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27.10.07 / Merkel kam nicht auf den Punkt / Das Zentrum gegen Vertreibungen weiter in der Schwebe – 50 Jahre Bund der Vertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-07 vom 27. Oktober 2007

Merkel kam nicht auf den Punkt
Das Zentrum gegen Vertreibungen weiter in der Schwebe – 50 Jahre Bund der Vertriebenen
von Klaus D. Voss

Was denn unter „Mitteldeutschland“ zu verstehen sei, fragt der Korrespondent des niederländischen „De Telegraaf“ die junge deutsche Kollegin neben ihm. Er hat den Begriff im Redemanuskript von Erika Steinbach entdeckt, die gleich den Festakt zum 50jährigen Bestehen des Bundes der Vertriebenen (BdV) im Berliner Kronprinzenpalais eröffnen wird.

Die Journalistin, die für den deutschen Dienst einer Nachrichtenagentur schreibt, kann ihm nicht helfen. Für viele junge Deutsche ist die Geschichte ihres Landes eben nur ein Puzzle, im dem die Teile nicht zusammenpassen wollen.

Das internationale Medieninteresse an diesem Festakt ist ungewöhnlich stark, 100 Anmeldungen hatte der BdV. Vor allem, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel die Festrede halten wird. Und an ihr hängt die Frage: Was wird aus dem Zentrum gegen Vertreibungen? Viele in Deutschland und vor allem in den Nachbarländern sehen darin ein Politikum, wo es doch ein Denkmal der Humanität werden soll. Die ausländischen Korrespondenten setzen darauf, daß Angela Merkel auf der 50-Jahrfeier des Bundes der Vertriebenen die Errichtung dieser zentralen Gedenkstätte in Berlin verkünden wird. Die deutschen Journalisten bleiben skeptisch; sie kennen ihre Bundeskanzlerin besser.

Merkel hat kein Redemanuskript verteilen lassen, sie wird am Schluß der Veranstaltung sprechen. Solange bleibt die Antwort auf die spannende Frage offen.

Erika Steinbach macht es richtig, sie nimmt den historischen Faden auf, verweigert nicht das Bekenntnis zur Schuld der Deutschen: „Unserem Schicksal ging Grauenhaftes voraus. Hitler hatte die Büchse der Pandora geöffnet.“ Und weiter: „Das wissen die deutschen Vertriebenen elementarer als andere, da sie in Kollektivhaftung dafür genommen wurden.“

Wer in Deutschland selbst nicht betroffen war, wollte die Schicksale der Flüchtlinge und Vertriebenen schlicht übersehen, in der DDR war es ohnehin ein Staatstabu. Vier Millionen kamen damals zunächst nach Mitteldeutschland; Erika Steinbach fügt schnell noch „das damalige“ ein, was nicht im Redetext stand – man kann ihr das übelnehmen. 15 Millionen Vertriebene, körperlich und seelisch erschöpfte Menschen waren es insgesamt, vergessenes Massenelend. Der „Telegraaf“-Korrespondent bemerkt, daß die Zahl der Flüchtlinge so groß ist wie die Einwohnerzahl der Niederlande damals.

Geschichtslektion Nummer zwei: BdV-Präsidentin erinnert an die Charta der Vertriebenen von 1950 mit dem Satz: „Wir wollen an einem versöhnten Europa mitwirken und den Teufelskreis von Rache und Vergeltung durchbrechen.“ Verkündet hatten die Vertriebenen diese Erklärung damals in Stuttgart vor 100000 Menschen, vertreten waren die Bundesregierung, die Kirchen, alles, was an Organisationen trotz des Koalitionsverbotes bestehen konnte – damals teilten die Deutschen die Grundgedanken der Charta. Die ausländischen Korrespondenten lernen die Vertriebenenorganisationen erstmals von dieser Seite kennen, viele deutsche Journalisten auch.

