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10.11.07 / Villa Kunterbunt oder Flickwerk? / Von Patchwork- und Großfamilien / Das bleibt in der Familie (Folge III)

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-07 vom 10. November 2007

Villa Kunterbunt oder Flickwerk?
Von Patchwork- und Großfamilien / Das bleibt in der Familie (Folge III)
von Klaus J. Groth

Bieder und brav, das ist der Stempel, welcher der traditionellen Familie aufgedrückt wird. Sie entspricht zwar noch überwiegend den Wünschen junger Menschen, aber tonangebend ist sie nicht mehr. Vieles hat heute unter dem Dach des Sammelbegriffs „Familie“ Platz. Nachdem wir in der vorausgegangenen Folge die traditionelle Familie und die Ein-Eltern-Familie vorstellten, heute nun die Patchwork-Familie und die Großfamilie.

Patchwork-Familie. Die Bezeichnung klingt nach „Villa Kunterbunt“ und damit fröhlich. So geht es in der Patchwork-Familie aber nicht unbedingt zu. Der Begriff ist von ähnlich falscher Romantik, wie es Multikulti war. Er verschleiert die Probleme, die sich aus zusammengewürfelten Beziehungen ergeben. Denn im Sinne des Wortes bedeutet Patchwork nichts anderes als Flickwerk. Das klingt schon weniger romantisch. Bevor der Begriff Patchwork-Familie erfunden wurde, bezeichnete man solche Familien auch als Stieffamilien, mit Stiefmutter oder Stiefvater und Stiefkindern. Auch das ist eine Bezeichnung, die nicht unbedingt positiv geprägt ist. Die böse Stiefmutter aus dem Märchen ist ebenso langlebig wie das Märchen von der bösen Schwiegermutter.

Immerhin, bereits 15 Prozent aller Familien mit Kindern in Deutschland sind Patchwork-Familien, und gerade diese Form des Zusammenlebens hat erhebliches Zuwachspotential. Denn die Formel „bis daß der Tod Euch scheidet …“ ist für viele zur Leerformel geworden. Wenn die Liebe erkaltet, sieht man sich nach einer neuen um. Eine Scheidung  ist nicht mehr mit Makel belegt. Zwangsläufig entstehen immer mehr Restfamilien, deren Bruchstücke zu neuen Familien zueinanderstreben.

Welche handelnden Personen eine Patchwork-Familie ausmachen, läßt sich nicht eindeutig festlegen. Jedenfalls sind es mehrere, die ursprünglich nicht zusammen gehörten, aber zueinander fanden. Wie bei einem Flickenteppich setzen sich diese Familien aus den restlichen Bestandteilen früherer Familien zusammen. Die Eltern, die nicht unbedingt miteinander verheiratet sein müssen, haben Kinder aus früheren Partnerschaften mitgebracht. Hinzu kommen ein oder mehrere Kinder aus der aktuellen Partnerschaft. Gelegentlich bestehen zudem noch enge Kontakte zu den ehemaligen Partnern.

Kreuz und quer verlaufen die Beziehungslinien in der Patchwork-Familie, Probleme sind somit unumgänglich. Die Kinder leiden unter dem Trennungsschmerz von dem leiblichen Vater (oder der Mutter), der neue Vater (oder Mutter) wird (noch) nicht anerkannt, die Stiefgeschwister werden als Konkurrenz angesehen. Das alles bedeutet Streß, nicht nur für die Kinder, auch für die Erwachsenen. Idylle sieht anders aus.

Dieser Streß macht die Patchwork-Familie anfällig. Haltbarkeit und Dauer sind begrenzt – nicht in jedem Fall, aber auffällig häufig. Die Scheidungsquote bei Stieffamilien liegt bei 50 Prozent, bei nicht verheirateten Paaren liegt die Quote der Trennungen sogar noch höher.

In den gescheiterten Beziehungen ist es nicht gelungen, den hinzu gekommenen Elternteil in die bereits bestehende Restfamilie zu integrieren. Häufig sind die Kinder Ursache des Scheiterns. Sie lehnen die neue Mutter oder den Vater ab und zeigen dies mehr oder weniger offen. Das belastet die Liebe unter den Erwachsenen, bis es schließlich zum Bruch kommt.

Besser sind die Aussichten für eine dauerhafte Beziehung, wenn die Stiefmutter oder der Stiefvater von den Kindern akzeptiert wird. Vielfach besteht dann kein Kontakt mehr zu der leiblichen Mutter oder dem leiblichen Vater.

Als besonders stabil haben sich Beziehungen erwiesen, die ohne Groll auf den verflossenen Partner bestehen. In solchen Fällen wird der Kontakt zu dem früheren Partner bewußt aufrechterhalten, für die Kinder kommt es nicht zum vollständigen Bruch zu dem getrennt lebenden Elternteil. Das erleichtert es den Kindern, den neu in die Familie gekommenen Erwachsenen als „Freundin“ oder „Freund“ zu sehen.

