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06.10.07 / »Auf ein Wort« / Nach 200 Jahren - Wieder Zeit für Preußische Reformen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

»Auf ein Wort«
Nach 200 Jahren - Wieder Zeit für Preußische Reformen
von Jörg Schönbohm

Aus dem Hauptgrundsatze, daß die natürliche Freiheit nicht weiter beschränkt werden müsse, als es die Notwendigkeit erfordert, folgt schon die möglichste Herstellung des freien Gebrauchs der Kräfte der Staatsbürger aller Klassen.“

Diese Zeilen aus der Feder Karl von Hardenbergs sind beispielhaft für seine Vorstellungen einer modernen Gesellschaft. Sie stammen aus seiner Rigaer Denkschrift, die er am 12. September 1807 abschloß.

Seine Abhandlung verfaßte Hardenberg nur mit einer Handvoll Mitstreiter. Nach der Niederlage gegen Napoleon hatte er sich auf königlichen Befehl nach Riga zurückgezogen und an der Schrift gearbeitet. Sie wurde die Grundlage für die grundlegende Neuordnung des preußischen Staates, ja der preußischen Gesellschaft insgesamt, die als „Preußische Reformen“ in die Geschichte einging.

Das Königreich Preußen befand sich damals in katastrophaler Lage: Die militärische Niederlage gegen Napoleon war vernichtend gewesen, Preußen war besetzt, der Bestand des Königreiches überhaupt nur mit Mühe (und durch russische Intervention) erhalten worden.

Zugleich fanden die Ideen der Aufklärung auch in Preußen zunehmend Zuspruch, die Unruhe im Volk stieg. Die Preußischen Reformen entsprangen deshalb nicht nur staatsmännischer Einsicht, sondern auch dem Bestreben, einen revolutionären Umsturz zu verhindern. Sie entwickelten sich jedoch zu einem beispiellosen gesellschaftlichen Modernisierungsprogramm, das den rasanten Wiederaufstieg Preußens im 19. Jahrhundert begründete und als Vorbild für viele andere deutsche Länder diente.

Preußen konnte sich jedoch nur deshalb aus der Asche der Niederlage erheben, weil in Potsdam bereits in der Generation zuvor, unter Friedrich dem Großen, eine Kultur geistiger Freiheit gepflegt worden war. Manches Vorhaben, etwa die Aufhebung der Leibeigenschaft, war zu jenem Zeitpunkt jedoch noch nicht vollständig durchsetzbar. Die Niederlage gegen Napoleon wirkte nun wie ein Katalysator und ermöglichte erst die Katharsis der Preußischen Reformen.

Im Juli 1807 trat Karl vom Stein erneut in die preußische Regierung ein, schon wenig später wurden die Vorstellungen von Hardenbergs und vom Steins in konkrete Politik gegossen: Am 9. Oktober 1807, vor genau 200 Jahren, begannen die Preußischen Reformen mit dem sogenannten Oktoberedikt, das revolutionäre Neuerungen einführte. Unter anderem hob es die Erbuntertänigkeit in ganz Preußen auf, es riß die rechtliche Schranke zwischen Bauern und Bürgertum nieder, ermöglichte jedermann Landbesitz und die freie Berufswahl. Auch das Recht auf freie Eheschließung wurde eingeführt, das Adelsprivileg abgeschafft und der Zugang zum Staatsdienst von Bildungsvoraussetzungen abhängig gemacht - Bildung statt Geburt!

Diese Neuerungen veränderten die preußische Gesellschaft tiefgreifend und schufen für die Menschen vorher undenkbare individuelle Entwicklungsmöglichkeiten. Es folgten vielfältige Reformen: in der Verwaltung, beim Militär, im Bildungsbereich, bei den Steuern und in der Wirtschaftsordnung. Hinzu traten bürgerliche Freiheiten und die weitgehende Gleichstellung der Juden als preußische Bürger.

Alle diese Reformen wurden „von oben“ eingeführt, wie bereits unter Friedrich dem Großen. Scheinbar eine preußische Tradition, folgte doch ein halbes Jahrhundert später dem Beispiel vom Steins und von Hardenbergs ein weiterer preußischer Regierungschef: Otto von Bismarck, den der Historiker Lothar Gall gar als „weißen Revolutionär“ bezeichnete.

Die Reformer setzten um, was zuvor in Preußen unvorstellbar war. Kern ihrer Reformen war entschlossenes Handeln zugunsten der Freiheit. Ihr radikales Abschlagen alter Zöpfe würde man heute als Bürokratieabbau und Deregulierung bezeichnen. Wesentlicher Bestandteil war neben der kommunalen Selbstverwaltung der Rückbau ständischer Privilegien. Sie hatten erkannt, daß vor allem Bevormundung und Zentralismus der Entfaltung der Fähigkeiten der Menschen im Wege standen.

Dieser Entfaltung bedurfte nicht nur das damalige Preußen, kein Staat kann auf Dauer existieren, wenn er seine Bürger gängelt und bevormundet; der Kollaps des Sozialismus überall auf der Welt geht vor allem auf diese Tatsache zurück. Und: Freiheit und Selbstverantwortung zeichnen auch das christliche Menschenbild aus, das unser Grundgesetz und unsere Gesellschaft prägt.

Wir müssen den Menschen Raum für Eigenverantwortung lassen, auch wenn nicht jeder ihn nutzen wird. Freiheit bedeutet auch, Fehler machen zu können, für die der einzelne zunächst selbst geradestehen muß; erst als letztes Mittel greift die Solidarität der Gemeinschaft.

Es besteht auch in unseren Tagen erheblicher Reformbedarf, in den preußischen Landen und darüber hinaus. Vermutlich besteht in einer sich immer schneller bewegenden Welt andauernd Reformbedarf. Die Zeit der Revolutionen ist vorbei, erst recht derjenigen „von oben“, doch tragen auch heute die Regierenden die Pflicht, das Land zu entwickeln.

Entschlossenes Handeln ist wieder nötig, aber auch diesmal nur zugunsten von Freiheit und Eigenverantwortung.

In Brandenburg etwa stehen wir vor vielfältigen Herausforderungen durch den demographischen Wandel. Er wird aber auch Möglichkeiten eröffnen, Räume schaffen, in denen neue Ideen sich entfalten können - wenn wir dies denn zulassen.

Wir müssen den Blick umkehren: nicht von Potsdam ins Land hinein regieren, sondern den Menschen vor Ort die Chance zu eigenen Ideen ermöglichen. 200 Jahre nach der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung in Preußen sollten wir uns auf dieses Grundprinzip wieder neu besinnen.

Schon Hardenberg formuliert in seiner Rigaer Denkschrift: „Hindernisse werden sich genug auftürmen, aber sie werden zusammenfallen, wenn man ohne Weitläufigkeit und mit Mut auf sie los geht.“

Bild: Preußens dunkelstes Jahr wurde gleichzeitig zum Geburtsjahr der Reformen: 1807 verhandelten Napoleon I. und Zar Alexander I. von Rußland in Tilsit ohne Preußen. Foto: BpK


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