eine Erblast aus der Schröder-Trittin-Zeit schreibt schrittweise den Atomausstieg vor. Im Jahr 2009 müßten demnach vier Kernkraftwerke abgeschaltet werden – also noch vor der regulären nächsten Bundestagswahl. Die CDU/CSU hat sich in der Großen Koalition darauf eingelassen, das Thema Atomausstieg nicht anzufassen. Eine Änderung des Atomgesetzes, die diese vier Anlagen zur Versorgung Deutschlands erhalten könnte, ist also in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu schaffen. Höchstens eine Entscheidung des Bundesumweltministers, der Laufzeiten einzelner Reaktoren auf andere übertragen darf, könnte abhelfen – aber Sigmar Gabriel (SPD) spielt seine Macht gegenüber der Energiewirtschaft voll aus.

Warum eigentlich – selbst auf die Fragen an der Sicherheit von Kernkraftwerken gibt es inzwischen eine beruhigende Antwort: Weltweit hat sich seit Tschernobyl kein Unfall mehr in einem Reaktor ereignet – und Tschernobyl liegt 21 Jahre zurück, genau genommen waren das 9100 störungsfreie Betriebsjahre der weltweit zusammengenommen 437 Kernkraftwerke; die Kleinanlagen auf Schiffen etwa nicht mitgerechnet.

 

Wer hat Uranerzvorkommen?

Die Renaissance der Kernenergie hat längst begonnen – das zeigt ein Blick auf den Uran-Weltmarkt. Der Brennstoff für die Atomanlagen war lange wenig gefragt, unrentable Gruben in Namibia sollten geschlossen werden. Jetzt ist dort alles anders: Weltbergbaukonzerne stehen in einem Wettlauf um die besten Lagerstätten. Der Preis für ein Kilogramm Uranoxid lag 2001 noch bei zehn Euro, jetzt schwankt er um die 120 Euro. In Australien – dort liegen 40 Prozent der wirtschaftlich förderbaren Uranerze – werden die großen Geschäfte gemacht. Rußland hat sich, obwohl das Land selbst über Uranvorkommen verfügt, den Zugriff auf australische Uranmengen gesichert, mit denen 30 neue Kernkraftwerke versorgt werden können. China hat in Australien Optionen auf Uranlieferungen in gleicher Größe ausgehandelt. Die Kern-Industrie rüstet sich für eine neue „goldene Ära“ wie in den 70er Jahren. Neben Australien und Rußland rückt jetzt auch Kasachstan in die Uran-Oberliga auf.             vs

 

Das Problem mit dem Abfall

Die Wiederkehr der Kernenergie stellt ein Thema in den Vordergrund, das weltweit noch weitgehend ungelöst ist – die Wiederaufarbeitung oder Endlagerung von abgebranntem Atommaterial. Auch Deutschland ist im Defizit: Durch die rot-grüne Vereinbarung zum Atomausstieg aus dem Jahr 2000 ist seit Mitte 2005 die Wiederaufarbeitung von Brennstäben unterbunden; dies wäre eine Möglichkeit, das eingesetzte Uran besser verwerten zu können. Zugleich hat die damalige Bundesregierung die Arbeiten an dem geplanten Endlager Gorleben um bis zu zehn Jahre aufgeschoben. Statt dessen wurden die Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, Zwischenlager für Atomabfälle mit ausreichender Kapazität vorzuhalten. De facto werden diese Zwischenlager für die dauernde Lagerung der alten Brennstäbe genutzt – das macht wenig Sinn. Die Zwischenlager sind sicherheitstechnisch das schwächste Glied in der nuklearen Entsorgungskette.        vs

Foto: Kernenergie: SPD-Generalsekretär Heil unterstreicht die SPD-Forderung zu einem geordneten Ausstieg.


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