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29.09.07 / Deutschlands erste elektrische S-Bahn / Vor 100 Jahren mißbrauchten die Preußen die Hamburger als Versuchskaninchen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-07 vom 29. September 2007

Deutschlands erste elektrische S-Bahn
Vor 100 Jahren mißbrauchten die Preußen die Hamburger als Versuchskaninchen
von Manuel Ruoff

Für den ersten Sonntag dieses Monats hatte die S-Bahn Hamburg zum Tag der offenen Tür ins Werk Ohlsdorf geladen. In Altona wurden gleichzeitig Führungen durch Betriebszentrale, Servicecenter und S-Bahn-Stellwerk angeboten. Eingeleitet wurde dieser Tag mit einer Fahrzeugparade historischer und moderner Fahrzeuge der Hamburger und der Berliner S-Bahn sowie dem sogenannten Preußen-Zug der Museums-Eisenbahn Minden, der nach der Parade stündlich auf der Paradestrecke Poppenbüttel–Ohlsdorf pendelte, während die übrigen Teilnehmer der Fahrzeugparade danach im S-Bahn-Werk Ohlsdorf zu besichtigen und größtenteils auch zu betreten waren. Beim sogenannten Preußen-Zug handelt es sich um liebevoll originalgetreu restaurierte ehemalige Wagen der Königlich Preußischen Eisenbahn-Verwaltung (KPEV), an deren Spitze die letzte betriebsfähige Dampflok der preußischen Gattung T 11 steht, Bauort Königsberg. Anlaß dieses kleinen Volksfestes war der 100. Geburtstag der Hamburger S-Bahn.

Mehr noch als andere deutsche Städte wuchs und gedieh Deutschlands Tor zur Welt, nachdem die Franzosen in den Befreiungskriegen vertrieben worden waren. An diesem positiven Trend änderte auch der verheerende Stadtbrand von 1842 nichts. Die Infrastruktur einschließlich des Bahnwesens kam mit dieser Entwicklung kaum mit. 1893 begann im heutigen Hamburger Stadtteil Altona, das damals noch eine preußische Stadt war, der Bau eines neuen Bahnhofs. Fünf Jahre später wurde er in Betrieb genommen. In eben jenem Jahre 1898 schloß Preußen mit Hamburg und der Lübeck-Büchener Eisenbahn-Gesellschaft (LBE), der die Strecke Hamburg–Lübeck gehörte, einen Vertrag über die Umgestaltung der Bahnanlagen in der Hansestadt. Unter anderem sollten die verschiedenen Endbahnhöfe der einzelnen Eisenbahnstrecken aufgelöst werden und in Hamburgs Zentrum ein neuer Hauptbahnhof entstehen. Im Zuge der Neugestaltung des Bahnverkehrs sollte gleich die Altstadt im Bereich der heutigen Mönckebergstraße saniert werden.

Ein Problem dabei war, daß sich für die Altstadtbewohner, die als Folge der Baumaßnahmen umgesiedelt wurden, der Weg zur Arbeit nicht unerheblich verlängerte. Mag sein, daß sich die Königlich Preußische Eisenbahn-Verwaltung als Mit- wenn nicht Hauptverursacherin der Umbauarbeiten in der Pflicht sah, jedenfalls machte der Staatsbetrieb in diesem Falle eine Ausnahme von seinem Prinzip, sich aus dem Stadtverkehr in Ballungsräumen herauszuhalten, den man als Aufgabe der Kommunalverwaltungen betrachtete. So verpflichtete sich die KPEV in dem besagten Vertrag von 1898, nach der Fertigstellung der beiden Bahnhöfe auf einer Strecke, die vom preußischen Blankenese über Altona und den Hamburger Hauptbahnhof nach Hasselbrook verlaufen sollte, einen dampfbetriebenen Stadt- und Vorortverkehr zu betreiben. Da sich Barmbek zu einem großen Arbeiterviertel entwickelte und sich in Ohlsdorf der (heute) größte Friedhof der Welt befand, kam man noch vor der Inbetriebnahme überein, die Strecke über Hasselbrook hinaus nach Barmbek und weiter nach Ohlsdorf zu verlängern.

Am 5. Oktober 1906, an eben jenem Tage, an dem der Hamburger Hauptbahnhof seiner Bestimmung übergeben wurde, eröffnete die preußische Eisenbahndirektion Altona unter der Bezeichnung „Hamburg-Altonaer Stadt- und Vorortbahn“ den Personenverkehr zwischen Blankenese und Ohlsdorf mit dampfbespannten Zügen. Das allein wäre jedoch nur eine Hamburgensie ohne überregionale Bedeutung und erklärt auch nicht, warum die Hamburger Bahnfreunde dieses Jahr feiern. Der Dampfbetrieb war nur ein Provisorium. Für Hamburg hatten sich die Preußen etwas Besonderes einfallen lassen. Sie benutzten die Hanseaten als Versuchskaninchen, und diese ließen sich das gefallen.

Am 12. Dezember 1904 schloß Preußen mit Hamburg den sogenannten Ohlsdorfer Vertrag, der die Elektrifizierung der Strecke Blankenese–Ohlsdorf vorsah. Die entsprechenden Angebote der drei großen deutschen Elektrounternehmen Siemens & Halske, Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) und Union-Elektricitäts-Gesellschaft (UEG) sahen alle einen Gleichstrombetrieb mit Stromzuführung über eine dritte Schiene bei einer Spannung zwischen 750 und 1000 Volt vor. In Berlin hatte sich der Gleichstrombetrieb für ein begrenztes Netz bereits bewährt. Aber für die Elektrifizierung von Fernstrecken war dieses System wegen der hohen Leitungsverluste und der daher notwendigen zahlreichen kostenintensiven Unterwerke entlang der Strecke weniger geeignet. Und die KPEV war nun einmal eben vornehmlich auf den Fernbahnbetrieb fokussiert. Drehstrom schied wegen der komplizierten mehrpoligen Fahrleitung von vornherein aus. Doch der Wechselstrom schien eine interessante Alternative darzustellen. Mit der Erfindung des Wechselstrommotors war es möglich geworden, den günstigen Einphasen-Wechselstrom für den elektrischen Bahnbetrieb zu verwenden. Für einen Großversuch in einem für sich abgeschlossenen Netz schien sich in den Augen der KPEV die neue Stadt- und Vorortbahn der Hanseaten anzubieten. Preußen und Hamburger einigten sich auf Einphasenwechselstrom mit einer Spannung von 6,3 Kilovolt und einer Frequenz von 25 Hz, der über eine Oberleitung zugeführt wurde.

Am 1. Oktober 1907 begann auf der Strecke der Ersatz der in der Anfangszeit als Provisorien eingesetzten Dampfzüge durch Elektrotriebzüge. Zusammen mit dem 29. Januar 1908, bis zu dem die Strecke auf ihrer ganzen Länge ausschließlich elektrisch betrieben wurde, gilt dieses Datum als Geburtstag der Hamburger S-Bahn und wird von den Hamburgern entsprechend gefeiert.

Bei der Hamburger S-Bahn ist der Wechselstrom längst durch Gleichstrom ersetzt, doch ist er heute bei der Fernbahn im Gebrauch und hat – zusammen mit preußischer Experimentierlust – dazu beigetragen, daß Hamburg die erste elektrische S-Bahn Deutschlands erhielt. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.

Foto: Hamburger S-Bahn: Ein Zug der ersten Fahrzeuggeneration, die von 1906 bis 1913 beschafft wurde


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