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06.10.07 / »Menschen vergehen, die Berge bestehen« / Der Friedenspfad folgt den Spuren des Ersten Weltkrieges quer über die Alpen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

»Menschen vergehen, die Berge bestehen«
Der Friedenspfad folgt den Spuren des Ersten Weltkrieges quer über die Alpen
von Jochen Hägele

Wie ein gewaltiger Vulkan hat der Erste Weltkrieg seine Erinnerungsstücke über die Alpen geschleudert: Graue Betonklötze krallen sich in den Fels, erodierte Militärstraßen spannen ihr Netz über die Bergflanken und die überwachsenen Trichter in den Almen zeugen von den Granaten, mit denen sich Österreich-Ungarn und Italien hier vor neun Dekaden gegenseitig von der Bergfront bomben wollten. Der „Sentiero della pace“, wie die Italiener den Pfad nennen, führt Wanderer auf einer Gesamtlänge von fast 500 Kilometern zu den Zeugnissen fast vergessener Geschichte.

In einer weit geschwungenen Kurve zieht sich die ehemalige Kampfzone vom Stilfser Joch im Nordwesten über das Ortlermassiv und die Brentagruppe in den Süden bis ans Ufer des Gardasees. Von Riva geht es weiter über die Dolomitenpässe wie den Passo Rolle und die Marmolatagruppe in den Nordosten über die Drei Zinnen zum Kreuzberg.

Wer den gesamten Verlauf des Sentiero della Pace abwandern will, benötigt etwa 30 Etappen. Teils geht es über hochalpines Gelände mit gesicherten Klettersteigen - den sogenannten „via ferrata“. Erst 1973 begannen erste Gruppen, Befestigungen und Wege zu sichern und das Geschehene zu dokumentieren. Dann, von 1986 bis 1996, wurde im Rahmen eines staatlichen italienischen Arbeitsbeschaffungsprogramms der Friedenspfad in seiner heutigen Form angelegt.

Der „Sentiero“ führt aber nicht nur durch düstere Geschichte, sondern auch durch unvergeßliche Landschaften. So erstrecken sich die Wiesen über die Hochebene von Lavarone im Folgaria im Trentino unendlich grün und friedvoll. Wind und Sonne spielen mit den Blumen und zaubern eine zeitlose Schönheit auf die Landschaft. Eine wunderbare Wanderstrecke auf Spuren, die alles andere als friedlich sind. Denn unter der Grasnarbe gibt es kaum einen Quadratmeter, der keine Narben des Krieges trägt.

Der Weg stellt seine Gäste nicht nur vor historische Anforderungen. Den Wanderzeichen mit der weißen Friedenstaube zu folgen, ist nicht immer einfach. Oft versteckt sich der Vogel, wo der Wanderer ihn am nötigsten braucht. Dafür ist er an geraden Strecken gleich mehrfach an denselben Baum gepinselt.

Trotz seiner landschaftlichen Schönheit und der historischen Bedeutung hat sich der Friedenspfad nie als einer der populären Alpenwanderwege durchgesetzt. Ein Hauch von Einsamkeit folgt daher als stiller Begleiter auf weiten Strecken. Eine weitere Folge der Abgeschiedenheit: Der Weg ist nicht an allen Abschnitten mit Unterkünften gesäumt - eine logistische Herausforderung.

Sein Schattendasein teilt der „Sentiero“ mit dem Krieg. Am 23. Mai 1915 erklärte Italiens König Vittorio Emanuele III. der österreichisch-ungarischen Monarchie den Krieg, drei Wochen nachdem Italien aus dem Dreibund mit Deutschland und Österreich-Ungarn ausgetreten war. Bereits in den Jahren zuvor waren gigantische Fortanlagen nach damals modernster Kriegstechnik gebaut worden: wie das Werk Belvedere oder die Anlagen auf dem Pasubio.

Im Innern der zum Museum umgebauten Festungsanlage von Belvedere fühlt sich der Besucher wie im Rumpf eines alten Schlachtschiffs. Feuchter Modergeruch durchzieht die dunklen Gänge. Die Zimmereinrichtungen erinnern an das trostlose Leben in den Kasematten. Der Krieg tobte in erster Linie auf den Bergkuppen.

Selbst auf die 3300 Meter hohe Marmolata wurden Kanonen gehievt.

Berüchtigt ist der 2462 Meter hohe Col de Lana, den die Italiener heute Col de Sangue - Berg des Blutes - nennen. Am 17. April 1916 um 23.30 Uhr zündeten die italienischen Truppen die Sprengladung, die sie in monatelang gegrabenen Stollen unter den Gipfel getrieben hatten. 5000 Kilo Nitrogelatine hoben den Gipfel an und ließen ihn in einen 100 Meter breiten Trichter zusammensacken. Heute erinnert nur noch ein bewachsener Krater an diese Nacht.

Auf 150000 bis 180000 Tote auf beiden Seiten wird die Opferzahl des Gebirgskrieges geschätzt. Rund zwei Drittel davon kamen durch Lawinen, Bergrutsche oder die Kälte zu Tote. Allein vom 10. bis 13. Dezember 1916 forderten die Alpen mehr als 10000 Opfer. Auf dem Pasubio betrug die Schneehöhe neun Meter, eine Pionierkompanie verschwand für immer im Schneesturm.

Der Friedenspfad führt auch zu fast vergessenen Kulturen. Mitten im ehemaligen Grenzland haben sich um das 12. Jahrhundert die aus Bayern stammenden Zimbern angesiedelt: Mit der Begrüßung „Guuten Thak!“ fühlt sich der Deutsche auf dem Luserna Hof fast wie zu Hause.

Doch im zimbrischen Fernsehsender und in den Unterhaltungen der anderen Gäste wird rasch klar, daß diese Sprache ein ganz eigenes Vokabular hat. Heute ist Lusern einer der letzten Orte, der aufgrund seiner isolierten Lage weitgehend das Zimbrische konserviert hat.

Am Abend geht die Sonne über einem Dorf unter, das sich weit jenseits aller Welten anfühlt. Nur wenige Kilometer weiter diente

Luis Trenker 1916 im Werk Werle. Seine Erlebnisse bildeten die Basis für Bücher wie „Berge in Flammen“ und „Sperrfort Rocca Alta“.

Der Friedenspfad ist kein Weg für Kriegstouristen, sondern für geschichtsbegeisterte Bergfans, die ausgetretene Pfade verlassen möchten. Ein italienisches Sprichwort sagt: „Menschen gehen, Berge bestehen.“ Wer sich Zeit nimmt, hat auf dem Friedenspfad manchmal das Gefühl, daß Berge sogar erzählen können.


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