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10.11.07 / Abrüstung – ein hehres Ziel / Rußland fühlt sich vom Westen getäuscht und droht mit Aufrüstung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-07 vom 10. November 2007

Abrüstung – ein hehres Ziel
Rußland fühlt sich vom Westen getäuscht und droht mit Aufrüstung
von Leo Mayerhöfer

In der Hochzeit des Kalten Krieges verbreitete sich die Erkenntnis, daß der Rüstungswahnsinn die Welt nicht nur an den Rand mehrfacher Zerstörung bringt und die Gefahr eines Krieges erhöht, sondern auch aus wirtschaftlichen Erwägungen irrsinnig ist. Abrüstung und Rüstungskontrolle hieß das Gebot der Stunde. Entsprechende Verträge folgten. Was ist daraus geworden?

Der ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty) von 1972 über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen zwischen den USA und der Sowjetunion gilt als Eckpfeiler des Systems der atomaren Abschreckung. Er untersagt die Entwicklung, Erprobung und Aufstellung von entsprechenden see-, luft- oder weltraumgestützten Abwehrsystemen. Beide Staaten dürfen lediglich ihre Hauptstadt und einige Interkontinentalraketen mit Abfangraketen schützen. Am 13. Juni 2002 traten die USA einseitig vom ABM-Vertrag zurück, nachdem sie – vertragsgemäß – sechs Monate zuvor eine entsprechende Absichtserklärung angekündigt hatten. Hintergrund sind die US-Pläne über ein nationales Raketenabwehrsystem (National Missile Defence / NMD). Diese sehen die Aufstellung von zunächst 100 Abwehrraketen in Alaska vor. Sie sollen feindliche Langstreckenraketen in der Luft zerstören und so die USA gegen Angriffe aus „Schurkenstaaten“ wie Nordkorea und dem Iran schützen. Erforderlich wäre dafür eine Änderung des ABM-Vertrages. Rußland lehnt dies ab.

Nach der Bedrohung Westeuropas durch sowjetische SS-20-Raketen reagierte der Westen mit dem „Nato-Doppelbeschluß“ und der Nachrüstung mit Pershing-II-Raketen. Dies führte zum INF-Vertrag von 1987 zwischen den USA und der UdSSR über die Vernichtung aller Mittelstreckenraketen (Intermediate Range Nuclear Forces). Er wurde ein voller Erfolg, denn hier wurden nicht nur Obergrenzen festgelegt, sondern wirklich ein ganzer Waffentypus komplett abgeschafft, verbunden mit wirksamen Kontrollverfahren. In der Euphorie der Abrüstung verkündete US-Präsident George Bush am 27. September 1991 auch gleich die Beseitigung aller bodengestützten nuklearen Kurzstreckenraketen (SNF), den Abzug aller taktischen atomar bestückten Cruise Missiles auf US-Kriegsschiffen und die drastische Verringerung der Atombomben in westeuropäischen Depots.

START-Verträge hießen jene zur Reduzierung strategischer Atomwaffen (Strategic Arms Reduction Treaty). Im START-I-Vertrag von 1991 verpflichteten sich die USA und die UdSSR, die Bestände an über 5000 Kilometer weit reichenden Raketensystemen um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent zu verringern. Der 1993 zwischen den USA und Rußland geschlossene START-II-Vertrag sieht eine weitere Verringerung der Bestände und den völligen Verzicht auf landgestützte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen vor. Nach dieser bis zum Jahr 2007 geplanten Halbierung blieben den USA noch 3500 und Rußland noch 3000 Atomsprengköpfe. Nach langem Zögern hatte die russische Duma im April 2000 Start II ratifiziert, jedoch unter der Bedingung des Verbleibs der USA im ABM-Vertrag. Die USA kündigten den ABM-Vertrag kurz darauf, so daß START II nie in Kraft getreten ist.

