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20.10.07 / Das System krankt / Alarmsignale: Gehen den Deutschen die Ärzte aus?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-07 vom 20. Oktober 2007

Das System krankt
Alarmsignale: Gehen den Deutschen die Ärzte aus?
von Mariano Albrecht

In den kommenden fünf Jahren sollen in Deutschland bis zu 41000 Ärzte in den Ruhestand gehen. Der Nachwuchs geht ins Ausland oder macht in lukrativen Bereichen der Industrie Karriere, so der Aufschrei aus den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVB) und der Bundesärztekammer. Ländliche Gebiete sind unterversorgt, Patienten müßten bis zu 70 Kilometer weit fahren, um zu einem Facharzt zu gelangen, und Hausarztpraxen stehen leer. Wie prekär ist die Lage wirklich?

Im knapp 1700 Quadratkilometer großen brandenburgischen Spree-Neiße-Kreis leben 135600 Einwohner. Mit 70 niedergelassenen Hausärzten gilt die Region als leicht unterversorgt.
Nach Auskunft des Sprechers der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), Ralf Herre, liegt das aber noch im Rahmen. 1937 Patienten pro Arzt ist nicht optimal, problematisch wird es bei den Fachärzten.

In einigen Regionen kämen auf einen Spezialisten bis zu 80000 Patienten. Doch die Rechengrundlage ist fragwürdig.

Während der Spree-Neiße Kreis in Brandenburg zu zirka 29 Prozent mit Hausärzten unterversorgt ist, mutet die Lage zum Beispiel bei den Augenärzten fast himmlisch gut an, laut Statistik hat der Kreis einen Versorgungsgrad von 133 Prozent. Soweit zur Theorie. In der Praxis bedeutet das, daß die Region sieben Augenärzte hat. Schuld an dem statistischen Mißverhältnis sind veraltete Verteilerschlüssel und Bedarfszahlen.

Viele Mediziner würden gern schon vor Erreichen des Rentenalters ihre Praxis schließen. Grund: Die zunehmende Bürokratie seit der rot-grünen Gesundheitsreform und der Einführung der Praxisgebühr erfordert zusätzliche Arbeiten nach der Sprechstunde ohne Mehreinnahmen. Ergibt sich die Chance einer Praxisübergabe an einen Kollegen, wird sie wahrgenommen, wer weiß, ob sich in fünf Jahren noch ein Praxisnachfolger findet. Aber leider findet sich die Chance immer seltener, da der Nachwuchs fehlt. Und so liegt das Durchschnittsalter Brandenburger Ärzte bei 61 Jahren.
Junge Ärzte müssen, um eine kassenärztliche Zulassung zu bekommen, nach dem Studium eine fünfjährige Facharztausbildung absolvieren. Wer jedoch in fester Anstellung tätig ist, scheut das Risiko einer Selbständigkeit. Investitionen von 100000 bis 200000 Euro für eine Praxisausstattung sind nicht ungewöhnlich. Wer sich dennoch selbständig macht, sucht lukrative Gegenden in den Städten.

Mediziner müssen Geld verdienen, und dazu ist auch ein möglichst hoher Anteil an zahlungskräftigen Privatpatienten hilfreich. Die Abrechnungen durch die gesetzlichen Krankenkassen und die kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen quartalsweise, Privatpatienten zahlen in der Regel innerhalb eines Monats.

Ralf Herre schätzt den Privatanteil an Patienten in einer Stadt wie Hamburg auf etwa 20 Prozent, in Brandenburg sind es nur drei bis fünf Prozent. Trotz großzügiger Förderprogramme für ländliche Gegenden – fertig eingerichtete Praxen werden zum Teil von den Gemeinden zur Verfügung gestellt – bleiben diese leer.

Trotz teilweise katastrophaler Arbeitsbedingungen in Kliniken zieht es der medizinische Nachwuchs vor, die Tretmühle Krankenhaus mit Wochenarbeitszeiten zwischen 50 und 70 Stunden als Sprungbrett für bessere Jobs zu nutzen. Eine Analyse zur beruflichen Situation der angestellten und verbeamteten Ärzte in Deutschland bringt erschreckendes hervor:
Für 53 Prozent ist der Traum vom Arztberuf zum Trauma geworden. Jeder zweite Mediziner zieht es in Erwägung, seine Arbeit im Krankenhaus aufzugeben. Bei Fachärzten sind es sogar 59 Prozent. Ein Drittel würde den Arztberuf nicht zum zweiten Mal ergreifen. Grund: Arbeitsverdichtung, ausufernde Bürokratie und schlechte Bezahlung, besonders bei Fachärzten.

Dennoch: Der Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, stellt fest, daß mit 11000 Studienanfängern und 9000 Absolventen jährlich genug Nachwuchs vorhanden wäre. „Wir müssen verhindern, daß jährlich – wie im Moment – 2500 junge Ärzte ins Ausland gehen. Wenn uns das gelingt, haben wir auch keine Probleme mehr bei der Arztversorgung.“ Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums relativiert: „Es kommen mehr ausländische Ärzte nach Deutschland, als deutsche Ärzte ins Ausland abwandern.“

Das Bundesgesundheitsministerium von Ministerin Ulla Schmidt (SPD) hat für 2008 eine Gesetzesinitiative angekündigt, mit der die ärztlichen Arbeitsbedingungen durch die Übertragung von ärztlichen Kompetenzen auf Pflegekräfte verbessert werden sollen. Welche ärztlichen Aufgaben vom Pflegepersonal übernommen werden könnten, bleibt bisher unbeantwortet. Eine Diskussion über die Umverteilung von Kapazitäten in Großstädten und die Steigerung der Attraktivität des Medizinerberufes wäre wohl angebrachter.

Beim „Onkel Doktor“: Vor allem in ländlichen Regionen droht wegen Überalterung der Ärzte Praxissterben. Foto: colourbox


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