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03.11.07 / Nicht ohne die Betroffenen!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

»Auf ein Wort«
Nicht ohne die Betroffenen!
von Jörg Schönbohm

Jeder, der einen geliebten Menschen verloren hat, weiß um die Bedeutung von Trauer für die Bewältigung des Unfaßbaren. Trauer ist die ursprünglichste und aufrichtigste Form der Erinnerung. Zugleich ist sie die Voraussetzung für eine seelische Läuterung. Nicht ohne Grund steht die Katharsis, also das Durchleben von Unglück und Trauer, im Mittelpunkt der griechischen Tragödie. Die Trauer und die Trauerarbeit sind ein wichtiger Bestandteil unserer abendländischen Kultur.

Um so fataler ist es, daß die Deutschen über 60 Jahre nicht in angemessener Art und Weise jener gedacht haben, die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs deportiert und aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Wer dennoch der Leidensgeschichte der 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen gedachte, wer an die zwei Millionen erinnerte, die auf der Flucht ihr Leben ließen, der galt als Revisionist und Revanchist, der wollte die Geschichte umschreiben oder die Nazi-Verbrechen mit den Verbrechen an den Vertriebenen gleichsetzen.

Daß die Bundesregierung nun – zwei Jahre nachdem sie sich im Koalitionsvertrag über ein „sichtbares Zeichen“ des Gedenkens verständigt hatte – der Errichtung einer Erinnerungsstätte gegen Vertreibung grünes Licht gab, kommt einem Paradigmenwechsel in der deutschen Gedenkkultur gleich. Dies manifestiert sich nicht zuletzt auch darin, daß in der Hauptstadt demnächst ein Denkmal für die deutsche Einheit und ein Ehrenmal für die Gefallenen der Bundeswehr entstehen werden. Diese Gedenkstätten waren längst überfällig. Sie können Orte des Erinnerns werden; für viele Angehörige vielleicht auch Orte des Abschiednehmens, Orte des Trostes.

Für die Überlebenden der Vertreibung bleibt der gewaltsame Exodus bis heute ein traumatisches Erlebnis. Sie verloren alles. Sie verloren ihr Haus, ihre Habseligkeiten, ihre sozialen Bindungen, ihre Traditionen und ihr Brauchtum – in einem Wort: Sie verloren ihre Heimat. Dieser Verlust war für viele Vertriebene schlimmer als die körperlichen Qualen, die sie auf der Flucht erlitten. Heimat ist immer identitätsstiftend – wer gewaltsam seine Heimat verliert, der verliert auch einen Teil seiner Identität, der verliert einen Teil von sich selbst. Um so wichtiger ist es, daß die Gedenkstätte den Überlebenden der Vertreibung einen Platz zugesteht, an dem sie zurückblicken dürfen, an dem sie trauern dürfen.

Die Vertreibung ist und bleibt ein deutsches Schicksalsthema. Darum müssen wir ihrer auch in angemessener Weise gedenken dürfen. Dabei geht es mitnichten darum, aus Tätern Opfer zu machen; es geht auch nicht darum, erlittenes Unrecht gegeneinander aufzurechnen, wie Gegner des Zentrums immer wieder unterstellen. Es geht vielmehr darum, an das Schicksal der Millionen Vertriebenen zu erinnern, an ihr Leid, aber auch an die großartige Leistung, die sie beim Wiederaufbau unseres zerstörten Landes und bei der Versöhnung vollbracht haben. Es geht auch darum, an die Leistung der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu erinnern, der es in bewundernswerter Weise gelang, die Flüchtlingsmassen zu integrieren.

Die Berliner Gedenkstätte, die – was zu begrüßen ist – dem renommierten Deutschen Historischen Museum nachgeordnet sein wird, bietet zudem die Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit auf das Thema „Zwangsmigration“ hinzuweisen und sie für die immer noch aktuelle Problematik zu sensibilisieren. In diesem Zusammenhang ist vor allem der gesamteuropäische Ansatz des geplanten Dokumentationszentrums unterstützenswert, das nicht ausschließlich an die Vertreibung der Deutschen erinnern will, sondern auch die Vertreibungen anderer Völker beziehungsweise Bevölkerungsgruppen in den Blickpunkt rückt. Das Projekt kann hier wertvolle Dienste für die gesellschaftliche und historische Aufarbeitung dieser Thematik leisten. Dabei muß allerdings darauf geachtet werden, daß die Einrichtung nicht auf ihre bloße Informationsfunktion reduziert wird, sondern daß auch der Charakter einer Gedenkstätte gewahrt bleibt.

Das Gelingen des Projekts hängt zu wesentlichen Teilen davon ab, inwiefern die Vertriebenen selber daran beteiligt werden. In allen anderen Bereichen wäre es selbstverständlich, daß die Betroffenen eingebunden werden. Daß Teile der SPD eine angemessene Beteiligung des Bundes der Vertriebenen beziehungsweise seiner Vorsitzenden Erika Steinbach ablehnen, ist rational nicht erklärbar. Der BdV hat in der Vergangenheit überzeugend darlegen können, daß er kein Verein „Ewiggestriger“ ist, sondern daß er zukunftszugewandt ist und für Versöhnung und Ausgleich steht. Ein Zentrum gegen Vertreibungen ohne die Beteiligung des BdV und ohne die Beteiligung seiner Vorsitzenden ist schlichtweg nicht denkbar.

Das Zentrum gegen Vertreibungen ist ein Zentrum gegen das Vergessen; es hält die gemeinsame Erinnerung wach. Doch so wie es als Stätte des Gedenkens in die Vergangenheit weist, so weist es als Stätte der Mahnung auch in die Zukunft: Es fordert uns auf, alles daran zu setzen, daß sich ein solches Schicksal nie mehr wiederholt.

Foto: Eine Flüchtlingskolonne zieht 1945 durch Berlin: Manche verloren ihr Haus im Bombenhagel, andere sogar ihre Heimat.


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