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10.11.07 / Auf Eis gelegt / Privatisierung der Bahn: Mit dem SPD-Vorschlag verhärten sich die Fronten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-07 vom 10. November 2007

Auf Eis gelegt
Privatisierung der Bahn: Mit dem SPD-Vorschlag verhärten sich die Fronten
von Hans Heckel

Für Hartmut Mehdorn kam wirklich alles Unheil auf einmal: Ein Streik wie jener der Lokführer ist so ziemlich das letzte, was die Bahn AG angesichts des erträumten Börsengangs gebrauchen kann. Der Ausstand ist wie gemacht, um mögliche milliardenschwere Investoren davon zu überzeugen, ihr Geld lieber nicht in Mehdorns Konzern zu stecken – schlimm genug für den Bahn-Chef. Doch es kam noch schlimmer, und zwar vom SPD-Parteitag: Damit nicht ein oder mehrere Großinvestoren bei dem Unternehmen das Heft in die Hand bekommen, sollen bei einem Börsengang nur sogenannte „Vorzugsaktien“ ausgegeben werden, beschlossen die SPD-Delegierten. Was nach privilegierten Anteilen klingt, bedeutet das genaue Gegenteil: Mit den „Vorzugsaktien“ wird kein Stimmrecht erworben, das erlangt man bloß über den Erwerb von „Stammaktien“. Investoren bei der Bahn würden also an Gewinnen beteiligt, zu sagen aber hätten sie nichts, wenn es nach den Sozialdemokraten geht. Das soll die Bahn vor Ausbeutung durch ausländische „Heuschrecken“-Fonds schützen.

Kanzlerin Angela Merkel hat dem Bahnchef Berichten zufolge mitgeteilt, daß mit dem SPD-Beschluß die Bahnprivatisierung in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu machen sei. Mehdorn steht vor einem Trümmerhaufen.

Dies um so mehr, als mit der Forderung nach den „Volksaktien“ nur ein weiterer Bremsklotz in den Weg zu einer Einigung im Streit um die Zukunft der Deutschen Bahn gelegt wurde. Ungelöst ist auch die Frage, was alles privatisiert werden soll. Für Hartmut Mehdorn ein klarer Fall: alle fünf Tochterunternehmen, die in der zweiten Stufe der Bahnreform ab 1999 unter dem Dach der Bahn AG gebildet wurden. Das wären: DB Fernverkehr, DB Regio (Nahverkehr) und Railion (Güterverkehr) sowie DB Netz (zuständig für das Schienennetz) und DB Station und Service (Bahnhöfe).

Das angestrebte System ist im Grunde simpel: Wenn der Zugverkehr nach einer Privatisierung in anderen Händen landet als das Netz und die Bahnhöfe, über die der Verkehr läuft, dann zahlen die Verkehrsbetriebe den Netz- und Bahnhofsbetreibern eine Gebühr, mit welcher diese ihre Einrichtungen in Schuß halten oder ausbauen.

Kritiker der kompletten Bahn-Privatisierung, darunter vor allem Politiker der SPD und die streikende Gewerkschaft der Lokführer GDL sowie die Konkurrenz-Gewerkschaft Transnet, fordern indes, daß allein die Verkehrsbetriebe, also Nah-, Fern- und Güterverkehr an die Börse gehen. Netz- und Bahnhofsbetrieb sollten unter staatlicher Kontrolle bleiben.

Die Opponenten der Netzprivatisierung fürchten nämlich, daß rein renditeorientierte Konzerne oder Finanzinvestoren weniger rentable Strecken schnell stillegen könnten. Bahnbetrieb aber gehöre zu den Aufgaben der Grundversorgung. Der Nutzen einer Bahnstrecke könne nicht nur darin ermessen werden, ob die jeweilige Trasse für sich genommen ihrem Eigentümer Gewinne bringe. Bau oder Weiterbetrieb einer Strecke müsse vielmehr unter gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkten bewertet werden.

So ist es in der Tat denkbar, daß eine Linie an sich Verluste macht und dennoch für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region sehr wichtig ist. Der Staat – also Bund, Länder und Gemeinden – profitieren über die Steuereinnahmen nicht nur vom Betrieb auf der betreffenden Bahnstrecke, sondern von der wirtschaftlichen Leistung der Region insgesamt. Ein privater Netzbetreiber aber wäre gezwungen, allein mit den Einnahmen aus dem Schienennetz seinen Schnitt zu machen und muß entsprechend anders rechnen. Gern verweisen die Befürworter eines weiterhin staatlichen Schienennetzes auf die Autobahnen: Keine Autobahn sei an sich gewinnbringend. Erst der gesamtwirtschaftliche Nutzen eines intakten und weitverzweigten Schnellstraßennetzes mache den Gewinn aus.

