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13.10.07 / Zu bürokratisch und ineffizient / Fragwürdige Entscheidungen prägen den Alltag der Aufarbeitung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Zu bürokratisch und ineffizient
Fragwürdige Entscheidungen prägen den Alltag der Aufarbeitung von Stasi-Verbrechen
von Mariano Albrecht

Das Jahr 2007 ist für die Birthler-Behörde ein Jahr der Pannen, Fehlentscheidungen und Mißverständnisse. 100 Millionen Euro kostet die Behörde den Steuerzahler jährlich, doch jetzt kommt heraus: Die Behörde arbeitet ineffizient. Es wird nach aberwitzigen Gesichtspunkten archiviert, und in der Aufarbeitung aus wissenschaftlich-historischer Sicht kommt es zu peinlichen Pannen.

Seit 1991 sind bei der Stasi-Unterlagenbehörde zirka 2,4 Millionen Anträge von Bürgern und Stasiopfern eingegangen, im Jahr 2006 ist die Anzahl der Anträge um 20 Prozent gegenüber 2005 auf 97000 pro Jahr gestiegen, in den ersten Monaten dieses Jahres kamen monatlich rund 7100 Anträge hinzu. Doch die Abarbeitung läuft schleppend.

Was der betroffene Ex-DDR-Bürger hinnimmt, ist für Forscher nicht akzeptabel. Ein von Behördenchefin Marianne Birthler selbst in Auftrag gegebener Forschungsbericht des Instituts Facts & Files kommt zu einem verheerenden Urteil, das die Chefin schlecht aussehen läßt. Das Verschlagwortungssystem, welches das Auffinden von Akten aus der Stasihinterlassenschaft erleichtern soll, ist für den Anwender kaum durchschaubar, eine Fehlinvestition.

Unter der Federführung von Marianne Birthler wurde im Jahr 2002 für die Stichwortsuche bei der Aktenrecherche das Thesaurus-System eingeführt, das Problem besteht darin, daß die verwendeten, vorgegebenen Schlagwörter zum großen Teil nicht dem einst verwendeten Vokabular der Stasi entspricht und somit eine unzureichende Treffergenauigkeit bringt. Suchworte wie „Hetzschrift“ oder „Konterrevolutionär“ kennt das System nicht. Aber gerade unter Suchbegriffen wie „Konterrevolutionär“ wurden zum Beispiel Bürgerrechtler und Regimegegner erfaßt. Dabei hat die Behörde genügend Mitarbeiter, die es besser wissen müßten. 57 ehemalige hauptamtliche Stasimitarbeiter sind in der Behörde tätig. Schwiegen sie aus alter Solidarität mit dem Spitzelapparat?

Silke Klewin, Leiterin der Gedenkstätte Bautzen II, einer berüchtigten Stasihaftanstalt, hält die Birthlerbehörde für überbürokratisiert. Auf Rechercheanfragen würde nur schleppend oder gar nicht reagiert, Klewin glaubt, Verschleppungstaktik und Angstgebaren auszumachen. Auf einen Brief an Birthler reagierte die Behörde empfindlich. Unter dem Birthlervorgänger Joachim Gauck sei die Arbeit effizienter gewesen. Gauck habe sachorientierter gearbeitet, jetzt läuft alles nur bürokratischer. Informationen bezieht Klewin zum Teil von Journalisten, „die sind schneller und unkomplizierter“, so Klewin.

Um Ordnung in die Behörde zu bringen, empfiehlt ein Gutachten die Überführung der Behörde in das Bundesarchiv. Dort würde allerdings das Engagement der vielen in der Birthlerbehörde tätigen ehemaligen Bürgerrechtler auf der Strecke bleiben, vermuten Betroffene und Opfer.

Auch die Präsentation der Behörde in der Öffentlichkeit zeugt von wenig Sachkenntnis und Kompetenz zur geschichtlichen Aufarbeitung.

Der Pulverdampf um den kürzlich entdeckten Schießbefehl, dessen Existenz in Wahrheit schon seit den 90er Jahren bekannt ist, war noch nicht verzogen, als eine im September geplante Veranstaltung zum Thema „Staatssicherheit und Rechtsextremismus in der DDR“ kurzfristig abgesagt wurde. Es war herausgekommen, daß die linke Antifa-Ikone und Ex-IM Anetta Kahane als Podiumsteilnehmerin eingeladen war. Kahane hatte in der DDR als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi (IM Victoria) Freunde, Künstler und Schauspieler bespitzelt und an die Stasi verraten. Offiziell hieß es, Kahane hätte abgesagt. Doch wer hatte sie überhaupt eingeladen? Ein Schlag ins Gesicht der Opfer.

Marianne Birthler muß indes um den Fortbestand ihrer Behörde fürchten. Doch drängt sich der Verdacht auf, daß es bei der Diskussion um die Eingliederung in das Bundesarchiv eher um Kompetenzgerangel von Interessengruppen als um sachgerechte Geschichtsaufarbeitung geht.

Eine Personaldiskussion um die Führung dieser wichtigen Einrichtung wäre wohl angebrachter.

 

Die Karriere der Marianne Birthler

Marianne Birthler übernahm im September 2002 die Leitung der Behörde für die Stasiunterlagen der ehemaligen DDR von Joachim Gauck. Wie Gauck hat auch Birthler ihre Wurzeln in der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Nach ihrer Tätigkeit im DDR-Außenhandel begann sie 1976 ihre Arbeit bei der evangelischen Kirche. Als Referentin im Stadtjugendpfarramt engagierte sie sich in der Initiative für Frieden und Menscherechte. Nach der Wende ging Birthler als Bildungsministerin für das Bündnis 90 in den Brandenburger Landtag. Als Reaktion auf die Stasiverwicklung des damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe legte sie ihr Amt 1992 nieder. Birthlers Arbeit bei der Aufarbeitung der Stasiunterlagen ist seit ihrem Amtsantritt von Zaghaftigkeit und Bemühungen nicht anzuecken geprägt.

Die Aufarbeitung der Rosenholz-Dateien verlief schleppend, Teile der Westarbeit der Stasi landeten im Giftschrank, die Forschungsgruppe wurde aufgelöst. M. A.


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