25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.09.07 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-07 vom 22. September 2007

Degeneriert / Der schreckliche Lapsus des Kardinals, der seltsame Zettel des Kaisers, und wie alles zusammenhängt – wenn wir nur wollen
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Er hat „entartet“ gesagt! Haben Sie das gehört? Natürlich haben Sie’s gehört. Der entsetzliche Lapsus des Kölner Kardinals Meisner hallte ja tagelang von tausend Mündern wiederholt zwischen Alpenhang und Dünenkette hin und her, bis das Ganze zu einem gräßlichen Dröhnen ent … oh Gott!

Wir wollen ja artig sein und alles richtig sagen, aber es ist eben ziemlich schwer für uns kleine Würstchen, immer gleich zu erkennen, welcher Wortwahl die Verdammnis folgt und welcher nicht. Oft wohnen Gut und Böse  Tür an Tür. Nehmen wir „Nationalsozialismus“: „National“ ist verdächtig, „Sozialismus“ nicht. Ein Politiker, der einen „Arbeitsdienst“ für mehrfach straffällig gewordene Jugendliche fordert, kann seine Sachen packen. Daß sein Nachfolger im „Volkswagen“ angefahren kommt, tut dessen Karriere hingegen keinen Abbruch.

Im Grunde müssen wir die deutsche Sprache völlig neu lernen, damit wir uns nicht mehr vermeisnern. Was hatte der eigentlich gesagt?  „Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.“

Nur Unverbesserliche wenden ein, daß von „entarteter Kunst“ also gar nicht die Rede gewesen sei. Sie offenbaren damit, daß sie von Kunst ebenso wenig verstehen wie der Kardinal, von der hohen Kunst der Rabulistik nämlich. Meisner habe, so der wahrhaft kunstvolle Vorwurf, Kunst „im Zusammenhang mit dem Begriff ,entartet‘ gebraucht“.

„Im Zusammenhang mit …“! Eine wunderbare Allzweckwaffe: Wer  künftig darüber spricht, daß Hitler sich in der Öffentlichkeit gern kinderlieb gezeigt habe, den kriegen wir am Schlafittchen, weil der den Namen Hitlers „im Zusammenhang mit“ Kinderliebe gebraucht habe.

Das sollten Sie sich merken, für alle Fälle. Stellen Sie sich vor, Sie landen wegen des falschen Verdachts, die Heugabel Ihres Nachbarn geklaut zu haben, vor Gericht, und Ihr Anwalt versiebt die Sache. Dann gibt es ab jetzt einen vielversprechenden Weg, wie Sie wenigstens das Honorar sparen können. Bestimmt wird Ihr Verteidiger beim Plädoyer eine Formulierung benutzt haben wie: „Mein Mandant Herr X ist kein Heugabelklauer.“ Dann haben Sie ihn am Wickel: „Mein Anwalt hat meinen Namen im Zusammenhang mit dem Wort ,Heugabelklauer‘ benutzt.“ Das nennt man „Parteiverrat“, Verrat am eigenen Mandanten also – und das ist strafbar! So einem verruchten Kerl müssen Sie keinen Cent zahlen.

Was die Angelegenheit mit dem korrekten Sprechen so kompliziert macht ist die Tatsache, daß manche Wörter ihre Bedeutung mit der Zeit völlig verändern können. „Zigeuner“ ist eine von den besonders wandlungsfähigen Vokabeln. Einst war sie die simple Beschreibung für ein Volk, dann teilten uns Vertreter von Sinti und Roma mit, daß „Zigeuner“ ein naziverseuchtes Schimpfwort sei und wir künftig nur noch „Sinti und Roma“ sagen dürften, was wir sofort taten. Wenig später aber tauchten wieder andere auf, die verkündeten, daß es neben den Sinti und Roma noch eine ganze Reihe weiterer Stämme ihres Volkes gebe, dessen die deutsche Gesamtbezeichnung korrekt „Zigeuner“ laute. Ab sofort haben wir wieder Zigeuner gesagt.

Mit vielen anderen Wörtern geht es nicht weniger sprunghaft zu: Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums Johano Strasser sieht in Meisners Wortwahl einen „Angriff auf den Pluralismus“, und warnt alle möglichen Nachahmer: Wer sich in der Weise des Kardinals „zu Problemen der Kultur und Kunst äußert, der sollte lieber die Finger davon lassen“.

So können sich die Begriffe ändern: Einst bedeutete „Pluralismus“ geduldete, ja gewollte Vielfalt, auch und vor allem der freien Meinungen. Heute dagegen heißt Pluralismus: Wer die andere Meinung hat oder die falschen Worte wählt, der soll gefälligst die Klappe halten.