Zudem fürchten die Gegner der Netzprivatisierung, daß einzelne starke Netzbetreiber, die gleichzeitig auch Züge unterhielten, andere, zumal kleinere Verkehrsunternehmen benachteiligen könnten, auch wenn Chancengleichheit im Gesetz verankert sei.

Schließlich verweisen Warner auf die nationalen Interessen: Was, wenn staatliche, also politisch gelenkte ausländische Unternehmen Teile des deutschen Schienennetzes unter ihre Kontrolle bringen und es zu Konkurrenz- oder gar Krisensituationen zwischen Deutschland und diesem Land kommt?

Die Befürworter der kompletten Bahnprivatisierung samt Netz halten dem entgegen, daß die Bahn ohne Netze für Investoren kaum interessant wäre. Dann müßte der deutsche Steuerzahler die Kosten, die demnächst fällig würden für nötige Investitionen ins Netz, allein schultern. Der private Weiterbetrieb bestimmter Strecken, die im öffentlichen Interesse lägen, könnte ohnehin vertraglich festgezurrt werden.

Ein Entscheidung über die strittigen Fragen ist in naher Zukunft nicht zu erwarten. Nach dem SPD-Parteitagsbeschluß zur „Volksaktie“ will die Bundesregierung die Privatisierungspläne offenbar auf Eis legen und zunächst weiter aus staatlichen Mitteln in die Bahn investieren, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern, das sich im Verkehrsbetrieb ohnehin längst mit einer Fülle privater und halbprivater Mitbewerber messen muß.

Foto: Angst vor Privatisierung: Werden kleine Bahnhöfe noch angefahren?

 

Zeitzeugen

Helmuth Graf von Moltke – Der preußische Generalstabschef lebte von 1800 bis 1891. Seine großen Erfolge in den drei Einigungskriegen sind zum Teil auf die Nutzung moderner technischer Hilfsmittel wie Telegraf und Eisenbahn zurückzuführen.

Heinz Dürr – Der gelernte Stahlbauschlosser und studierte Maschinenbauingenieur wurde 1933 in Stuttgart geboren. Der Vorstandsvorsitzende des AEG-Konzerns war ab 1991 Präsident der Deutschen Bundesbahn und Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn. In seine Amtszeit fällt die Zusammenführung und Privatisierung der beiden deutschen Staatsbahnen zur Deutschen Bahn AG im Jahre 1994, deren erster Vorstandsvorsitzender er wurde und bis 1997 blieb. Er ist Großaktionär der Stuttgarter Dürr AG.

Hartmut Mehdorn – Der studierte Maschinenbauingenieur kam 1942 in Warschau zur Welt. Bevor er 1999 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG wurde, ist er Assistent des Betriebsleiters bei Focke-Wulf, Werksleiter in Bremen, Vorstand für Produktion von Airbus Industrie, Leiter bei MBB Transport- und Verkehrsflugzeuge, Mitglied der Geschäftsführung von MBB, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Airbus GmbH, Vorstandsmitglied der Deutschen Aerospace AG und Vorstandsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG, die er 1997 an die Börse brachte, gewesen.

August Borsig – Der deutsche Unternehmer lebte von 1804 bis 1854. 1836 gründete er in Berlin die Borsigwerke. Das Maschinenbauunternehmen wurde bis 1872 zum größten Lokomotivlieferanten Europas und zweitgrößten der Welt. Nur Baldwin Locomotive Works war größer.

George M. Pullman – Der Erfinder und Industrielle lebte von 1831 bis 1897 in den USA. Er meldete 1863 den von ihm entwickelten Schlafwagen „Pionier“ zum Patent an und gründete 1867 für dessen Produktion die Pullman Palace Car Company. Seine Schlafwagen kosteten das Fünffache üblicher, waren im Gegensatz zu diesen aber komfortabel und luxuriös. Die Überführung des Leichnams Abraham Lincolns in einem seiner Wagen machte diese zum Verkaufsschlager.


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