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03.11.07 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-07 vom 03. November 2007

Indien machen / Was Politiker von Muscheln lernen können, warum die »Seeheimer« so hoch singen, und warum sich Merkel in Delhi so wohl fühlte
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Auf dem Grund der Islandsee haben Forscher eine 410 Jahre alte Muschel entdeckt! Ein so altes Tier hat man noch nie gesehen. Die Wissenschaftler sind außer sich vor Neugier und hoffen, in dem Geschöpf das Geheimnis ewiger Jugend zu finden. Seit 1597 am Leben. Wie macht man das? Die Muschel gibt Antwort, zunächst: Jede Aufregung vermeiden. Die Meeresgreisin rührte sich die ganze Zeit nicht von der Stelle, was sie von jedem nerven- und jahrezehrenden Streß fernhielt. Um sich zu ernähren, wirbelt die Muschel nur ein wenig mit den Wimpern und fächelt sich damit Plankton zu. Das wird dann verdaut und wieder ausgeschieden.

Von der Natur können alle lernen, selbstverständlich auch die Politiker. Die Kernfrage ihrer Existenz ist letztlich die gleiche wie die der Muschel: Wie bleibe ich möglichst lange auf dem Posten?

Die erste Regel, die aus der Tiefsee kommt, lautet also: Nicht bewegen! Deshalb haben die Großkoalitionäre zwei Jahre vor dem nächsten regulären Wahltermin beschlossen, keine Politik mehr zu machen. Statt dessen kriecht jeder zurück in sein Gehäuse und macht ab sofort nur noch Wirbel, um sich Wähler zuzufächeln. Bewegt wird nichts mehr.

Man muschelt sich ein im alten Modder wie dem Arbeitslosengeld I. Bei ihrem Appetit auf vergammelte Ablagerungen verendeter Diskussionen ist der SPD nicht einmal das Tempolimit für Autobahnen zu ranzig.

Das hat vermutlich mit der Eva-Herman-Autobahn-Debatte zu tun. Da konnten die Sozialdemokraten nicht untätig bleiben und mußten etwas unternehmen gegen die historisch belasteten Schnellstraßen. Bislang konnte man sich allerdings nicht einigen, ob die Autobahnen a) von Hitler gebaut wurden, um die Truppen schneller an die Front zu kriegen, oder b) schon lange vor ihm in der Weimarer Zeit geplant worden waren. Meist wird beides auf einmal behauptet. Solche Widersprüche halten historisch-politische Debatten auf zeitgenössischem Niveau problemlos aus.

Mit der Autobahn verbindet sich ein weiteres Feindbild der Linken, das zu Zeiten Gerhard Schröders zwar fast vergessen im Schlick döste, aber keineswegs tot war: der Unternehmer. Der klassische Unternehmer, also Kapitalist, fährt ja immer dicke Autos wie Mercedes oder BMW und am Wochenende Porsche. Diese Schlitten müssen gleich mit weg.

Wie günstig: Mit der Geschwindigkeitsbeschränkung träfe man die deutschen Karossenbauer ins Mark. Die selbst zumindest fürchten das, weil die deutschen Rennpisten für sie so eine Art Referenzstrecke für ihre schnellen Wagen sind. Damit hätte die SPD nicht bloß die Autobahn gebändigt, sondern gleich noch die Fertiger der Ausbeuterkutschen in die Knie gezwungen. Die entlassenen   Daimler- oder BMW-Arbeiter kommen ja dann in den Genuß des verlängerten ALG I. Das hätten sie immerhin der SPD zu verdanken und sind ihr hoffentlich ewig dankbar dafür, hofft Kurt Beck. Sozial ist eben nicht, was Arbeit schafft, sondern, was Stimmen bringt.

Die SPD verbittet sich indes alle Verdächtigungen, sie sei nach links gerückt. Nein, sie hätten sich nur „breiter aufgestellt“, beteuern die Genossen. Männer wissen, daß wertvolle Körperteile ziemlich ungeschützt sind, wenn die Herren zu breitbeinig dastehen. Das, was Peer Steinbrück nach dem Hamburger Parteitag von sich gab, klang denn auch verdächtig schmerzverzerrt. Und haben Sie mal auf den Gesichtsausdruck von Franz Müntefering geachtet?

Einst knarrten die „rechten“ Sozis vom „Seeheimer Kreis“ im sonoren Zigarrenraucherbaß den Marsch vom „gestandenen Sozialdemokraten“ mit „Stallgeruch“, mit Bodenhaftung und dem Sinn fürs Machbare. Nach ihrer Kastrationen zwitschern sie in hohen, hellen Tönen das Lied der Volksbeglückung, das ihnen der linke Flügel getextet hat.

