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13.10.07 / Ostpreußens berühmteste Brücke / Vor 100 Jahren wurde Tilsits Königin-Luise-Brücke über die Memel eingeweiht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-07 vom 13. Oktober 2007

Ostpreußens berühmteste Brücke
Vor 100 Jahren wurde Tilsits Königin-Luise-Brücke über die Memel eingeweiht
von Hans Dzieran

Schon seit der Ordenszeit besaß Tilsit dank seiner geographischen Lage eine große Bedeutung für Wirtschaft und Verkehr. Hier war der Schnittpunkt zweier bedeutender Handelswege. Das war einmal der mächtige Memelstrom als Wasserstraße und zum anderen die Landverbindung ins Baltikum, die an dieser Stelle den geeigneten Übergang über die Memel fand, denn östlich von Tilsit erschwerten aus der Eiszeit stammende Steilhänge und im Westen die sumpfige Niederung des Deltas eine Stromüberquerung. Die Überquerung der Memel wurde ursprünglich mit Hilfe von Fähren bewerkstelligt. Die erste Fährverbindung ließ Herzog Albrecht um 1600 errichten. Sie reichte schon bald nicht mehr aus und nach dringenden Bitten der Stadt erhielt diese die herzogliche Genehmigung zum Bau einer eigenen Fähre, der sogenannten Stadtfähre. Dennoch hatten beide Fähren Mühe, den ständig wachsenden Handelsverkehr zu bewältigen, zumal bei Eisgang und Hochwasser der Übergang zum Erliegen kam. Nur bei Dauerfrost erlaubte das tragfähige Eis eine Verbindung zwischen beiden Ufern. Abhilfe konnte nur eine Brücke schaffen.

  Erst die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges führten zum Bau einer Brücke über den Memelstrom. Die Russen hatten 1758 Tilsit erobert und hielten Ostpreußen vier Jahre lang besetzt. Es waren nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern vorrangig militärstrategische Erfordernisse, die zum Bau einer Floßbrücke durch russische Pioniertruppen führten. Sie wurde beim Abzug der Russen wieder zerstört.

  Doch inzwischen hatten die Tilsiter den Vorteil einer Brücke kennen und schätzen gelernt und wurden beim König vorstellig. Friedrich der Große willigte ein und gab eine neue Brücke in Auftrag. Sie wurde im Jahre 1767 in Betrieb genommen. Es war eine 340 Meter lange Schiffsbrücke, die auf 36 Pontons ruhte. Sie ermöglichte einen aufblühenden Handel und Wandel. Zu Zeiten des Tilsiter Jahrmarkts strömten so viele Fuhrwerke aus dem nördlichen Umland über die Brücke wie aus dem südlichen Kreisgebiet. Lebhafter Verkehr herrschte auch während der Heuernten. Zahlreiche Landwirte hatten ihre Wiesen auf der rechten Memelseite und transportierten das Heu über die Brücke zum Tilsiter Heeresproviantamt oder auf ihre Höfe. Von großem Nachteil war, daß die Brücke bei den enorm anwachsenden Warenströmen zweimal täglich auseinandergeschwenkt werden mußte, um Schiffe und Holzflöße durchzulassen. Und vor Beginn des Winters wurde sie ganz abgeschwenkt und ruhte bis zum Frühjahr im Tilszelehafen. Der Verkehr über die Memel wurde dann von der Königlichen Trajektanstalt notdürftig mit Hilfe von Fährkähnen oder -schlitten durchgeführt. Bei starkem Eisgang oder Hochwasser kam der Verkehr völlig zum Erliegen.

 Deshalb brachte der Bau einer Eisenbahnbrücke über den Memelstrom im Jahre 1875 eine gewisse Erleichterung. Sie verfügte auch über eine Fahrbahn für Fuhrwerke, die außerhalb der Zugverkehrszeiten genutzt werden durfte.

