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22.09.07 / Den Schwund organisieren / Forschungsinstitut schlägt vor: Brandenburgs abgelegene Regionen gezielt entvölkern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Den Schwund organisieren
Forschungsinstitut schlägt vor: Brandenburgs abgelegene Regionen gezielt entvölkern
von Markus Schleusener

In dem malerischen Ort Lebus nördlich von Frankfurt / Oder gibt es ein Viertel, in dem selbst kürzlich noch neue Einfamilienhäuser errichtet wurden. Bis zum letzten Quadratmeter ist das erst vor einigen Jahren als Bauland ausgewiesene Areal am Stadtrand vollgebaut worden.

Es gibt also auch Ecken in der Mark, die nicht nur unter Entvölkerung zu leiden haben. „Hier ziehen viele Familien her, auch mit Kindern“, berichtet ein Einheimischer stolz. Es sind vor allem Menschen aus dem nahen Frankfurt/Oder, die aus der Stadt aufs Land ziehen, Mitarbeiter beim Bundesgrenzschutz etwa oder bei anderen verläßlichen Arbeitgebern. „Wer Arbeit hat, dem geht es immer noch gut“, ist die Standardformel, mit der die Brandenburger ihre Lage unisono zusammenfassen.

Aber Lebus ist eine Ausnahme. Nicht weit entfernt, in der anderen Ecke des Oderbruchs, gehen die Lichter aus. Seelow schrumpft, obwohl die Stadtväter die Einwohnerzahl durch Eingemeindungen umliegender Dörfer oberhalb der 5000er-Marke zu halten versuchen.

Wer durch die Dörfer am Westrand des Oderbruchs fährt, die für Tagespendler sowohl nach Frankfurt als auch nach Berlin zu weit entfernt sind, der sieht verfallene Bauernhäuser und neue Bauruinen. Für ein paar tausend Euro werden sie angeboten, und trotzdem will sie keiner haben. Häuser mit 2000 Quadratmeter Grundstück stehen für unter 10000 Euro zum Verkauf.

Die Entvölkerung in den märkischen Randgebieten weitab von Berlin hält an. Glaubt man den Bevölkerungswissenschaftlern, wird sie auch nicht aufhören. Deswegen hat das Berlin-Institut für Bevölkerungswissenschaft jetzt zu Radikalmaßnahmen geraten. „Räumt Brandenburg“, lautet die Parole, die naturgemäß kein Politiker offen unterschreiben würde. Die aber längst klammheimlich umgesetzt wird!

„Das wird kein Politiker in Verantwortung sagen, aber de facto wird ein Ort geschlossen, wenn die Grundschule schließt. Dann hängt ein unsichtbares Schild am Ortseingang: ‚Aufgegeben!‘ Dann kommen keine Familien mehr, und die verbliebenen packen eher die Koffer“, heißt es in der Studie.

Diese entlegenen Regionen ohne Sparkasse und Post, in denen keine Busse mehr fahren, bluten mehr und mehr aus. Und wer zurückbleibt, ist meist ein Versorgungsfall: „Sozial schwach, einkommenschwach, wenig mobil, häufig von Transferleistungen abhängig“, umschreiben die Forscher des Instituts das einsame Restvolk.

Die notwendigen Gegenmaßnahmen, so das Institut, müßten revolutionär sein. Was sie vorschlagen, bricht radikal mit der deutschen Tradition des „Strukturausgleichs“, jenes regionalen Solidarsystems, in dem starke Gegenden den schwachen per Quersubvention unter die Arme greifen müssen.

Die abgelegenen Gebiete sollen statt dessen zu einer Art Wilder Westen werden, aus dem sich der Staat weitgehend zurückzieht. Steuern, Abgaben, Schulen, Bauvorschriften – weit über den bislang üblichen Rahmen hinaus sollen die Gemeinden frei entscheiden und auf eigene Rechnung wirtschaften. Im Wettbewerb wollen die Forscher die Entscheidung herbeiführen, welche Orte es schaffen und welche einfach verschwinden: „Ein Wettbewerb mit Gewinnern und Verlierern“. Ungeschützt durch zentrale Subventionen würden die schwachen untergehen, die starken Kommunen aber – befreit von etlichen Abgaben und Einmischungen von oben – bekämen ihre Chance. Wie autonome Kolonistensiedlungen könnten sie das Heft selbst in die Hand nehmen.

Von zentraler Bedeutung ist die Bildung, von der fast alles abhängt. Schaffen die Brandenburger es nicht, die wenigen Jungen besser aufs Leben vorzubereiten, dann gehen vielerorts bald endgültig alle Lichter aus. Vor allem junge Männer hinken ihren Altersgenossinnen immer weiter hinterher und drohen als „Prekariat“ zurückzubleiben, während die Frauen in großer Zahl in den Westen gehen.

Das Institut wünscht sich private Zwergschulen dort, wo es für eine staatliche Schule nicht mehr reicht. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Eltern einer Mini-Schule in einem abgelegenen Ort könnten nicht nur die Lehrkraft selbst aussuchen, sie hätten auch direkten Einfluß auf den Lehrbetrieb, den Eltern an großen, anonymen staatlichen Schulen oft vermissen.

Aber die möglichen Nachteile können kaum übersehenen werden: Mit den Verlierergemeinden dürfte es zügig bergab gehen. Wenn sich die ersten gutbetuchten Einwohner ins Nachbardorf absetzen, dann gibt es bald kein Halten mehr, weil eine Abwärtsspirale sondergleichen einsetzt. Umzugswillige sollen sogar eine Prämie erhalten. Keine Willkommensprämie, sondern einen Hau-ab-Gutschein also. Zurück blieben vergessene Menschen in vergessenen Dörfern.

Damit wäre genau das erreicht, was zunächst wie eine Provokation klingt: Das Land wird schrittweise geräumt. „Brandenburg den Bären“, titelte die „Frankfurter Rundschau“ bereits. Nun, Wölfe und vor allem Luchse soll es ja bereits wieder geben.

Die derzeitige Landflucht werde bis 2030 ohnehin fortdauern und sich dann sogar noch verstärken, weil es dann erst recht immer weniger Frauen im gebärfähigen Alter gebe, prognostizieren die Wissenschaftler. Auch viele westdeutsche Gegenden bleiben davon nicht verschont. In Schleswig-Holstein, im Harz oder in der Eifel wird den Vorhersagen zufolge ein ähnlicher Prozeß ablaufen, wenn auch nicht so schnell und so heftig.

Die Landtagsabgeordneten aus Brandenburg, die das Gutachten bestellt haben, sträuben sich übrigens parteiübergreifend gegen die Schlußfolgerungen der Berliner Forscher. Da wird ihnen vorgeschlagen, die Bürger in ihren Kommunen sich selbst zu überlassen, weil „die bisherige Strategie in den besagten Problemregionen gar nicht funktionieren kann“. Damit mögen sich die Politiker öffentlich noch nicht abfinden. De facto aber scheinen viele Orte jetzt schon vergessen.

Foto: Der Letzte macht das Licht aus: Immer mehr Regionen in den neuen Bundesländern leiden unter dem Leerstand. Ganze Dörfer werden zu Geisterstädten.


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