Ein interessantes Bild, ein schönes eigentlich nicht. Für Angela Merkel wäre das nun die ideale Gelegenheit, ihre sozialistischen Koalitionsgenossen das Fürchten zu lehren. Die Christdemokraten müßten bloß ihre eigene Dynamik und Grundsatztreue auspacken und die Roten damit foltern. Leider haben die Schwarzen von diesen Werkzeugen schon lange keinen Gebrauch mehr gemacht, der Schlick der Merkeljahre ruht meterdick auf der einstigen „Wirtschaftspartei“ CDU.

Die Kanzlerin entfaltet sich eben nur im Ausland oder bei internationalen Gipfeltreffen zum wunderbaren Schmetterling, wunderschön anzugucken und von aller Welt bewundert. Auf heimische Herausforderungen angesprochen, hält sie sich lieber an die Weisheiten alter Muscheln.

Aber diese Woche war Indien angesagt. Der Ausflug hat Angela Merkel sichtlich Spaß gemacht: Immerzu über Klimaschutz, Menschenrechte, Entwicklung und Zusammenarbeit reden – das kann sie. Als ein deutscher Journalist auf der Pressekonferenz in Neu-Delhi etwas über die Pendlerpauschale wissen wollte, ranzte ihn die Regierungschefin an: „Nee, jetzt machen wa Indien!“ Indien machen? Klingt fast so, als wäre da vor der Merkel gar nichts gewesen. Aber nein, das hat sie damit natürlich nicht sagen wollen, eher schon: „Na hören Sie mal, ich bin im Urlaub!“ (Ganz nebenbei: Wann machen Sie denn das nächste mal Indien? Schon gebucht?)

Gastgeber Manmohan Singh hat Merkels Besuch ebenfalls genossen. Der 2004 gewählte Staatschef benötigte dringend ein paar Tage Auszeit im Glanz der internationalen Medien. Er steckt nämlich in der Klemme. Beobachter erzählen, die Inder seien der festen Überzeugung, ihr beachtlicher Wirtschaftsaufschwung laufe nicht wegen, sondern trotz Singh. Der Staatschef gilt dabei nur als Symptom der Krise der politischen Klasse in der größten Demokratie der Welt: Ihr mangele es schlicht an Visionen, immer gehe es bloß um den Machterhalt, derweil wichtige Reformen steckenblieben. Angela Merkel verstand sich mit ihren indischen Politikerkollegen auf Anhieb.

Aber nun ist sie zu ihrem Leidwesen wieder zu Hause, und da wartet der Beck mit seinem Chor der Marxisten und Kastraten, um ihr das Leben sauer zu machen. Kaum daß die CDU-Chefin das gemeinsame Koalitionsdomizil betreten hatte, bot sich ihr eine verfängliche Szene: Saarlands SPD-Chef Heiko Maas mit der Linkspartei am Kuscheln! Er hat den Linke-Geschäftsführer Dietmar Bartsch als Grußwort-Überbringer zu seinem Landesparteitag eingeladen. Der ließ sich natürlich nicht zweimal bitten.

Nachdem die Tür aufgegangen war und alle Welt die peinliche Chose sehen konnte, versuchte Maas, den kompromittierenden Buhlen noch eilig in den Schrank der Mißverständnisse zu stopfen: „Es war alles nur ironisch gemeint.“ Die Einladung sei „aus dem Zusammenhang gerissen worden“, ließ Maas seinen Sprecher stottern. Ja, klar doch! Was man bei Ich-lade-Sie-schon-heute-auf-unseren-Landesparteitag-ein,-auf-ein-Grußwort-als-Gast aus dem Zusammenhang reißen kann, das wird er uns sicherlich noch erklären.

Gregor Gysi kann sein neues Glück kaum fassen. Die Rückkehr an die Macht gehe viel schneller, als er es 1990 ahnen konnte, gibt der letzte SED-Chef öffentlich zu. 

Pessimisten sehen schon den Ost-West-Konflikt wieder aufkeimen. Hat der „Ostblock“ nur eine kurze Pause eingelegt? Rußland haben viele westliche Beobachter ja sowieso auf dem Kieker. Allerdings scheint der Kreml, trotz Sowjethymne und Weltkriegsnostalgie, mehr auf ein Zarenreich ohne Krone zuzusteuern als auf einen erneuten Sozialismus. Bei der Wahl seiner Verbündeten ist Putin indes nicht pingelig. Da wäre auch ein Linksblock-Deutschland, das sich mit den USA überworfen hat, hoch willkommen.

Wenn die Moskauer Führung dann in ein paar Jahren zum Freundesbesuch nach Berlin kommt, wird sie aber verblüfft sein, wie groß die DDR in den Jahren der Ostblockpause geworden ist.


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