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13.10.07 / Baby als Politikum / Chinesische Dorfvorsteherin in Nöten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Baby als Politikum
Chinesische Dorfvorsteherin in Nöten

Kong Fanhua ist Dorfvorsteherin einer chinesischen Provinz und Heldin in dem Roman „Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt“. Als sie zur Wiederwahl antritt, sehen ihre Chancen zunächst blendend aus, bis die Bäuerin Xuedai ihr mit einer außerplanmäßigen dritten Schwangerschaft in der Einkindgesellschaft Chinas einen Strich durch die Rechnung macht.

 „Fanhua stellte ihre Reisschale auf den Tisch und ging hinaus. Sie wollte sich Xuedais Bauch einmal anschauen. Sobald sie an diesen Bauch dachte, kam es ihr vor, als stünde alles kopf, als ginge die Sonne im Westen auf. Noch im vergangenen Monat hatte das Familienplanungsbüro der Gemeinde Untersuchungen durchgeführt und bei jeder unplanmäßigen Schwangeren gleich an Ort und Stelle den Eingriff vorgenommen. Wie konnte Xuedai da nur übersehen worden sein?“

 So beginnt Fanhua mit ihren Ermittlungen und stößt dabei auf allerlei Ungereimtheiten. Vielen Dorfbewohnern stattet Fanhua vor der Wahl einen Besuch ab, um sich bezüglich der Bedürfnisse und des Wohlergehens ihrer Schützlinge auf dem laufenden zu halten und trifft dabei auf so allerlei seltsame Gestalten. So zum Beispiel auch auf den Landrat Zhang.

 „Neun von zehn Pockennarbengesichtern sahen eigentlich sehr ansprechend aus. Daß Landrat Zhang eine so ansprechende Persönlichkeit war, lag nicht nur an seiner Redeweise und Gestik, sondern auch an seinen Narben, die seinem Gesicht großen Ausdruck verliehen. Wenn er sich freute, färbten sie sich rot und schwollen sichtlich an. Wurde er wütend, färbten sie sich schwarz.“

 Durch Fanhuas großen Bekanntenkreis lernt der Leser sehr schnell die Mentalität der Bewohner der chinesischen Provinz und die Verhältnisse, in denen sie leben, kennen. Die gesellschaftlichen Strukturen gewinnen für den Leser von Kapitel zu Kapitel beziehungsweise von Unterhaltung zu Unterhaltung mehr an Transparenz, und die immer wieder vom Autoren Li Er gezielt eingesetzte Ironie verleiht dem Roman intelligenten und amüsanten Humor.

 Daß Fanhua, in einer von Männern gesellschaftlich dominierten Gegend, als eine äußerst schlagfertige und aufgeweckte Person hervorsticht, stellt sie dem Leser immer wieder unter Beweis.

  „Qingshu saß im Büro und telefonierte. Er wirkte ernst. Sein Hemd hatte er bis zum Kinn zugeknöpft und die Haare streng nach hinten gekämmt. Sie trieften von Haaröl, so daß jede Fliege, die auf seinem Haar hätte rasten wollen, abgerutscht wäre. Als Fanhua eintrat, erstarrte er für einen Moment und legte den Hörer auf. ,Du bist aber früh dran‘, sagte er, ,dafür, daß Dianjun einmal zu Hause ist.‘ Dabei leckte er sich die Lippen und lachte dreckig. ,Du Blödmann, benimm dich. Paß auf, daß ich dir nicht das Maul stopfe.‘“

 Doch hat Qingshu ihr tatsächlich Neuigkeiten zu berichten und zwar von einer Sitzung aller Dorfvorsteher, die im Fernsehen übertragen wurde.

 „,Das Provinzfernsehen hat in den Nachrichten eure Sitzung übertragen. Auch du warst zu sehen ... Im gesamten Landkreis bist du die einzige Frau, die einzige Dorfvorsteherin‘, erklärte Qingshu. „Und zudem die große Vertreterin des Volkes. Du bist wie dein Name Hua schon sagt, eine Blume, die aus dem Kuhfladen sprießt.‘“

 Als Xuedais außerplanmäßige Schwangerschaft mit der Zeit für jedermann sichtbar wird, wird es eng für Fanhua. Und als die Schwangere auch noch plötzlich wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint, wird die mutige Dorfvorsteherin langsam mehr als mißtrauisch.

 Ein hoher Unterhaltungswert und das richtige Quäntchen an Ironie zeigen, daß der „chinesische Leserpreis 2004“ völlig zu Recht an „Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt“ ging. A. Ney

 Li Er: „Der Granatapfelbaum, der Kirschen trägt“, dtv, München 2007, broschiert, 379 Seiten, 15 Euro, Best.-Nr. 6386


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