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06.10.07 / Laterne, Laterne / Es sind oft Kleinigkeiten die einem am Leben teilhaben lassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-07 vom 06. Oktober 2007

Laterne, Laterne
Es sind oft Kleinigkeiten die einem am Leben teilhaben lassen
von Renate Dopatka

Was hatte sie sich da bloß eingebrockt! Unlustig blickte Sigrid auf Mäxchen, den vierjährigen Sprößling ihrer Nachbarin, hinunter. In fünf Minuten begann der St. Martinszug und sie, die mit Kindern absolut nichts am Hut hatte, würde wohl oder übel durch dunkle, regennasse Straßen trotten müssen, statt daheim den wohlverdienten Feierabend zu genießen. Normalerweise bereitete es ihr keine Schwierigkeiten, Leute auf Distanz zu halten und noch so höflich vorgebrachte Bitten einfach abzuschlagen. Von daher war es ihr selbst ein Rätsel, warum sie ihrer Nachbarin, einer alleinerziehenden Mutter, nicht sofort eine Abfuhr erteilt hatte, als diese, kaum daß Sigrid vom Büro nach Hause gekommen war, an der Wohnungstür geläutet hatte. Wie sie dem Gestammel der jungen Frau entnehmen konnte, war deren Mutter vor einer Stunde mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden.

„Ich weiß, es ist eine Zumutung, aber würden Sie vielleicht so lieb sein und Mäxchen beim Laternenumzug begleiten? Er freut sich schon seit Tagen darauf, aber wie soll ich das denn jetzt schaffen? Ich muß doch zu Mutti in die Klinik.“

Vielleicht war es die Verzweiflung in den Augen ihres Gegenübers, die das barsche „Tut mir leid!“, das Sigrid schon auf der Zunge lag, in ein widerwillig-zögerliches „Na ja ...“ wandelte. Mit einem aufgeregt zappelnden Mäxchen an der Hand hastete sie nun zum Kirchplatz, von wo aus der Martinszug starten sollte.

Ein leichter Nieselregen benetzte die abendlichen Straßen. Es war kalt und windig, und gern hätte Sigrid dem Verlangen nachgegeben, einfach umzukehren. Aber dann spürte sie die zarte Kinderhand, die sich vertrauensvoll in die ihre schmiegte, und das Gehen fiel plötzlich leichter.

„Laterne, Laterne“, hörte sie Mäxchen voller Inbrunst singen, während sich der Lichterzug langsam durchs Viertel wand. Sigrid sah die großen, glänzenden Augen des Jungen und hatte das unbestimmte Gefühl, daß sich auch ihr Blick mit jedem Schritt weitete. Vom Zauber nächtlicher Gassen bekam sie als Autofahrerin normalerweise wenig mit. Nun aber, da sie müßig, ohne jedes Ziel und im Schutze lampionbewaffneter Martinspilger durch die stillen Wohnstraßen wanderte, nahm sie das Nachtgesicht des kleinen Städtchens so bewußt wahr wie schon lange nicht.

Schemenhafte Schatten und undurchdringliche Schwärze beherrschten jetzt die Szenerie. Fremd, ja abweisend, erschienen ihr die vertrauten Hausfassaden da, wo kein warmer Lampenschein sie erhellte. In den Vorgärten verschwamm dichtes Nadelgehölz zu konturloser Masse und dunkel, in bedrohlichem Schweigen, lag der Park da. Wie tröstlich wirkte da jedes hellerleuchtete Wohnstubenfenster, wie einladend das gedämpfte Licht, das durch die dicken Butzenscheiben der Gasthöfe nach draußen sickerte. Mit allen Sinnen genoß Sigrid diesen ungewöhnlichen Spaziergang und bedauerte es fast, als sich dieser seinem Ende zuneigte.

„Mein Licht ist aus, ich geh’ nach Haus’“, krähte Mäxchen, und plötzlich konnte sie nicht länger widerstehen. Die ganze Zeit über hatte sie nicht mitgesungen, aber eine weiche, gelöste Stimmung trieb sie jetzt dazu, in den Refrain des alten Kinderliedes mit einzufallen: „Rabimmel, rabammel, rabum!“ sang sie unbekümmert vor sich hin.

Daß Mäxchen ganz beglückt zu ihr hochsah, vertiefte ihr Lächeln. Ein wunderbarer Abend lag hinter ihr, ein Abend, von dem sie sich eigentlich nichts mehr erhofft hatte.


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