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13.10.07 / Opfer gelten wieder mehr als Täter / Präsident Sarkozy will die französische Rechtssprechung zugunsten der Geschädigten ändern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Opfer gelten wieder mehr als Täter
Präsident Sarkozy will die französische Rechtssprechung zugunsten der Geschädigten ändern
von Jean-Paul Picaper

In der Nacht vom 17. zum 18. Dezember 2004 stieg ein junger Mann, 20 Jahre alt, durch ein Fenster der psychiatrischen Heilanstalt Saint Luc in der südfranzösischen Stadt Pau ein. Er trug eine Art Säbel und stach unzählige Male auf zwei Krankenschwestern ein, die ihren Nachtdienst verrichteten. Der einen, Chantal Klimaszewski, schnitt er dann die Kehle durch und die andere, Lucette Gariod, köpfte er.

Der gruselige Doppelmord wurde Stunden später entdeckt. Drei Tage später wurde der Täter zufällig festgenommen. Polizisten wollten ihn wegen Drogenbesitzes kontrollieren. Da zog er eine 7,65-Millimeter-Pistole und versuchte dreimal auf sie zu feuern. Zum Glück hatte die Waffe eine Ladehemmung. Er gestand dann im Verhör, daß er der Krankenschwestermörder war, er konnte für seine Tat keinen Grund angeben. Romain Dupuy wurde in die geschlossene Heilanstalt Cadillac eingewiesen. Drei psychiatrische Untersuchungen ergaben, daß er an einer schweren Schizophrenie leidet.

Der junge Süchtige war schon einmal zur Behandlung in der Saint-Luc-Klinik eingeschlossen worden, kannte aber seine Opfer nicht. Sie starben nur, weil sie sich in der Nähe der Abteilung befanden, in der er früher gepflegt worden war. Vor dem Mord hatte er etwas Rauschgift konsumiert, um sich aufzuputschen. Das Verbrechen löste damals eine heftige Debatte in Frankreich über die Sicherheit psychiatrischer Heilanstalten und von Krankenhäusern aus. Inzwischen sind in der Anstalt in Pau alle Eingänge abgesichert, es patrouillieren Wachleute. Zu spät für die toten Frauen.

Maria Mouledous, die Schwester von Chantal, und Hervé Gariod, der Ehemann von Lucette, wollen nicht, daß Dupuy für unzurechnungsfähig erklärt wird. Sie wollen einen ordentlichen Prozeß vor dem Schwurgericht und haben sich deswegen an den Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy gewandt. Anläßlich eines Besuchs in der Nachbarstadt Bayonne bot dieser ihnen ein Gespräch an. Der Präsident betonte danach, daß die Justiz sich in Zukunft den Opfern mehr als den Tätern zuwenden sollte und daß es für die Trauerarbeit von Verwandten immer wichtig sei, daß ein Prozeß stattfindet.

Schon während seines Wahlkampfes hatte der ehemalige Anwalt Sarkozy die Nachsicht der Richter gegenüber jungen Wiederholungstätern angeprangert. Eine seiner ersten Maßnahmen als Präsident war die Verabschiedung eines Gesetzes zur Verschärfung der Strafen für diese Kategorie von Tätern, zusammen mit der Schaffung einer Mindeststrafe, die die Richter nicht mehr „aufweichen“ können. Seine Justizministerin, die ehemalige Richterin Rachida Dati, unterstützt ihn nach Kräften.

Es geht aber nicht allein um eine Verschärfung der Strafen, um die grassierende Kriminalität einzudämmen. Eine andere Auffassung der Justiz deutet sich an. Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten hatte Staatspräsident Giscard d’Estaing 1974 vor laufenden Kameras in Lyon einen Händedruck mit einem Gefängnisinsassen ausgetauscht. Straftäter seien auch Menschen, meinte er mit dieser Geste. Kaum ist er gewählt, empfängt Sarkozy Familien von Opfern. Seine Justizministerin soll ein spezielles „Richteramt für die Opfer“ schaffen. Es müsse erreicht werden, daß die Täter aus der Sicht der Opfer, wenn sie noch leben, und deren Verwandten ihr Verbrechen irgendwie sühnen.

Der Präsidialempfehlung zum Trotz hat der zuständige Richter in Pau das Verfahren gegen Dupuy eingestellt. Diese Prozedur, die die irreführende Bezeichnung „non-lieu“, auf Deutsch „nicht stattgefunden“ trägt, halten der Präsident und die Ministerin für eine Beleidigung der Opfer, denn Schlimmes hat tatsächlich stattgefunden. Mag sein, daß Dupuy nicht erkannte, weswegen er sein Verbrechen beging, aber er hat vorsätzlich gehandelt und seine Tat sehr systematisch geplant und ausgeführt. Anderer Meinung ist natürlich Marie-Claire Dupuy, die Mutter des Täters, die im Fernsehen die Erklärung ihres Sohnes als unzurechnungsfähig verteidigte.

Ein anderes Verbrechen hat Wasser auf die Mühlen des Präsidenten gebracht. Ein Wiederholungstäter, Francis Evrard, 61, der nach einer 23jährigen Haft entlassen worden war, hat ein fünfjähriges Kind entführt und mißbraucht. Der Junge, ein Türkfranzose, war auf einem Jahrmarkt der Obhut seiner Oma entlaufen. Evrard wurde zufällig in einem Parkhaus von einem Taxifahrer entdeckt, als er den jungen Enis und sich selbst halb entkleidet hatte. Evrard war schon 1975 zu fünf Jahren Haft wegen Kinderschändung verurteilt worden. 1985 erhielt er aus demselben Grund wieder eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. 1989 wurde er zu 27 Jahren Haft, davon zwei Drittel in Sicherheitsverwahrung, wegen Vergewaltigung von zwei minderjährigen Jungen verurteilt. Seine Tat hat eine Debatte um die Sexualkriminalität ausgelöst

Vor seiner Entlassung hatte sich Evrard vom Gefängnisarzt Viagra-Tabletten gegen männliche Impotenz unter einem fadenscheinigen Vorwand verschreiben lassen. Eine typische Erscheinung der allzu großzügigen Justiz. Nicolas Sarkozy empfing den Vater des Kindes, der vor Journalisten im Hof des Präsidentenpalastes eine scharfe Erklärung abgab. Anschließend erschien Sarkozy und kündigte eine Reform der Strafverbüßung bei Sexualdelinquenten an, „damit eine solche Situation, die viele Franzosen schockiert hat, nicht wieder eintreten kann“. Rachida Dati wird bis November eine Gesetzesänderung vorbereiten, die die automatische Entlassung von Sexualverbrechern wegen guter Führung in der Haft aufhebt. Sie werden nach Ablauf ihrer Strafe mit anderen psychisch labilen Straftätern in geschlossenen Anstalten verwahrt werden, es sei denn, sie unterziehen sich einer Behandlung mit Medikamenten, die Nicolas Sarkozy als „chemische Kastration“ bezeichnete. „Ich habe keine Angst vor Vokabeln“, sagte er.

Oppositionelle Medien wie die linke Zeitung „Le Monde“ regen sich ob der neuen Justizpolitik auf. Sie prangern die Wende der französischen Rechtssprechung weg von der Resozialisierung der Delinquenten hin zur Bestrafung als Abschreckungsmethode an. Ein „amerikanischer Trend“ im französischen Strafvollzug, meinen sie. Sie glauben nicht an die Abschreckung. Aber Frau Dati läßt sich nicht beirren.


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