23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.10.07 / Kraft durch Erneuerung? / Die SPD blickt in ihrem »Hamburger Programm« mehr auf die Vergangenheit als auf die Zukunft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

Kraft durch Erneuerung?
Die SPD blickt in ihrem »Hamburger Programm« mehr auf die Vergangenheit als auf die Zukunft
von Hans Heckel

Das neue Grundsatzprogramm der SPD hat Aufsehen erregt, weil es den Begriff des „demokratischen Sozialismus“ ausdrücklich zur Leitlinie der Sozialdemokraten erklärt. Der SPD-Altvordere Klaus von Dohnanyi wiegelt ab: Das sei ein „Traditionswort“, mehr nicht. Tatsächlich taucht die Schreckvokabel vieler Bürgerlicher selbst im allseits gelobten Godesberger Programm der SPD von 1959 auf, mit dem sich die Partei offiziell mit der sozialen Marktwirtschaft versöhnt hat. Also nur wirklich eine Floskel? Immerhin hatte es im Vorfeld der Beratungen zum kommenden Programm durchaus Stimmen in der SPD gegeben, die den „Sozialismus“ endlich entsorgen wollten. Parteichef Kurt Beck selbst ging dagegen an - aus Angst vor Oskar Lafontaine und der Linkspartei.

Wie sehr die neue Konkurrenz von ganz links Verunsicherung in die Reihen der SPD trägt, wird indes weniger an dem einen Wort deutlich als insbesondere beim direkten Vergleich mit dem legendären Godesberger Programm. Das 1989 als Nachfolger von Godesberg in Berlin beschlossene Programm der SPD war schon Monate nach seiner Verabschiedung vom Ende des Kalten Krieges überrollt worden und blieb somit Episode. Godesberg bleibt die Meßlatte.

Und hier fallen einige bemerkenswerte Unterschiede auf: Das Programm von 1959 war ganz auf Gegenwart und Zukunft abgestellt. Im neuen Entwurf hingegen stechen die zahlreichen historischen Verweise ins Auge - als wollte die SPD sich gegen linke Mitbewerber durch ihre „älteren Rechten“ schützen, die neue Konkurrenz als Plagiator zurückweisen. So wird aufgezählt, daß die SPD „immer internationalistisch und europäisch orientiert“, „von Anbeginn die Demokratiepartei“, „von Anfang an auch eine Kulturbewegung“ gewesen sei, die in der Arbeiterbewegung wurzele und die Abschaffung des Schulgelds ebenso wie die Einführung des Frauenwahlrechts erkämpft habe. Über all diese lange zurückliegenden Errungenschaften verloren die Sozialdemokraten in Bad Godesberg 1959 kein Wort.

Die Autoren des neuen „Hamburger Programms“ haben es nicht gewagt, sich auf wesentliche Kernaussagen zu beschränken - im Unterschied zu ihren politischen Ahnherren in Bad Godesberg. Das Papier übertrifft seinen Godesberger Vorgänger an Seiten um ein Vielfaches. Dabei tauchen die Grundsätze von 1959 im Hamburger Programm alle wieder auf - so etwa das Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Unternehmertum einerseits und die Forderung nach demokratischer Kontrolle und sozialer Verantwortung der Wirtschaft andererseits. Die neue Vorlage aber umrankt alle Grundsatzpositionen sogleich mit einer Fülle wenig konkreter Forderungen, als scheue man nichts ärger, als irgendeine Interessengruppe nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. So bekennen sich beide Programme zu den Chancen des technologischen Fortschritts, die Autoren des Godesberger Programms aber wägen nur kurz und knapp die Möglichkeiten und Risiken ab, während es sich die Urheber des neuen Entwurfs nicht verkneifen konnten, auch noch ausschweifend die Perspektiven der Hybrid-, Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik zu erörtern und vor überflüssigen Tierversuchen zu warnen - mangels Grundsatzfestigkeit reiten die Autoren auf den Modewellen, die zur Zeit gerade durch die Medien schwappen - was hat das in einem Parteiprogramm zu suchen, das angeblich Jahrzehnte halten soll?

Vieles könnte ebenso in Programmen bürgerlicher Parteien stehen. In einigen Punkten jedoch werden die Kampflinien bürgerlicher und sozialdemokratischer Politik trotz aller Weitschweifigkeit sehr deutlich, so insbesondere bei der Geschlechter- und Familienpolitik: Hier treten die letzten Restbestände von Ideologie um so deutlicher hervor. Zwar beteuern die Sozialdemokraten auch in ihrem Hamburger Programm, die Familie schützen zu wollen. An anderer Stelle jedoch wird eine „höhere Erwerbsquote von Frauen und Männern“ als Ziel ausgerufen. Damit werden, allen schönen Worten zum Thema Wahlfreiheit zwischen Familien- oder Erwerbsarbeit zum Trotz, klare Prioritäten gesetzt.

Diese Leitlinie trifft sich glänzend mit der postulierten Geschlechterpolitik: „Rechtliche Gleichstellung (der Geschlechter) ist noch keine tatsächliche Gleichstellung“. Mit anderen Worten: Der Staat soll sich keinesfalls damit zufriedengeben, Frauen und Männern die gleichen Rechte zu garantieren, er hat überdies in ihr Leben einzugreifen um sicherzustellen, daß sie diese Gleichstellung auch „tatsächlich“ vollziehen. Von Selbstbestimmung, die sich durchaus in unterschiedlichen Rollen von Mann und Frau ausdrücken kann, wenn diese es wünschen, ist hier wenig zu spüren.

Die realpolitische Bedeutung von Parteiprogrammen wird allgemein als mäßig angesehen. In der Regel gelten sie als „rhetorische Steinbrüche“ für die Debatten der Tagespolitik. Dennoch gibt das vorliegende neue SPD-Programm mehr über Zustand und Ausrichtung der Sozialdemokraten preis, als es auf den ersten Blick scheint. Es entsteht der Eindruck einer Sozialdemokratie, die, verunsichert von der neuen linken Konkurrenz, mehr Bevormundung, eben mehr „Sozialismus“ einfordert. Das paßt gut zur Abkehr von der „Agenda 2010“, von der Politik Gerhard Schröders, die Kurt Beck mit Blick auf die kommenden Wahlkämpfe dieser Tage einleitet.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren