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03.11.07 / Schutzlos ausgeliefert? / Europäischer Gerichtshof kippt VW-Gesetz – Gründe und Auswirkungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

Schutzlos ausgeliefert?
Europäischer Gerichtshof kippt VW-Gesetz – Gründe und Auswirkungen
von Hans Heckel

Wird der VW-Konzern, Europas größter Autobauer, nun gar zerschlagen? Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen das „VW-Gesetz“ schießen Spekulationen und bange Ahnungen ins Kraut. Das alte Gesetz von 1960 behindere den freien Kapitalverkehr, urteilten die EU-Richter. Gegenstand ihrer Kritik war das Kernstück des Gesetzes. Es schrieb vor, daß kein Anteilseigner mehr als 20 Prozent der Stimmen in der Hauptversammlung haben dürfe, selbst wenn sein Aktienanteil über 20 Prozent liege. Zudem bestimmte es, daß der Bund und das Land Niedersachsen je zwei der derzeit 20 Aufsichtsratsmitglieder (plus Vorsitzender) stellen dürfen, selbst wenn sie jeder nur eine einzige Aktie besitzen. Der Bund ist seit langem nicht mehr am Konzern beteiligt, Niedersachsen hält 20,75 Prozent von VW und läßt sich durch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und dessen Wirtschafsminister Walter Hirche (FDP) in dem höchsten Aufsichtsgremium des Automobilbauers vertreten. Ein weiterer Punkt des Gesetzes war, daß Produktionsverlagerungen im Aufsichtsrat einer Zweidrittel-Mehrheit bedurften. Faktisch waren diese damit nur unter Zustimmung der Arbeitnehmervertreter möglich.

Gegner des Gesetzes sahen in dem Regelwerk einen Dinosaurier des Protektionismus, der in einer „globalisierten Welt“ nichts mehr zu suchen hatte. Dem hat sich das EuGH angeschlossen. Die Skandale um Korruption und Kungelei sehen sie als Ausfluß des alten Systems VW, das in dem Gesetz ankere. Um Arbeitnehmervertretern notwendige Zustimmungen abzuringen, habe man sie mit Lustreisen und ähnlichem geködert.

Befürworter des VW-Gesetzes stellen zwar Fehlentwicklungen im Konzern nicht in Abrede, weisen jedoch auf eine prekäre Lage hin, in welche die AG geraten könne. Derzeit scheint die Übernahme durch ausländische Konzerne zwar ausgeschlossen: Porsche hält bereits fast 31 Prozent von VW und hat sich bei den Banken eine Kreditlinie in zweistelliger Milliardenhöhe gesichert, um seinen Anteil auf möglicherweise über 50 Prozent zu erhöhen. Porsche selbst ist praktisch noch ein Familienbetrieb der Porsche-Piëch-Dynastie, die derzeit keinerlei Anstalten macht, ihre dominierende Stellung bei Porsche aufzugeben. Da wirkt auf manche Beobachter schon etwas anderes fragwürdig: VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, von 1993 bis 2002 Vorstandsvorsitzender des Konzerns, ist selbst Großaktionär bei Porsche. Daß ein Großkonzern auf Betreiben seines eigenen Aufsichtsratsvorsitzenden quasi dessen eigenem Familienbetrieb einverleibt wird, ist ein in der Geschichte deutscher Konzerne einmaliger Vorgang.

Doch weist das Ende des VW-Gesetzes in seiner bisherigen Form über den speziellen Fall des Wolfsburger Konzerns weit hinaus. Die Fähigkeit eines Konzerns, die Aktienmehrheit eines anderen zu übernehmen, hängt wesentlich mit seiner sogenannten Börsenkapitalisierung zusammen, das heißt: Nicht wieviel ein Betrieb wirklich wert ist, entscheidet, sondern der Wert seiner Aktien. Der steht oft in einem vergleichsweise bizarren Mißverhältnis zu Gewinn, Umsatz und Betriebsvermögen. Gut im Gedächtnis ist auch Laien noch der groteske Aufstieg nahezu wertloser Internetfirmen zu wahren Börsenriesen Ende der 90er Jahre, die sich mit dem Platzen der sogenannten „Internetblase“ Anfang 2000 gleichsam über Nacht in Luft auflösten. Wer an der Börse wieviel wert ist, darüber entscheidet eben die Stimmung der Anleger sehr viel mehr als die tatsächliche Substanz eines Unternehmens. Und gerade deutsche Konzerne schneiden beim Verhältnis ihres substantiellen Werts zu ihrem Börsenwert im internationalen Vergleich meist schlecht ab, anders gesagt: Sie sind an der Börse unterbewertet, was sie zum Übernahmekandidaten macht. Das Übergewicht der Finanzmärkte gegenüber der „Realwirtschaft“ hat damit die alte Regel der Marktwirtschaft, wonach die Ertragslage einer Firma über ihre Zukunft entscheidet, in Teilen außer Kraft gesetzt.

