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13.10.07 / Zum Drogenschmuggel gezwungen / Alltägliche Gewalt in der Jugendstrafvollzugsanstalt Plötzensee - Kritik an Justizsenatorin von der Aue reißt nicht ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Zum Drogenschmuggel gezwungen
Alltägliche Gewalt in der Jugendstrafvollzugsanstalt Plötzensee - Kritik an Justizsenatorin von der Aue reißt nicht ab
von Peter Westphal

Die Kritik an den teils desaströsen Zuständen der Berliner Justiz will nicht abreißen. Das einzige Ende, das sich statt dessen andeutet, scheint jenes von Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) zu sein, die von der Opposition nun schon zum wiederholten Mal zum Rücktritt aufgefordert wird. Jüngste Nahrung hierfür lieferte nicht nur ein Medienbericht, demzufolge die Justizsenatorin ihren Büroleiter verbeamtet hat. Während sie dieser Meldung noch mit einer Gegendarstellung begegnen konnte, ist die prekäre Situation in der Jugendstrafanstalt (JSA) Plötzensee seit mittlerweile einem Monat permanentes Gesprächsthema. Grund hierfür sind die skandalösen Zustände, offener Drogenschmuggel und Gewalt hinter Gittern, die durch einen Bericht im TV-Magazin „Kontraste“ für bundesweite Aufmerksamkeit sorgten. Anfang Oktober hielt der Rechtsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses deswegen eine Sondersitzung ab. Dort zeichneten die Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, Vera Junker, und der Jugendrichter am Amtsgericht Tiergarten, Günter Räcke, ein verheerendes Bild. Ihren Angaben zufolge nimmt sowohl die Zahl als „auch die Intensität“ von Gewaltvorfällen in Plötzensee stetig zu.

Opfer der „organisierten Quälereien“ seien zumeist Deutsche. Ihre Täter, in der Regel Gefangene arabischer, türkischer oder libanesischer Herkunft, bildeten in der Haft Gruppen, denen sich die vereinzelten Deutschen zu unterwerfen hätten. So müßten die Opfer beispielsweise ihre Einkäufe abgeben. Manche habe man versucht, „zur Prostitution zu zwingen“. Jugendrichter Räcke berichtet, wie ein Gefangener seine Ausbildung abbrechen mußte, weil er sich nicht als Drogenkurier mißbrauchen lassen wollte. Ermittlungen zu den Vorgängen seien aber kaum möglich, da „der Schutz der Opfer häufig nicht gewährleistet werden kann“. Räcke, der zugleich Mitglied im Richterrat ist, diagnostiziert „schreckliche Zustände“. Intensivtäter würden in der Haft einfach „weiterregieren“. Illustriert wurden die Schilderungen durch einen Prozeß Ende September im Amtsgericht Tiergarten. Dort wurden zwei 20 und 21 Jahre alte Häftlinge zu verlängerten Haftstrafen verurteilt wegen Mißhandlung eines Mitgefangenen. Justizsenatorin von der Aue leugnet derweil die Probleme fast vollständig. Einzig der Anstieg der Gefangenenzahl scheint auch ihr Probleme zu bereiten. So beträgt die Zahl der Insassen im Jugendgefängnis Plötzensee 610, obwohl die Anstalt nur für 534 Haftplätze ausgelegt ist. Insgesamt hatte Berlin (Stand: 26. September 2007) bei einer Gesamtzahl von 5051 Haftplätzen 5202 Inhaftierte.

Um der Überbelegung entgegenzuwirken, hat die FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag in den Rechtsausschuß eingebracht, der die Haftverbüßung ausländischer Straftäter im Heimatland vorsieht. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Sebastian Kluckert, geht davon aus, das bei entsprechender Regelung bis zu 100 Häftlinge in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden könnten. Doch selbst wenn dies geschähe, wäre das Problem der Überbelegung nicht behoben. Denn Berlin verzeichnet eine steigende Inhaftiertenzahl, die auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist. So wurde für die Gruppe der Intensivtäter eine Extra-Abteilung eingerichtet. Darüber hinaus erkennen Jugendrichter, daß sie früher als sonst üblich Haftstrafen verhängen müssen, um den Tätern frühzeitig Einhalt zu gebieten. Zudem wurde durch den Gesetzgeber des Bundes der Strafrahmen erhöht. Eine weitere Belegung von Haftplätzen ergibt sich aus der ebenfalls ansteigenden Zahl von Sicherungsverwahrungen, die derzeit auf 60 Fälle kommt. Ein zusätzlicher Grund für die Überbelegung liegt in den kaum mehr zur Anwendung kommenden Zweidrittel-Entlassungen, bei der Gefangene nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Haftzeit freikommen. In derartigen Fällen sind Prognosen zur Resozialisierung erforderlich, die aber heute wegen fehlender Sozialarbeiter nicht mehr in dem notwenigen Maße geleistet werden können.

Abhilfe durch einen Gefängnisneubau in Großbeeren ist vermutlich erst ab 2011 zu erwarten. Der politische Beschluß hierzu ist zwar bereits gefällt, doch ist die Finanzierungsfrage prekär. Aus ursprünglich auf 80 Millionen Euro veranschlagten Baukosten sind zwischenzeitlich 120 Millionen geworden. Noch befindet sich das ganze Projekt im Planungsstadium.

Viel eher kann dagegen wohl mit einer Ablösung von der Aues gerechnet werden. So überlegt der Rechtsausschuß, eine parlamentarische Untersuchungskommission zu den Zuständen in Plötzensee einzurichten. Noch aber warten die Parlamentarier. Einer von ihnen, der namentlich nicht genannt werden will, erklärt, man wolle die Ressourcen nicht an alte Gefechte binden, denn „der nächste Skandal kommt bestimmt“. Mehr als drei oder vier Wochen werden hierfür schon nicht mehr veranschlagt. Den Grünen dauert selbst das zu lange: Sie haben der Senatorin bis Mittwoch dieser Woche ein Ultimatum gesetzt, um Akteneinsicht zur JSA Plötzense zu erhalten. Die Insassen dort werden davon allenfalls aus dem Radio oder den Zeitungen erfahren, denn sie ist, so die Aussage des Gefängnisseelsorgers, des evangelischen Pfarrers Harmut Klöß, die einzige Jugendstrafanstalt in Berlin, die keine Fernseher hat.


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