Der SORT-Vertrag vom Mai 2002 ist die Fortsetzung des START-Prozesses. Er dient der Reduzierung strategischer Offensivwaffen (Strategic Offensive Reductions Treaty) und begrenzt die Zahl der einsatzbereiten amerikanischen und russischen Atomsprengköpfe auf je 1700 bis 2200. Allerdings dürfen Sprengköpfe in Reserve gehalten werden. Außerdem sind keine Kontrollen vorgesehen. Das schränkt die Wirksamkeit des Vertrages erheblich ein. Sollten die USA und Rußland ihn nicht verlängern, läuft er 2012 automatisch aus.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vereinbarten Nato und Warschauer Pakt 1990 im Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) Obergrenzen für Panzer, Artillerie und Flugzeuge, die zwischen dem Ural und dem Atlantik stationiert sind. Dies sollte die Gefahr eines Überraschungsangriffs durch einen der beiden Blöcke verringern. Der KSE-Vertrag schuf Vertrauen durch gegenseitige Inspektionen, Überwachungsflüge und die Abrüstung von rund 60000 Waffensystemen. Die Auflösung des Warschauer Paktes, der Zerfall der Sowjetunion sowie die Nato-Osterweiterung machten eine Adaptierung des KSE-Vertrages (AKSE) erforderlich, die die Mitgliedsstaaten 1999 verabredeten.  Doch AKSE trat nie in Kraft: Zwar ratifizierten 2004 die Sowjet-Nachfolger Rußland, Weißrußland, Kasachstan und die Ukraine diesen AKSE-Vertrag. Im Gegensatz dazu setzten die Nato-Staaten den Vertrag bisher jedoch nicht um. Der angegebene Grund ist die Nichterfüllung der sogenannten „Istanbul-Commitments“ durch Rußland, in denen es um den Abzug der russischen Truppen aus Georgien und Moldawien-Transnistrien geht. Das allerdings hat juristisch nichts mit dem AKSE-Vertrag zu tun. Die Verknüpfung wurde vielmehr im Jahr 2000 in Florenz von der Nato einseitig aus Protest gegen den von Rußland geführten Zweiten Tschetschenienkrieg beschlossen. Rußland lehnt diese Argumentation der Nato-Staaten ab. Es hat sich mittlerweile mit Georgien auf einen Stationierungsvertrag und einen Abzugsplan bis 2008 geeinigt und zu großen Teilen umgesetzt. In Moldawien sind rund 500 Soldaten zur Bewachung eines sehr großen Depots stationiert, das die Russen nicht unbeaufsichtigt lassen wollen.

Washington plant ein nach Osten ausgerichtetes US-Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien zu errichten, das angeblich iranische Flugkörper frühzeitig in der Luft abfangen soll. Vor diesem Hintergrund drohte Rußlands Präsident Vladimir Putin nicht nur mit der Kündigung des INF-Vertrages und der Produktion neuer atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen, sondern setzte zum 12. Dezember 2007 auch Rußlands Verpflichtungen aus dem KSE-Vertrag aus. Das wirtschaftlich wieder erstarkte Rußland fühlt sich vom Westen düpiert und glaubt, sich mit militärischen Drohgebärden Respekt zu verschaffen. Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer jedenfalls äußert „ernste Besorgnis“. Und Putin vergleicht die angespannte Situation mit der Kubakrise 1962, bei der die Welt ganz knapp vor einem Atomkrieg stand.

In Washington freilich will man davon nichts wissen und verweist auf die „rein defensive Ausrichtung“ des Raketenschutzschildes einzig gegen „Schurkenstaaten“. In Europa indes dämmert es, daß der ewige Friede vielleicht nur ein Traum ist. Klar ist: Gelingt es den Europäern nicht, den Machtkampf zwischen den USA und Rußland zu deeskalieren, so hieße der Verlierer eindeutig Europa. Angesichts einer neuen, nicht unerheblichen Bedrohung durch Rußland wäre die EU auf den atomaren Schutzschirm und die konventionellen Fähigkeiten der US-Streitkräfte in einem Ausmaß angewiesen, daß von einer eigenständigen europäischen Verteidigungspolitik keine Rede mehr sein kann.

 

Die Rüstungskontrollverträge: Vom Atomtest-Stopp zur Minen-Ächtung

Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (Non-Proliferation Treaty / NPT): Die offiziellen Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA verpflichteten sich 1968, keine Nuklearwaffen weiterzugeben und zugleich auf deren Abschaffung hinzuarbeiten. Im Gegenzug verzichteten die übrigen Länder auf eigene Atomwaffen. Da Länder mit eigenem Nuklearwaffenprogramm wie Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea nicht oder nicht mehr Mitglied sind und die offiziellen Atommächte ihre Abrüstungsverpflichtungen nicht ernstnehmen, ist die Wirksamkeit des NPT zweifelhaft.

Atomteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty / CTBT): Seit 1996 haben 169 Staaten den CTBT unterzeichnet, 106 Länder ratifiziert. Rechtlich bindend wird der Vertrag erst, wenn ihm alle 44 Staaten, die Atomenergie nutzen, also auch Atomwaffen herstellen könnten, beigetreten sind. Noch haben die Atommächte Indien, Pakistan und Nordkorea den Vertrag nicht unterschrieben. China und Israel wollen ihn vorerst nicht ratifizieren – ebenso wie die USA. Weiteren Atomwaffentests steht also völkerrechtlich nichts im Wege.

Biowaffen-Konvention (Biological Weapons Convention / BWC): Biologische Waffen sind seit 1972 durch die BWC verboten. Allerdings läßt sich nicht überprüfen, ob die 148 Mitgliedsstaaten wirklich keine Biowaffen entwickeln, produzieren oder besitzen. Die US-Regierung ließ 2001 die Verhandlungen über ein Verifikationsprotokoll kurz vor Abschluß scheitern. Zudem erlaubt die BWC, Abwehrmaßnahmen gegen Biowaffen zu entwickeln, was sich in der Praxis von offensiver Forschung kaum unterscheiden läßt. Die wachsende Geheimhaltung der hier führenden Länder USA und Rußland läßt das Vertrauen in die Wirksamkeit des Biowaffenverbots schwinden.

Chemiewaffen-Konvention (Chemical Weapons Convention / CWC): Entwicklung, Produktion und Besitz von Chemiewaffen verbietet die CWC von 1993. Die ebenfalls vorgeschriebene Vernichtung schon existierender Bestände kommt in Rußland und den USA aber nur langsam voran. Die „Organisation für das Verbot Chemischer Waffen“ in Den Haag inspiziert regelmäßig Chemiewaffenlager und Industriebetriebe. In Verdachtsfällen darf sie unangemeldete Inspektionen durchführen. Die angestrebte Ächtung der Chemiewaffen erschweren vor allem Länder im Nahen Osten, die vermutlich geheime C-Waffen-Programme betreiben, aber auch Rußland und die USA: Letztere unterwerfen sich nur teilweise einer Kontrolle und forschen außerdem an „nichttödlichen Chemiewaffen“, wodurch eine neues Wettrüsten droht.

Vertrag zur Ächtung besonders grausamer Waffen („UN-Waffenkonvention“): Der Vertrag zur Ächtung besonders grausamer Waffen von 1981 schließt einige Lücken im Kriegsvölkerrecht. Die UN-Waffenkonvention verbietet den Einsatz bestimmter Splittergeschosse sowie von Brandwaffen, blind machenden Lasern und einigen Minentypen. Dennoch setzen die US-Streitkräfte Streubomben und Munition aus abgereichertem Uran in aktuellen Konflikten ein.

Abkommen zum Verbot von Anti-Personen-Minen (Ottawa-Vertrag): Der Ottawa-Vertrag verbietet Herstellung, Produktion, Einsatz und Weitergabe von Anti-Personen-Minen. Die Vertragsstaaten verpflichteten sich 1997 zudem, alte Minenbestände zu vernichten, bereits gelegte Minen zu räumen und Minenopfern zu helfen. Dieser humanitäre Ansatz wird aber geschwächt durch die ablehnende Haltung von Staaten wie China, Rußland und den USA, die nicht auf Anti-Personen-Minen verzichten wollen und dem Vertrag bisher fernbleiben. Ein generelles Verbot sämtlicher Minentypen – insbesondere von Panzerabwehrminen – ist bislang gescheitert.

Foto: Putin rüstet wieder auf: Während Deutschland 1,5 Milliarden Euro zahlt, um die Vernichtung alter chemischer und atomarer Waffen vor allem in Rußland zu beschleunigen, kippt der Kreml-Chef jegliche Abrüstungs-Pläne.


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