Nicht umsonst beraten auch andere europäische Regierungen wie die deutsche derzeit über gesetzliche Möglichkeiten, in Generationen aufgebaute, gesunde heimische Unternehmen gesetzlich zu schützen vor husarenartigen Übernahmen aus dem Ausland, die nicht selten in der an kurzfristigen Profiten orientierten Ausschlachtung des Betriebs enden. Berüchtigtes Beispiel ist der untergegangene Armaturenhersteller Grohe. Der kerngesunde Betrieb ging durch die Hände gleich mehrerer „Finanzinvestoren“, die das Unternehmen finanziell ausgesaugt haben, bis fast nichts mehr von ihm übrig war.

Auch soll geprüft werden, welche Teile des VW-Gesetzes, das – in weiser Voraussicht? – eben diesen Schutz schon vor 47 Jahren gewährte, gerettet werden können; Teile, die den Konzern weiterhin schützen, ohne gegen EU-Recht zu verstoßen. Gewerkschafter etwa schlagen vor, die Hürde gegen Produktionsverlagerungen (Zweitdrittelmehrheit im Aufsichtsrat) in ein neues VW-Gesetz zu übernehmen.

Hinsichtlich der Zukunft der Volkswagen AG unter dem Dach von Porsche wird derzeit viel spekuliert. Die extremste denkbare Lösung wäre die „Zerschlagung“, das hieße, daß die einzelnen VW-Töchter wie Seat, Skoda, Audi und weitere von VW getrennt und als eigenständige Töchter direkt einer Porsche Holding unterstellt würden.

Foto: David dominiert bei Goliath: Porsche hat jetzt die Macht bei VW.

 

Zeitzeugen

Wendelin Wiedeking – Der promovierte Maschinenbauer ist seit 1992 Vorstandssprecher und seit 1993 sogar Vorstandsvorsitzender der Porsche AG. Dieser Eigenschaft verdankt er, daß er seit 2006 auch Aufsichtsratsmitglied der Volkswagen AG ist.

Ferdinand Piëch – Dem Enkel Ferdinand Porsches werfen Kritiker vor, ein übertriebenes Bedürfnis zu haben, aus dem Schatten seines Großvaters herauszutreten, und deshalb zu tendenziell größenwahnsinnigen Entscheidungen zu neigen. Er war VW-Vorstandsvorsitzender ab 1993 und wechselte 2002 auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden. Daß Bernd Pischetsrieder 2002 sein Nachfolger als Vorsitzender des Vorstandes wurde und diesen Posten schon 2006 / 2007 wieder für Martin Winterkorn räumen mußte, gilt als sein Werk.

Heinrich Nordhoff – Mit dem Käfer als dem Symbol des deutschen „Wirtschaftswunders“ ist keine Name so sehr verbunden wie seiner. Vom Jahre der Einführung der D-Mark bis zu seinem Tode 1968 stand er an der Spitze von VW, erst als Generaldirektor des Volkswagenwerkes, dann als Vorstandsvorsitzender der Aktiengesellschaft. In seine Amtszeit fiel also die Unternehmensumwandlung. Sein Name ist auch deshalb so stark mit dem Käfer verbunden, weil seine Nachfolger sich schnell vom Käfer-Konzept, sprich Heckmotor, Heckantrieb und Luftkühlung, verabschiedeten.

Ferdinand Porsche – Der Autokonstrukteur entwickelte ab 1934 den Käfer. Ab 1938 war er Hauptgeschäftsführer und Aufsichtsratsmitglied der neu gegründeten Volkswagenwerk GmbH. Nach dem Krieg galt sein Engagement den Familienunternehmen Porsche AG und Porsche Holding.

Robert Ley – Der Nationalsozialist wurde nach der „Machtergreifung“ 1933 Leiter des Aktionskomitees zum Schutz der Deutschen Arbeit, dessen Aufgabe die Auflösung und Übernahme der Gewerkschaften war. Das Aktionskomitee wurde wenig später in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) überführt, an deren Spitze Ley bis 1945 stand. Zu den Nebenorganisationen der DAF gehörte auch die „Kraft durch Freude“ (KdF). Nach dieser war der KdF-Wagen benannt.


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