  Doch um die Jahrhundertwende wurde immer deutlicher, daß ein moderner Brückenübergang geschaffen werden mußte, der den wachsenden Ansprüchen von Handel, Verkehr und Schiffahrt gerecht wurde. Den Bemühungen von Oberbürgermeister Pohl, Landrat von Schienther und dem Tilsiter Bürgerverein war es zu verdanken, daß der Staat als Bauherr gewonnen werden konnte. Das Projekt schuf Baurat Kersies, ergänzt durch den Geheimen Oberbaurat Anderson. Im Spätherbst des Jahres 1904 begann die Herstellung der sieben massiven Brückenpfeiler aus Naturstein. Sie schufen die Voraussetzung, der starken Strömung und den Schwemmsandböden der Uferregion Paroli zu bieten. Im Folgejahr brachte die schlesische Firma Beuchelt & Co den Stahlbau auf. Die fachwerkartige, harmonisch gegliederte Konstruktion gewährleistete eine hohe Belastbarkeit der Brücke. Drei elegante Stahlbögen von je 105 Metern Länge schwangen sich über den Strom mit einer mittleren Höhe von 19 Metern. Die Gesamtbreite der Brücke betrug 12,55 Meter; die Breite der Fahrbahn 7,20 Meter. An der Südauffahrt befand sich ein 12 Meter breiter Schiffsdurchlaß mit einer Zugbrücke. Die auf dem ersten Brückenpfeiler befindlichen Maschinenhäuschen ermöglichten das Hochziehen und Senken der einarmigen Klappe in jeweils einer Minute. Die Brücke hatte eine Gesamtlänge von 416 Metern. Beeindruckend war das stadtwärtige Brückenportal. Es bestand aus Sandstein und war von zwei Türmen flankiert, die in ihrer barocken Gestaltung der benachbarten Deutschordenskirche angepaßt waren. Es wurde zum Wahrzeichen der Stadt und fasziniert noch heute ihre Besucher. Ein Bronzerelief der Königin Luise mit der darunter befindlichen Inschrift „Königin Luise-Brücke“ krönte das Portal. Der bildnerische Schmuck der Brücke wurde nach Entwürfen des Regierungsbaurats Fürstenau durch den Bildhauer Walter aus Berlin-Friedenau ausgeführt. Die Baukosten der Brücke beliefen sich auf rund 1,8 Millionen Mark und entsprachen der veranschlagten Summe. Die Finanzierung übernahm im wesentlichen das Reich. Provinz und Kommune beteiligten sich mit je 10 Prozent.

  Der 18. Oktober 1907 war ein denkwürdiger Tag. Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen war nach Tilsit gekommen, um die neue Brücke einzuweihen. Um zwölf Uhr mittags hatten sich Ehrengäste und Behördenvertreter auf der Brücke eingefunden. Tausende von Tilsitern säumten den Platz vor der Brücke. Ein Männerchor intonierte „Lobe den Herren“ und „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“, worauf das Bauwerk feierlich seiner Bestimmung übergeben wurde. Voller Begeisterung strömten die Menschen auf die Brücke. Viele nutzten auch Dampferfahrten, um die Brücke vom Strom aus in Augenschein zu nehmen. Bis in die Abendstunden feierte die begeisterte Menge bei den Klängen eines Promenadenkonzerts die Brückenweihe.

  Zur Erinnerung an das denkwürdige Ereignis wurde eine Medaille herausgegeben. Sie hatte einen Durchmesser von fünf Zentimetern und trug auf der Vorderseite eine Abbildung der Brücke mit dem Datum der Einweihung und dem Schriftzug „Königin Luise-Brücke über die Memel, Tilsit“. Auf der Rückseite befand sich ein Porträt der Königin Luise.

  Die ersten sieben Jahre nach der Einweihung trug die Königin Luise-Brücke zu einem enormen Wirtschaftsaufschwung bei. Doch dann drohte Ungemach. Der erste Weltkrieg brach aus. Um die Russen am Eindringen nach Ostpreußen zu hindern, wollte das Militär die Brücke sprengen. Nur durch das Verhandlungsgeschick des Oberbürgermeisters blieb die Brücke unversehrt. Als nach wenigen Wochen die Russen abziehen mußten, waren sie es, die die Brücke zerstören wollten. Ein kühner Vorstoß von Hauptmann Fletcher rettete die Brücke.

 Der Vertrag von Versailles machte die Memel zum Grenzstrom. Das jenseitige Memelland annektierten die Litauer. Mitten auf der Brücke kennzeichneten die Wappen mit dem deutschen Adler und dem litauischen Reiter den Grenzverlauf. Von nun an bestimmte zwei Jahrzehnte lang der kleine Grenzverkehr das Bild auf der Brücke.

  Im März 1939 erlebte die Königin Luise-Brücke einen denkwürdigen Tag. Soldaten der Tilsiter Garnison marschierten über die Brücke ins befreite Memelland. Zwei Jahre später zogen erneut Wehrmachtskolonnen über die Brücke. Der Feldzug gegen die Sowjetunion hatte begonnen. Die Brücke mußte in den nächsten Jahren vorrangig militärische Aufgaben erfüllen, bis im Oktober 1944 noch einmal deutsche Truppenteile die Brücke überquerten, diesmal aber in umgekehrter Richtung. Die Wehrmacht zog sich auf das südliche Memelufer zurück und bezog dort eine Abwehrstellung. Am 22. Oktober kam damit für die Königin Luise-Brücke das Aus. Sie wurde von einem Pioniertrupp der 5. Panzerdivision gesprengt und sollte das weitere Vordringen der Russen stoppen.

