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13.10.07 / Benesch bewegt Bratislava und Budapest / Slowakei und Ungarn streiten um Dekrete aus dem Zweiten Weltkrieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Benesch bewegt Bratislava und Budapest
Slowakei und Ungarn streiten um Dekrete aus dem Zweiten Weltkrieg
von Wolf Oschlies

Schöne Wort sind nicht wahr“, wußte vor 3000 Jahren Laotse, „wahre Worte sind nicht schön“. Daran mag sich PAZ-Chefredakteur Klaus D. Voss gehalten haben, als er den Slowaken die Leviten las. Deren Nationalrat (Parlament) hatte am 20. September die Benesch-Dekrete als „unantastbar und fortwährend gültig“ bezeichnet.

Ähnliche Rügen prasseln auf die Slowakei auch anderweitig nieder, weswegen sie erschrocken zurückrudert. Verfassungsrichter Radovan Prochazka stellte die Affäre als bedeutungslos hin: Die Erklärung zu den Dekreten habe keinen Effekt auf die Gesetzgebung und verpflichte das Parlament zu gar nichts. Warum das Parlament sich so geäußert hat, erläuterte dessen Präsident Pavol Paska seinem deutschen Amtskollegen Bundestags-Vizepräsident Thierse: „Dieser Beschluß entstand im Kontext der slowakisch-ungarischen Beziehungen und war eine Antwort auf … Zwischenfälle, die die Slowakei so genervt haben, daß slowakische Politiker es für nötig erachteten, in demokratischer und konfliktfreier Weise dagegen zu halten.“

Im Sport würde man so etwas „Revanchefoul“ nennen und mit der roten Karte ahnden. Die wurde der Slowakei umgehend von den Ungarn gezeigt. In Budapest verdammten regierende Sozialisten und oppositionelle Fidesz den Beschluß von Bratislava als erneuerten Vorwurf der Kollektivschuld an alle Ungarn, im slowakischen Parlament boykottierten ungarische Abgeordnete ein slowakisch-ungarisches Parlamentariertreffen. Nicht einmal die Tschechen, deren Parlament vor fünf Jahren einen ähnlichen Beschluß fgefaßt hatten, brachten Verständnis für den slowakischen Schritt auf. Der tschechische Historiker Miroslav Breitfelder mutmaßte, die Slowaken hätten ungenügende Geschichtskenntnisse und könnten das Ausmaß ihrer Aktion nicht ermessen.

Die Ungarn, so Breitfelder weiter, sollten nicht so betroffen tun, denn sie litten unter den Benesch-Dekreten weit weniger als die Deutschen: 143 Dekrete hatte Präsident Edvard Benesch im Krieg und nach Kriegsende erlassen, von denen sich nur eine Handvoll auf Deutsche und Ungarn bezog. Wegen der „asymmetrischen“ Administration der Nachkriegs-Tschechoslowakei wurden die Benesch-Dekrete in der Slowakei nur unvollständig angewendet. Etwa 200000 Ungarn sollten vertrieben werden, aber Benesch schloß auf internationalen Druck im Februar 1946 mit Ungarn einen Vertrag über einen Bevölkerungsaustausch, wonach 90000 Ungarn und 60000 Slowaken umsiedelten. Bereits im August 1945 hatte die Potsdamer Konferenz die Ungarn nicht mehr erwähnt, jedoch den „orderly transfer of german population“ aus Osteuropa angeordnet. In der Slowakei liefen Aktionen zur „Re-Slowakisierung“ an, die vielen Ungarn ein Schlupfloch boten.

