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03.11.07 / Das Märchen von zu wenigen Hochschulabsolventen / Deutschland hat nach einer OECD-Studie zu wenig Studenten, doch die Realität zeigt ein anderes Bild

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

Das Märchen von zu wenigen Hochschulabsolventen
Deutschland hat nach einer OECD-Studie zu wenig Studenten, doch die Realität zeigt ein anderes Bild
von George Turner

Alle Jahre wieder rüffelt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer Vergleichsstudie „Bildung auf einen Blick“ die Bundesrepublik wegen einer angeblich nicht genügend hohen Quote von Hochschulabsolventen. Und immer wieder fallen deutsche Politiker darauf rein, indem sie fordern, mindestens 40 Prozent der relevanten Altersgruppe müßten einen Abschluß erwerben. Als Argument wird der Vergleich mit anderen Nationen bemüht. Dort sei der Anteil der Studierenden pro Jahrgang höher als bei uns. Das ist zwar richtig; dennoch bleibt der Vergleich schief und damit falsch. Die in Bezug genommenen Länder haben in der Regel ein anderes Bildungssystem, bei dem es keine duale Ausbildung gibt. So erhalten zum Beispiel Krankenschwestern und Kräfte, die später in der vorschulischen Erziehung eingesetzt werden, dort eine Hochschulausbildung. Ob die Ergebnisse besser sind als in Deutschland, ist mindestens nicht belegt. Nun kann man auch bei uns fordern, die entsprechenden Berufe zu akademisieren. Würde das umgesetzt, machten wir einen gewaltigen Sprung bei der Quote der Studierenden.

Die eigentlichen Probleme aber blieben. Sie liegen darin, daß für bestimmte Tätigkeiten beziehungsweise Branchen zu wenig Absolventen vorhanden sind. Am augenfälligsten ist dies bei den Ingenieuren. Hier hilft aber auch keine Erhöhung der Quote. Vielmehr wirkt sich aktuell eine über Jahrzehnte dauernde Vernachlässigung naturwissenschaftlicher Fächer in den Schulen aus. Hemmend war nicht nur eine inzwischen wohl weitgehend überwundene Skepsis gegenüber Technik, die sich auch schon mal zur Technikfeindlichkeit steigern konnte. Negativ wirkt sich vor allem aus, wenn die entsprechenden Fächer nicht durchgehend unterrichtet werden. Erscheinen Physik oder Chemie in einem Schuljahr nicht im Lehrplan, darf man sich nicht darüber wundern, daß das Interesse der Schüler dafür entweder nachläßt oder gar nicht erst geweckt wird. In Vergessenheit scheint auch geraten zu sein, daß vor gar nicht so langer Zeit zum Beispiel vor dem Studium der Physik gewarnt wurde. Die plakative Horroraussage lautete: Später würden Physiker entweder Tankwart oder Taxifahrer. Als es den Betrieben der Bauindustrie wirtschaftlich schlecht ging, wurden Bauingenieure reihenweise entlassen; selbst hoch qualifizierte Jung-Akademiker fanden keine Anstellung. Da darf man nicht überrascht sein, wenn der Zulauf zu solchen Studiengängen nachgelassen hat. Die Folge ist dann, getreu dem hinreichend bekannten Schweinezyklus in der Agrarwirtschaft, daß es später an Absolventen fehlt. Krampfhaft wird nun versucht, im Eilverfahren Abhilfe zu schaffen durch Öffnung der Hochschulen für Bewerber ohne förmliche Hochschulreife. In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten für diesen Personenkreis. Seinerzeit ist dies nicht zuletzt auf Betreiben des Handwerks unter dem Motto „Studium auch ohne Abitur“ eingeführt worden. Man sieht jetzt darin vor allem die Chance, dem drohenden Fachkräftemangel an Ingenieuren zu begegnen. Das ist richtig und zeigt erneut, wie Fehler ausgebügelt werden müssen, die eine angeblich fortschrittliche Hochschulreform produziert hat. Bis vor 30 Jahren hatten Absolventen einer beruflichen Ausbildung die Möglichkeit, eine Ingenieurschule zu besuchen. Indem man diese Einrichtungen in Fachhochschulen umbenannt und sie durch das Erfordernis der Fachhochschulreife beziehungsweise des Abiturs beim Zugang aufgemotzt hat, wurde dieser Weg verschlossen. Die Folgen sind zu besichtigen: Die Fachhochschulen versuchen, sich den Universitäten anzunähern (universities of applied sciences) und befähigte Absolventen des dualen Systems gucken in die Röhre. Das ließe sich schnell korrigieren, indem die Zugangsvoraussetzungen zu den Fachhochschulen verändert würden.

Während einzelne Repräsentanten der Universitäten, wie in Berlin,  sich in den Erklärungen überbieten, die Universitäten weiter zu öffnen, gehen die Fachhochschulen auf Tauchstation. Ihnen obläge es, mit konstruktiven Vorschlägen aufzuwarten. So könnten sie belegen, daß es ihnen mit ihrem immer wieder geäußerten Credo „für die Praxis und mit Praktikern“ ernst ist. Statt dessen bleiben sie in Deckung, und zwar aus höchst durchsichtigen Motiven. Würden bei dieser Hochschulart die Zugangsvoraussetzungen im Verhältnis zu den Universitäten verändert, bedeutete dies einen „Rückschlag“ bei dem Bemühen ihrer Lobbyisten, möglichst universitätsgleich zu werden. Dahinter verbirgt sich nicht nur eine Status-, sondern auch eine Frage der Besoldung.

Auch die Universitäten verhalten sich widersprüchlich. Haben ihre Repräsentanten denn vergessen, daß sie noch vor kurzem den hohen Anteil von Studienabbrechern zu beklagen wußten, und zwar weil sie den Anforderungen nicht gewachsen waren. Die fehlende Studierfähigkeit ist immer wieder dann ein Thema, wenn das Niveau von Ausbildung und die hohen Zahlen von im Examen Gescheiterten Schlagzeilen machen. Wie sollen denn angesichts der bereits bestehenden Überlast Kräfte freigesetzt werden, die sich mit speziellen Angeboten um Kandidaten kümmern, die ohne die übliche Hochschulreife aus dem Beruf kommen? Wenn man mehr Studierende an die Hochschulen locken will, dürfen solche Gegebenheiten und daraus abgeleitete Forderungen nicht außer Betracht bleiben.

Das gilt auch für die Chancen der Absolventen. Da gibt es in einigen sozial- und kulturwissenschaftlichen Studiengängen ausgesprochen schlechte Berufschancen. Die Formel von der „Generation Praktikum“ kommt nicht von ungefähr. Es hilft den Betroffenen wenig, wenn erklärt wird, „im Schnitt“ hätten Akademiker insgesamt bessere Gehaltsaussichten und ein geringere Risiko, arbeitslos zu werden. Das mag derzeitig zutreffen, ändert aber nichts an der Tatsache, daß sich Betroffene dafür nichts „kaufen“ können.


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