Revisionistisch, rechtsaußen, das sind die Begriffe, die Opferverbänden nachhängen. Doch warum? Von Anfang an, erinnerte Erika Steinbach an die Gründung des BdV 1957 als Vertretung der eigenständigen und selbstbewußten Landsmannschaften und Vertriebenenorganisationen, sei der BdV in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt gewesen, sei er von allen demokratischen Parteien mitgetragen worden. Und auch heute, so Steinbach, „läßt sich der BdV weder von linksaußen noch von rechtsaußen mißbrauchen.“

Warum letztlich die Union überwiegend zur politischen Heimat der Vertriebenen wurde, das war eine Folge des Bruchs mit der SPD. Noch 1961, erinnerte die BdV-Präsidentin, hatten Willy Brandt, Herbert Wehner und Erich Ollenhauer Grußbotschaften wie diese unterschrieben: „Das Recht auf Heimat kann man nicht verhökern – niemals darf hinter dem Rücken der aus ihrer Heimat vertriebenen oder geflüchteten  Landsleute Schindluder getrieben werden. Das Kreuz der Vertreibung muß das ganze Volk mittragen helfen.“

Zehn Jahre später der Wortbruch Brandts, das Verhältnis zur SPD wurde „feindselig“, bekannte Erika Steinbach. Die DDR, die von der SPD-Ostpolitik profitierte, setzte ihren Propaganda-Apparat in Gang und lieferte die Stichworte an die Linke im Westen, daß Vertriebene allesamt Revanchisten und Nationalsozialisten seien. Auch der Mann vom „Telegraaf“ weiß inzwischen, wie effektiv die DDR-Desinformation arbeiten konnte, die Stasi hatte ihre Meinungsmacher im Griff. Und er entdeckt neue Seiten an seiner Ikone Willy Brandt.

Erika Steinbach beklagte zu Recht, daß insbesondere in den 70er Jahren die Tatsache der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mißbraucht worden sei, um die Anliegen der Vertriebenen zu diskreditieren und diese Massenvertreibung zu rechtfertigen. Obgleich: Völlig schuldfrei sei der BdV an der Entwicklung nicht, die zu dieser Verhärtung wegen der Ostpolitik geführt hatte, so Steinbach. Aber: „Ich bin überzeugt, ... wenn Willy Brandt heute SPD-Chef wäre, so würde er mit Sicherheit hier in der ersten Reihe sitzen.“ Beifall im Saal.

Es gibt doch schon Selbstkritik in der SPD, wenn man sich an die Worte von Otto Schily erinnert, 1999 als Bundesinnenminister im Berliner Dom: „Die politische Linke hat in der Vergangenheit, das läßt sich leider nicht bestreiten, zeitweise über die Vertreibungsverbrechen, über das millionenfache Leid, das den Vertriebenen zugefügt wurde, hinweggesehen, sei es aus Desinteresse, sei es aus Ängstlichkeit vor dem Vorwurf, als Revanchist gescholten zu werden.“

Wie weit wird diese Einsicht tragen, um das versprochene Zentrum gegen Vertreibungen mitzubeschließen? Die BdV-Präsidentin erinnerte daran, daß die Stiftung zur Gründung dieses Zentrums bereits sieben Jahre besteht: „Wir wollen durch diese Stiftung erreichen, daß ein vollständiges und wahrhaftiges deutsches und europäisches Geschichtsbild gezeichnet wird.“ 60 Jahre nach Kriegsende sei dies längst überfällig.

Jetzt steht die Bundeskanzlerin im Wort. Angela Merkel würdigt die Erfolge der Vertriebenorganisation, die großartigen Leistungen der ehrenamtlichen Helfer. Sie erinnert an ihren Einsatz für ein offenes Europa und gibt das Stichwort Menschenrechte aus: Sie erklärt, daß „wirtschaftlicher Erfolg und Menschenrechte nicht als unvereinbar betrachtet werden“. Die Vertriebenen hören genau hin, weil auch sie die Beachtung ihrer Menschenrechte reklamieren: Von Heimat hatte die Kanzlerin gesprochen, das Wort Eigentum kam nicht über ihre Lippen. Sie bekennt, daß sie in der Vertreibung ein unermeßliches Leid sieht, das über die Generationen hinweg sich auswirkt – daran müsse angemessen und würdig erinnert werden. Man sei auf einem guten Weg, in Berlin ein sichtbares Zeichen zu schaffen. Merkel: „Wir haben uns das im Koalitionsvertrag vorgenommen, und wir werden das umsetzen.“ Man werde „in Kürze“ ein Konzept vorlegen. Mehr verspricht sie nicht, nicht einmal bei diesem Anlaß.

Der Korrespondent vom „Telegraaf“ klappt seinen Block zu – die Skeptiker haben Recht behalten.

Foto: Freundlich, aber unbestimmt: Angela Merkel (l.) begrüßt Erika Steinbach


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