Bei der ständigen zeitgemäßen Reform und Umdeutung der Wörter ist es allerdings hinderlich, wenn die Menschen mit viel zu viel Eigenwissen angestopft sind und die ursprüngliche Bedeutung von Wörtern im Kopf haben. In solchen Fällen ist es bisweilen schwierig durchzusetzen, daß „Pluralismus“ ab sofort heißt, die offizielle Meinung aufzusagen.

Bildung hat also manchmal schwerwiegende, gefährliche Folgen. Selbst die „Lehren aus der Geschichte“ können an allzu viel Fertigkeiten der Belehrten scheitern. Alle haben wir gelernt, daß Deutschland den Ersten Weltkrieg angefangen hat. Bis auf die, denen irgendein Halunke heimlich beigebracht hat, einen Kalender zu lesen. Die sahen dann, daß der Kriegsausbruch (28. Juli 1914) schon vier Tage her war, als Berlin am 1. August dazu stieß.

Das kann heutzutage zu heftigen Irritationen führen. Früher waren wir da besser gefeit. Das Jahrhundert, als wir zur Schule gingen, nennt man nicht umsonst anerkennend das „Jahrhundert der Ideologien“. Ideologie gibt einem die Fähigkeit, sogenanntes Wissen zugunsten der offiziellen Lehre vollständig auszublenden. Wer professionell ideologisiert ist, stellt auch keine dummen Fragen, sondern läßt jede Fünf gerade sein, wenn es der guten Sache dient.

Viele der ideologischen Verrenkungen waren richtige kleine Kunstwerke der Realitätsverdunkelung. Ein schönes Beispiel: Um der Gefahr mit dem Kalender von 1914 aus dem Wege zu gehen, hat man uns statt „angefangen“ auch eine etwas feiner ziselierte Version des Kriegsausbruchs angeboten. Die Lesart lautete: Deutschland habe den Krieg „angezettelt“. Niemand von uns kam auf die freche Idee zu fragen, wie man sich so eine „Anzettelung“ praktisch vorzustellen habe. Hing da irgendwo in Europa ein Schwarzes Brett, an das Kaiser Wilhelm einen Zettel gepinnt hat mit der Aufschrift: „Nächste Woche Krieg bei Preußens, alle herzlich eingeladen, Willy“? Solche Fragen verboten sich von selbst und kamen daher nicht vor. Von den immer unideologischer werdenden Jungen müssen wir sie aber irgendwann befürchten. Es gilt vorzubauen.

Aber bitte, bitte! Immer sachte – wir sind doch längst dabei! Die Lösung heißt: Konsequente und nachhaltige Verblödung. Wer weder weiß, was „Pluralismus“ mal hieß, wer keine Ahnung hat, daß die Nazis das Wort „entartet“ zwar (wie unzählige andere Dinge) mißbraucht, aber keineswegs erfunden haben und sich unter „Erster Weltkrieg“ ein neues Computerspiel vorstellt, der fragt auch nicht nach Willys Pinnwand und will gar nicht wissen, was „degeneriert“ auf deutsch heißt.

Die OECD erfaßt die deutschen Fortschritte bereits statistisch und rechnet vor, daß Deutschland als Frucht seiner jahrzehntelangen Entbildungsanstrengungen bald schon in der Lage sein werde, ausländischen Akademikern den Löwenanteil seines entsprechenden Arbeitsmarktes zu überlassen, weil es selbst immer weniger höher Ausgebildete produziert. Für die nachhaltig verdummten Deutschen muß das aber nicht bedeuten, daß sie keine Zukunft hätten. Für den Politikerberuf beispielsweise sind Geschichtskenntnisse eher lästig. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit konnte auf Anfrage nicht einmal das Jahr nennen, in dem der Zweite Weltkrieg ausbrach. Den Text „Die Lehren aus unserer Geschichte“, den hat er perfekt drauf.

Wie eine Lehramtsstudentin, die der Verfasser zufällig im Zug traf, kurz bevor sie ihren Abschluß machen wollte. Gesprächsthema „NS-Machtergreifung“. Die junge Frau kannte alle Vokabeln, die zu dem Thema in Schule und Medien so umlaufen. Ihre Bewertungen waren fest und ihre Formulierungen geschliffen. Erst am Schluß des bald zweistündigen Gesprächs kam mir die teuflische Idee, ihr zu entlocken, in welchem Jahr ihrer Vorstellung nach Adolf Hitler denn an die Macht gekommen sei. Nach kurzem Nachdenken gab die junge Dame freimütig Auskunft: „1930“.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren