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29.09.07 / Späte Genugtuung für die Opfer / Putlitz: Sowjet-Denunziant endlich aus dem Straßenbild getilgt – Linkspartei bis zuletzt dagegen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-07 vom 29. September 2007

Späte Genugtuung für die Opfer
Putlitz: Sowjet-Denunziant endlich aus dem Straßenbild getilgt – Linkspartei bis zuletzt dagegen
von Harald Fourier

Der Geist des verstorbenen Heinrich George ist noch immer zu spüren, als sich ein junger Mann im KZ Sachsenhausen 1947 um eine Stelle als Schauspieler bemüht. Er sucht nach einer Aufgabe, die ihn von der „tödlichen Langeweile“ des Lagerlebens ablenkt. „Da ich keine besonderen schauspielerischen Fähigkeiten hatte, wurde ich als Bühnenarbeiter eingesetzt.“ So übersteht er die Jahre bis zu seiner Freilassung 1950.

Das Sowjetsystem ging nicht zimperlich mit seinen Opfern um – ob sie nun wirklich aktive Gegner des roten Terrors waren oder völlig Unpolitische. Im Potsdamer „Truman-Haus“ zeigt die Friedrich-Naumann-Stiftung noch bis 4. Oktober eine Ausstellung mit dem Titel „Erschossen in Moskau“ über liberale Opfer des kommunistischen Horrors.

Einer der bekanntesten von ihnen war Arno Esch, ein aus Memel stammender Ostpreuße, der 1949 wegen seiner SED-kritischen Haltung verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. In der Lubjanka wurde das Urteil 1950 vollstreckt. Esch wurde nur 23 Jahre alt.

Nur im Ausnahmefall konnten Historiker dem Schicksal von Opfern des Stalinismus so akribisch nachgehen wie im Fall der auf dem Moskauer Friedhof Donskoje beerdigten Deutschen, und nur von denen handelt diese Ausstellung. Viele andere Opfer lebten später in der DDR, wo sie nicht über ihr Schicksal sprechen durften. Und nach der Revolution von 1989 trauten sie sich auch nicht gleich.

Es hat noch Jahre gedauert, bis Hermann Glaser sein Trauma überwunden und über sein Martyrium gesprochen hat. „Erst anläßlich eines Besuchs bei einem alten Freund habe ich fast 40 Jahre nach diesen Erlebnissen zum ersten Mal über meine Erinnerungen problemlos berichten können“, sagt der Brandenburger heute. Glaser war der eingangs erwähnte Bühnenbildner im KZ Sachsenhausen. Warum Glaser (Jahrgang 1923) nicht über Haft und Folter durch die Sowjets redete: Zum einen hatte er sich bei seiner Entlassung zum Stillschweigen verpflichten müssen – andernfalls Zuchthaus, so die Drohung.

Zudem aber fehlte ihm der rechte Glaube, daß die Vergangenheit auch wirklich aufgearbeitet wird. Schließlich war auch nach 1990 noch immer eine Straße nach Franz Plura benannt, dem kommunistischen Scharfmacher und Polizeichef von Putlitz bei Pritzwalk, dem Glaser die Haft zu verdanken hatte!

Seine Leidensgeschichte beginnt 1946 mit der Verhaftung wegen frei erfundener „Werwolftätigkeit“. Glaser kommt ins Putlitzer Gefängnis, dann nach Brandenburg an der Havel. Kontakt zu seinen Angehörigen war untersagt. Den Folterungen und Dauerverhören hielt nicht jeder stand. Sein Leidensgenosse Heinz Völker starb in der Haft. Glaser selbst verlor einige Zähne, erlitt Rippenbrüche.

Dann wurde er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt und ins KZ Sachenhausen verschleppt, „wo viele der eingelieferten Kinder und Jugendlichen verhungerten“, wie er sich erinnert.

22 Menschen habe Plura als Polizeichef an die Russen gemeldet. Das gehe aus den Unterlagen und aus Aussagen von Zeitzeugen hervor, sagt Glaser. Mindestens. Ein weiterer Mithäftling von damals soll auch noch gestorben sein. Alles wegen der Denunziation von Plura.

Nach 1989, so empfindet es Glaser, wurde das Unrecht nur halbherzig aufgearbeitet: „Die Tatsache, daß die Verbrechen der Stasi nur unvollkommen aufgedeckt worden sind, und daß viele der Täter als ehemalige Angehörige der DDR-Führungselite heute wieder in einflußreichen Stellungen sitzen oder auch nur eine höhere Rente beziehen als die von den Zwangsmaßnahmen dieser Personen Betroffenen, begründet die Scheu, mit den Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen.“

Immerhin wurde der Name Franz Plura an der örtlichen Schule ebenso entfernt wie das Museum, das an den Schergen zu DDR-Zeiten erinnerte. Doch der Straßenname blieb. „Wieso eigentlich?“, fragte sich Hermann Glaser all die Jahre.

Immer wieder haben er und sein Bruder Jürgen Briefe und Bitten an die Bürgermeister der Stadt verfaßt. Doch die Argumente blieben ungehört. „Erst als mit der Presse gedroht wurde, bekam ich ein lapidares Schreiben als Antwort: Es habe kein Bürger einen Antrag gestellt“, hätten die Stadtväter auf die Frage nach einer Straßenumbenennung geantwortet. Ein Hohn.

Die Glasers ließen nicht locker. In diesem Sommer kam endlich Bewegung in die Sache. Ein Ausschuß der Stadtverordnetenversammlung von Putlitz beriet über eine mögliche Umbenennung der Straße. Die Linkspartei war noch immer dagegen. Doch am 11. September schließlich stimmten die Abgeordneten für die Umbenennung in „An der Zeppelinscheune“.

Für Hermann Glaser ist der Denunziant damit endlich verschwunden. 61 Jahre, nachdem er den jungen Glaser in die Hölle gestoßen, ihm die Jugend zerstört hatte.


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