 Für die Rote Armee war nach der Einnahme von Tilsit der Bau eines neuen Übergangs über die Memel von absoluter Dringlichkeit. Sowjetische Pioniere hatten bereits in der Vorbereitungsphase der Offensive Holz in den Wäldern des Memellandes eingeschlagen und Pfosten und Balken für den Brückenbau vorbereitet. In kürzester Frist entstand eine Pfahlbrücke, mit deren Hilfe Truppenverstärkungen und Nachschub für die weiteren Kampfhandlungen herangeführt werden konnte. Ihre Lebensdauer war allerdings kurz. Sie wurde im Frühjahr 1946 von Wassermassen und Eisschollen weggerissen.

  Es galt nun, eine dauerhaftere Lösung zu schaffen und die gesprengte Luisenbrücke wiederherzustellen. Spezialisten aus dem namhaften Kiewer Schweißinstitut kamen nach Tilsit und zerlegten mit Schneidbrennern die im Wasser liegenden Brückenteile. Die alten Brückenpfeiler wurden saniert und neue betoniert. Gleichzeitig begann die Fertigung einer Holzkonstruktion unter militärischem Kommando. Die Ordenskirche wurde zum Sägewerk umfunktioniert. Hierher lieferte ein Transportbataillon in rascher Folge Langholz aus dem Trappöner Forst an. Ein Bauregiment war mit dem Zuschneiden der hölzernen Bogenteile und des Fahrbahnbelags beschäftigt und nahm Montagearbeiten vor. Zeitweilig waren 3000 Soldaten beim Brückenbau eingesetzt. Bereits im Juli 1947 war die neue Brücke fertiggestellt. Sie sah mit ihren drei hölzernen Bogen der alten Luisenbrücke täuschend ähnlich. Die Freigabe für den Verkehr nahm der Kommandeur des Baltischen Wehrbezirks vor. Am erhalten gebliebenen Portal wurde das Porträt der Königin Luise demontiert und durch das Staatswappen der Sowjetunion ersetzt. 18 Jahre lang rollte der Verkehr über das neue Bauwerk. Der ständig steigende Güterverkehr mit immer schwerer werdenden Fahrzeugen forderte seinen Tribut. Zuletzt ächzte und wackelte der Bohlenbelag bedenklich. Den Rest besorgte 1965 ein Schwimmkran, der beim Durchfahren die Brücke mit seinem Ausleger beschädigte. Sie mußte für den Verkehr gesperrt werden und wurde noch im gleichen Jahr abgerissen.

  Eine zeitgemäße Lösung mußte her. Es entstand eine nüchterne Betonbrücke in Stahl-Kastenträgerkonstruktion. Interessen des Denkmalschutzes blieben unberücksichtigt. Nur das südliche Brückenportal erinnerte an den einstigen Stolz der Stadt. Aber selbst dieser Anblick unterlag nach dem Zerfall der Sowjetunion erheblichen Einschränkungen. Mit der neuen Zollgrenze zu Litauen entstand im Jahre 1992 vor dem Portal ein großes Abfertigungsterminal. Im Verlauf der europäischen Osterweiterung erhielt die Brücke zur Jahrtausendwende von der EU den Status „Brücke des Friedens“ verliehen. Davon kündet am Memelufer ein Gedenkstein in englischer, litauischer und russischer Sprache. Eine Inschrift in deutscher Sprache sucht man vergeblich - an die deutsche Vergangenheit der Brücke soll wohl nicht erinnert werden. Immerhin gelangte das Brückenportal im Jahre 2003 auf die Liste der kulturhistorischen Denkmäler. Die damit einhergehenden Restaurierungsarbeiten durch die St. Petersburger Firma Ekorem fanden ihren Höhepunkt mit der Anbringung des Porträts der Königin Luise am ursprünglichen Ort. Auch für die Sanierung der arg ramponierten Fahrbahn flossen finanzielle Mittel. Die litauische Firma „Viadukt“ trug einen neuen Asphaltbelag auf und erneuerte Gehwege und Geländer. Die Buchstaben „Königin Luise-Brücke“ werden noch gefertigt und sollen in Kürze angebracht werden. Am 18. Oktober dieses Jahres vollendet sich ein Jahrhundert, seitdem die Brücke entstand. Nicht nur Russen und Deutsche messen dem Jubiläum große Bedeutung bei. Auch Europa wird an diesem Tage der Königin-Luise-Brücke und ihrer wechselvollen Geschichte gedenken.


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