Ungarn war bis zur letzten Minute Hitlers treuester Verbündeter, schlug kurz nach Kriegsende aber Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei ein Bündnis zur Vertreibung der Deutschen aus diesen Ländern vor. Auf der Pariser Friedenskonferenz 1946 verlangte es, die südliche Slowakei und das nördliche Rumänien, die ihm zuvor von Hitler zugeschanzt worden waren, behalten zu dürfen. Bereits 1948 bekamen die slowakischen Ungarn die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft und große Teile ihres konfiszierten Besitzes zurück, ungarische Schulen wurden eröffnet, Binnenumsiedlungen von Ungarn ins Sudetenland rückgängig gemacht. Den slowakischen Ungarn haben die Benesch-Dekrete kaum etwas ausgemacht, dennoch verlangt seit Jahren die Ungarische Koalitionspartei (SMK), die größte Partei der slowakischen Ungarn, die „Aufhebung der Benesch-Dekrete“ und mobilisiert damit ihre Wähler. Geht’s dabei um Geld? Im August 2007 forderte SMK-Chef Pál Csáky eine „finanzielle Entschädigung“ für ungarische Opfer der Benesch-Dekrete. Die Slowakei solle aus Staatsmitteln eine Stiftung schaffen, aus der sich „die Angehörigen der ungarischen Minderheit nach eigenem Ermessen zur Erhaltung und Förderung ihrer Identität“ bedienen dürften. Weil daraus natürlich nichts wurde, klagte SMK-Vizevorsitzender Jozsef Berenyi noch Ende September, die gegenwärtige slowakische Minderheitenpolitik sei „schlimmer als zu kommunistischen Zeiten der früheren Tschechoslowakei“.

Die Slowakei hat 5,4 Millionen Einwohner, von denen knapp zehn Prozent Ungarn sind. Diese leben im slowakischen Süden und Osten in den Regionen, die am 2. November 1938 vom sogenannten „Ersten Wiener Schiedsspruch“ Ungarn überantwortet wurden. Bei Kriegsende kamen sie zur Slowakei zurück, aber in letzter Zeit tauchte dort mehrfach „privat“ der ungarische Staatspräsident László Sólyom auf, um bei den dortigen Ungarn Stimmung gegen die Slowaken zu machen und deren jüngsten Parlamentsbeschluß heftig zu kritisieren. Daraus entstand eine wüste Polemik zwischen Budapest und Bratislava, wobei auf slowakischer Seite die ungarische SMK und die Slowakische Nationalpartei, die Teil der Regierungskoalition ist, so rüde Töne anschlugen, daß beide von Außenminister Jan Kubis öffentlich gerügt wurden.

Chef der slowakischen Nationalen ist Jan Slota, der im Juli 2006 den Tschechen sagte: „Ich beneide euch um eure Vertreibung der Deutschen!“ Die Vertreibungen werden allgemein den Benesch-Dekreten zugeordnet, dabei gibt es nach Ansicht des Prager Historikers Jan Kuklik „kein Dekret des Präsidenten, das eine Abschiebung der Deutschen und Ungarn anordnete oder rechtlich legitimierte“. Benesch, so Kuklik weiter, war kein Gegner von Vertreibungen, sah sie bis Ende 1943 jedoch in größeren Zusammenhängen: Grenzkorrekturen sollten Teile des Sudentenlands an Deutschland übergeben, womit rund 700000 Deutsche aus der Tschechoslowakei verschwänden. Der Rest würde bei Kriegsende flüchten oder bei Strafaktionen umkommen, so daß in der Nachkriegs-Tschechoslowakei etwa eine Million Deutsche verblieben. Der weitere Verlauf des Kriegs, der zunehmende Einfluß der Sowjets in der Anti-Hitler-Koalition und der wachsende Druck tschechoslowakischer Kommunisten auf ihn ließen Benesch am Ende der totalen Vertreibung zustimmen, an deren Organisation er selber nicht beteiligt war. Die überließ er den Ministerien für Inneres und Verteidigung, die sie in den ersten Monaten dem Straßenmob und den „revolutionären Graden“ überantworteten. Bei dieser „wilden Abschiebung“ wurden rund 600000 Deutsche vertrieben und 40000 getötet. Später begann die „geordnete Abschiebung“, die bis Ende 1946 1,5 Millionen Deutsche in die amerikanische und 800000 in die sowjetische Besatzungszone vertrieb. Kleinere Aktionen folgten bis 1949, und gegenwärtig leben in der Tschechischen Republik noch zirka 39000, in der Slowakei 5600 Deutsche. Details in den akribischen Meisterwerken des tschechischen Historikers Tomas Stanek, die seit 2002 endlich auf Deutsch vorliegen.


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