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20.10.07 / Geheiratet haben sie nie / Berühmte Liebespaare: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-07 vom 20. Oktober 2007

Geheiratet haben sie nie
Berühmte Liebespaare: Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre
von E. Knorr-Anders

Sie hatten nie geheiratet, lebten nie in gemeinsamer Wohnung, beide glaubten, nur ungebunden lieben zu können. Das hatte Gründe: Sowohl er wie sie entstammten respektablen, großbürgerlichen Familien, in denen Abweichungen vorgegebener Verhaltsweisen als unstatthaft geächtet wurden. Was lag näher, als dagegen zu opponieren? Zu oft hatten Simone de Beauvoir (1908– 1986) und Jean-Paul Sartre (1905– 1980) im Bekanntenkreis die verlogenen Strukturen rechtmäßig geschlossener Ehen erlebt, deren psychische Zwänge erspürt.1929, kurz vor dem ersten Staatsexamen, lernten sich die Philosophie-Kommilitonen Jean-Paul und Simone kennen. Es war nicht Liebe innerhalb der ersten Sekunden. „Hübsch, aber abscheulich angezogen“, stellte der für Eleganz empfängliche Sartre fest. Elegant im Sinne der Pariser „Haute Couture“ wurde Simone nie.

Zeitlebens blieb sie bei der typischen Gymnasiallehrerinnen-Kleidung: schlichter Rock, hochgeschlossene Bluse, Halskette oder Brosche, straff gescheiteltes Haar. Von sich selbst glaubte Sartre, daß er häßlich sei. Er war klein, von schmächtigem Körperbau, ein Auge schielte. Sartre kompensierte seine vermeintliche Häßlichkeit durch Liebenswürdigkeit. Begann er zu reden, zog er ohnehin jeden in Bann, auch die Kommilitonin Simone. Bald gestand sie sich ein: „Mit ihm würde ich immer alles teilen können.“ Gleiches empfand Sartre. Doch darauf beschränkte sich ihre gegenseitige, immer deutlicher spürbare Zuneigung nicht. Das Salz ihrer Beziehung war der Intellekt. Insgeheim hegten sie die Zielsetzung, als freischaffende Schriftsteller gesellschaftsaufrüttelnde Werke zu verfassen.
Es gelang. Doch vorerst verdienten sie ihr Einkommen als Gymnasiallehrer. Das bedeutete Trennung, denn sie unterrichteten in verschiedenen Städten, gezwungenermaßen dort, wo es eine freie Lehrstelle gab.

In ihrer persönlichen Beziehung schlossen sie einen „Zweijahres-pakt“. Während dieses Zeitraumes wollten sie prüfen, ob sie sich auf Lebenszeit zusammenfinden könnten. Der Pakt sah vor, jederzeit einen anderen Partner zu wählen und sich dies ohne Umschweife zu gestehen. Dazu kam es nicht. Beide erkannten, daß Treue nicht nur bürgerlich geforderte Pflichtübung war, sondern für sie zum psychischen Bedürfnis wurde. Sie tasteten sich ihrer unverbrüchlichen Liebe entgegen. Die gelegentlichen Besuche, mit mühseligem Hin- und Herreisen verbunden, belasteten beide.
Als Sartre nach Le Havre versetzt wurde, Simone in Marseille arbeitete, fragte er sie, ob es nicht besser wäre, sie würden heiraten. Zwei Gründe nannte er: Ehepaaren wurde am gemeinsamen Wohnsitz Stellung zugebilligt, und er sei überzeugt, daß ihre Bindung zu einander die „vollkommenste“ sei. Lange überlegte Simone. Dann verneinte sie. Bei der bloßen Vorstellung, nicht unabhängig Entscheidungen treffen zu können, schreckte sie zurück. Im Grunde fürchtete sie das Dasein als Ehefrau. Unbegründet, mit einem Partner wie Sartre, aber ihre Bindungsphobie erwies sich als unüberwindbar.
Ab 1936 arbeiteten sie in Paris, mieteten in einem Apartment-Hotel zwei Wohnungen. Die Abende verbrachten sie gemeinsam, diskutierten und fanden heraus, daß sie den Kapitalismus als übelstes Gesellschaftssystem werteten. Sie hofften auf einen „wirklichen Sozialismus, der die Freiheit des Individuums – und natürlich des Intellektuellen – respektieren würde“. In den folgenden Jahren kamen sie – trotz Krieg und deutscher Besatzung – ihrem gesteckten Lebensziel näher: Schreiben! Zwar lehrten sie weiter an Gymnasien, erregten aber mit ihren Schriftwerken Interesse. Mit Sartres Veröffentlichungen „Die Transzendenz des Ego“, „Das Imaginäre“, „Melancholia“, mit seinen Bühnen- und Filmwerken „Die ehrbare Dirne“, „Geschlossene Gesellschaft“, „Das Spiel ist aus“ erzielte er finanzielle Unabhängigkeit. Simones schriftstellerischer Erfolg begann mit dem teils biographischen Roman „Sie kam und blieb“. Es folgte „Alle Menschen sind sterblich“. Nun arbeitete sie an ihrem Hauptwerk „Das andere Geschlecht“, eine sozialhistorische Studie über Wesen und Dasein der Frau. Sie kam nicht recht voran.

