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27.10.07 / Weißt Du noch? / Kinderzeit in der Heimatstadt – was waren das für schöne Tage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-07 vom 27. Oktober 2007

Weißt Du noch?
Kinderzeit in der Heimatstadt – was waren das für schöne Tage
von H. Patzelt-Henning

Mir war beschieden, einen großen Teil meiner frühen Kindheit noch in meiner Geburtsstadt Tilsit zu verbringen, aus der mich die Erinnerungen unverblaßt umranken. Ich erinnere mich an das repräsentative Rathaus mit seiner gepflegten Fassade und der großzügig angelegten Treppe vor dem Eingang gern, weil ich diese oft hinauf- und hinuntergestiegen bin. Bepflanzte Blumenkästen hingen vor den Fenstern. Und in einem Zimmer dieses Gebäudes wurde einst meine Geburt beurkundet. Zur Taufe trug man mich in die Deutsch-Ordens-Kirche, wo der amtierende Pfarrer mich nach vollzogenem Sakrament auf Seite 15 unter der Nr. 111 jenes Jahrganges in das Taufregister eintrug.

Meine ersten bewußten Erinnerungen liegen indes in keineswegs historischen Räumen, sie stammen aus dem Behandlungszimmer von Dr. Schatz, einem hochgeachteten Hals-, Nasen- und Ohrenspezialisten, der mir damals sicher geholfen hat, aber der Notwendigkeit unserer Begegnung gemäß nur bittere Erinnerungen an ihn in mir wach bleiben ließ.

In absolutem Gegensatz dazu stehen die Erinnerungen an die Tage, in denen in unserer Stadt Jahrmarkt war. Dann, wenn die Karussells und die verschiedenen Buden und Stände sich hier breitmachten, waren wir Kinder ganz aus dem Häuschen; denn Rummel bedeutete Belustigung und Gaumenfreuden gleichermaßen. Es gab Negerküsse, Puffreiskörner, Eis, Lakritz und Liebesperlen. – Süßigkeiten, die in den Geschäften längst nicht mehr ohne weiteres zu haben waren. – Außerdem lockten Neckbälle, Windmühlen, Luftballons und ähnliches. Zauberbuden, Liliputaner, Kraftmenschen, Steilwandfahrer gehörten zum Jahrmarkt ebenso wie die geliebten Karussells. Wenn auch noch nicht alles unseren Jahren gemäß war, so schien es doch so, als seien wir Kinder die Glücklichsten auf dem Rummelplatz gewesen.

Doch auch die ruhigeren Anziehungspunkte der Stadt haben liebenswerte Erinnerungen hinterlassen. Der Schloßteich mit seinen Schwänen, Jakobsruh, der Anger, Waldschlößchen, all diese Bereiche unserer Stadt lassen schöne Stunden aufleuchten. Und am Mühlenteich waren es die Sumpfdotterblumen, die einen starken Reiz auf uns kleinere Kinder hatten. Eine von ihnen zu ergattern bedeutete großes Glück, denn es war schwierig, an sie heranzukommen. Im allgemeinen hing der Besitz einer solchen Blume gänzlich von der Gunst eines Erwachsenen ab. Es war gefährlich,  nach ihnen zu greifen, da sie nicht in unmittelbarer Ufernähe standen. Außerdem bekam man sie schlecht vom Stengel. Und erlaubt war die ganze Sache, soweit ich mich erinnere, auch nicht. Noch unerreichbarer waren für uns Kinder aber die Federn der Pfauen, die auf dem Goldbergschen Holzplatz herumstolzierten und hin und wieder eine verloren.

Schon das Betrachten dieser außergewöhnlichen Tiere durch die knapp zwei Zentimeter breiten Spalten des hohen Bretterzaunes war für uns etwas Beachtliches. Und wenn dann, aus welchem Grund auch immer, der Wind eine Feder zum Zaun geweht hatte, wollte sie jeder von uns haben. Aber nur wer dreist war und den Zaun überwand, konnte sich eines solchen Besitzes rühmen. Wir Kleinen kamen gar nicht in Frage. Dann, ja dann konnte es passieren, daß man sich so ein wunderschönes Objekt einmal einhandeln konnte. Ein solches Geschäft lief allerdings nie zugunsten von uns Kleinen ab. Aber das vermochten wir nicht so genau einzuschätzen. Was war schließlich schon ein Päckchen Zündplätzchen gegen so eine Feder!

Volle Rinnsteine, in denen wir nach einem sommerlichen Regenguß barfuß wateten, bildeten einen weiteren Höhepunkt unverfälschten Kinderglücks, das außerdem noch ein absolut friedliches Miteinander garantierte.

In gänzlichem Gegensatz dazu standen die winterlichen Schneeballschlachten. Sie waren stark von Partner- und Gegnerschaft geprägt und führten, zwischen verschiedenen Straßengemeinschaften ausgetragen, bisweilen zu regelrechter Feindschaft, die jedoch nicht von Dauer war.

Viel beachtet wurde von uns Kindern auch, ob der beginnende Tag ein Markttag war. Denn dann bereicherten die Bauern der umliegenden Dörfer mit ihren Pferdefuhrwerken das Stadtbild, und darüber freuten sich nicht nur die städtischen Spatzen, sondern auch wir Kinder. Gelang es uns doch bei einigem Bemühen immer wieder, von den Fuhrwerken ein Stück mitgenommen zu werden. Klappte das nicht, hingen wir uns manchmal hinten an.

Gedacht sei auch noch der herrlichen Rodelpartien, zu denen sich die größeren und auch kleineren Kinder an dem langen Abhang zum Strom versammelten. Dort wurde einzeln oder in langer Schlittenkette hinuntergesaust. Bei Juchei und Geschrei. „Bahn frei, Bahn frei!“ hörte man fast unentwegt. Was nichts half, wenn so eine lange Schlange zusammengebundener Schlitten durcheinanderkippte. Doch das, was dabei passierte, war schnell vergessen. Es ging weiter. Und von der Kälte, die herrschte, ließ man sich ebensowenig beeinflussen. Erst auf dem Heimweg wurde einem bewußt, wie sehr die Füße wirklich froren. Aber da tröstete schon der Gedanke an die warme Stube und an den warmen Kachelofen. Und jene Behaglichkeit meint man sogar noch in der Erinnerung zu spüren.


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