Sartre riet ihr, sich vom Schuldienst beurlauben zu lassen, am besten ihn aufzugeben, er habe jetzt genügend Einnahmen, es reiche für zwei. Simone protestierte: „Die Selbständigkeit der Frau beginnt beim Portemonnaie.“ Sartre platzte der Kragen: „Schreib über unterdrückte Frauen, über Selbstbestimmung, Emanzipation soviel du willst. Es ist ein Zukunftsthema. Aber jetzt nimm Vernunft an. Zum Schreiben brauchst du Zeit und Ruhe. Du kannst mir ja, wenn die Honorare fließen, Sou für Sou zurückzahlen.“ Bei diesem Vorschlag mußte selbst die für Humorlosigkeit bekannte Simone lachen.
Das Buch wurde ein Erfolg. 1954 erhielt sie den „Prix Goncourt“. Mit dem Preisgeld erwarb sie ein Apartment gegenüber dem Friedhof Montmartre. Sartre gratulierte ihr zur errungenen „Wirtschaftlichen Gleichheit“.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges begannen sie ihre Weltreisen. Über Nacht waren sie auf Grund ihres öffentlichen Ansehens Frankreichs begehrtester „Exportartikel“ geworden. Kaum ein Land, das sie nicht besuchten. Ihre Vorliebe galt sozialistisch regierten Staaten: UdSSR, China, Kuba. Dort wurden sie herzlich willkommen geheißen; die Herzlichkeit übertünchte die politische Propaganda, die mit den berühmten Gästen betrieben wurde und das Renommee der Diktatoren stützen sollte.
Als bittere Erkenntnis blieb Sartre und Simone nicht erspart, daß auch hier Unterdrückung, Verfolgung, Ausbeutung gang und gäbe waren. Allmählich lösten sie sich vom Traum eines Freizügigkeit praktizierenden Sozialismus.

Den gemeinsamen Triumph erlebten sie 1964. Sartre wurde mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt. Unglaubliches geschah: Er lehnte ihn ab. Seine Begründung war knapp: „Ehrungen habe ich immer abgelehnt. Der Schriftsteller sollte sich weigern, sich in eine Institution verwandeln zu lassen ...“
Vielleicht fürchtete er, als „moralisches Gewissen der Nation“ gehandelt zu werden. Mit dem Wissen um die Fragwürdigkeit solcher denkmalgeschützten Titulierungen hätte er brüsk gefragt: „Was ist Gewissen? Was Moral?“

Sie haben nie geheiratet, lebten nie in gemeinsamer Wohnung. Aber in ihren privaten Aufzeichnungen finden sich die innigsten Liebesbekundungen, die je zwei Menschen schriftlich fixierten.
Simone: „In meinem Leben habe ich einen unbestreitbaren Erfolg zu verzeichnen: Meine Beziehung zu Sartre. In mehr als 30 Jahren sind wir nur einen Abend uneins eingeschlafen. Das langjährige Beisammensein hat das Interesse keineswegs verringert, das wir an unseren Gesprächen haben ... Oft beendet der eine den Satz, den der andere begonnen hat. Wenn man uns eine Frage stellt, geschieht es, daß wir beide die gleiche Antwort formulieren.“
Sartre: „Es sind eben die besonderen Qualitäten von Simone de Beauvoir, die dazu führten, daß sie in meinem Leben einen Platz eingenommen hat, der keinem anderen Menschen zugänglich ist.“

Der Welt des Wortes verbunden: Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir Foto: Corbis


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