Finanziell steht die Patchwork-Familie der traditionellen Kernfamilie nicht nach. Auch die Zufriedenheit der Partner ist durchaus vergleichbar, solange das Zusammenleben funktioniert. Dabei geben bei Umfragen verheiratete Paare in Patchwork-Familien häufiger an, sie seien mit ihrer Partnerschaft zufrieden, als es unverheiratete Paare tun. 

Pädagogen versichern zwar, in der Patchwork-Familie werde den Kindern „soziale Kompetenz“ besser vermittelt, aber der Preis dafür ist hoch.

Rechtlich ist diese Familienform ebenfalls Patchwork. Will der neue Partner auch für die Kinder aus der früheren Verbindung Verantwortung übernehmen, muß das Sorgerecht beantragt und genehmigt werden.

Wenn die Patchwork-Mütter und -Väter auch den Anspruch erheben, sie lebten in „der neuen Familie“ schlechthin, das Leben der zweiten, dritten oder vierten Chance sei die Form der Beziehung der Zukunft, bleiben doch landläufig Zweifel. Allgemein herrscht die Ansicht vor, diese Form des Zusammenlebens sei nur zweite Wahl, häufig nichts als eine Notlösung. Auf der Wunschliste junger Menschen steht Patchwork jedenfalls nicht. Da bleibt es Flickwerk.

Großfamilie. Sie hat Seltenheitswert, die Großfamilie. Auch auf dem Lande, wo sie einst typisch war. Städte waren für die Großfamilie ohnehin nie etwas. Dort paßt es nicht, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben. Denn Großfamilie braucht vor allem eines: sehr viel Platz. So viel Platz, daß man sich auch mal aus dem Wege gehen kann.

Typischerweise sieht diese Familie so aus: Eltern mit vielen Kindern samt Großeltern und gelegentlich auch mal einem versprengten Großonkel an einer gemeinsamen Adresse. In Ausnahmefällen können sogar Tanten und Onkel samt deren Kindern hinzukommen.

Große Familienverbände waren meist eine Zweckgemeinschaft, weshalb sie im bäuerlichen Bereich häufiger anzutreffen waren. Dort wurde jede helfende Hand benötigt. Diese Notwendigkeit besteht heute nicht mehr. Dennoch ist Arbeitsteilung weiterhin kennzeichnend: Die Großmutter hütet die Enkel, während die Tochter das Essen auch für die ältere Generation kocht, die größeren Kinder erledigen die Einkäufe – auch für den versprengten Großonkel. Der Generationenvertrag funktioniert dort auch ohne Vertrag.

Ein hohes Maß an Toleranz ist allerdings Voraussetzung für jedes Mitglied der Großfamilie. Dennoch ist es gut, wenn man sich nicht allzu sehr auf die Pelle rückt. Man lebt zwar gemeinsam, aber nach Möglichkeit jede Generation, jeder einzelne Familienverband in einem eigenen separaten Wohnbereich.

In der nächsten Folge lesen Sie: So wild ist die Wilde Ehe auch nicht/ Von „Dinks“ und nicht verheirateten Paaren

 

Familienmenschen

Angelina Jolie (* 4. Juni 1975 in Los Angeles, Kalifornien) Schauspielerin (drei Golden Globes, ein Oscar), Sonderbotschafterin für das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR). Häufig wird sie als eine der schönsten Frauen der Welt beschrieben. Jolie lebt in dritter Ehe. Sie ist von den Schauspielern Jonny Lee Miller und Billy Bob Thornton geschieden. Augenblicklich lebt sie mit dem Schauspieler Brad Pitt zusammen. Jolie und Pitt adoptierten drei Kinder, Maddox, Pax und Zahara. Zudem haben sie ein leibliches Kind, Shiloh.

Regine Hildebrandt (* 26. April 1941 in Berlin als Regine Radischewski; † 26. November 2001 in Woltersdorf bei Berlin), Politikerin, Biologin. Aufgewachsen in der DDR, wurde ihr anfangs das Studium verweigert, da sie nicht in der FDJ war. Später allerdings promovierte sie über den Frauen-Förderplan. Während des Umbruchs in der DDR wurde sie Mitglied in der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“. 1989 trat sie der SPD bei. Der ersten frei gewählten Regierung der DDR gehörte sie als Ministerin für Arbeit und Soziales an. Mit gleicher Aufgabenstellung gehörte sie ab Herbst 1990 der brandenburgischen Landesregierung an. 1997 erfüllte sich für die an Krebs erkrankte Regine Hildebrandt ein großer Traum: Auf einem 1500 Quadratmeter großen Grundstück am Woltersdorfer See bezog die Familie ein zweistöckiges Haus mit fünf Wohnungen. Daß die Generationen miteinander leben statt getrennt, davon hatte Regine Hildebrandt geschwärmt. Aber erst die Krankheit bewegte die Kinder, den Wunsch der Mutter zu erfüllen. 2001 erlag Regine Hildebrandt ihrem Krebsleiden. Die Familie aber blieb zusammen: Witwer Jörg Hildebrandt mit Bruder, Tochter und Neffe, mit Enkeln und seiner 92jährigen Mutter unter einem Dach. Seine Erfahrungen faßte Jörg Hildebrandt so zusammen: Das Haus sei keine Insel der Seligen. Es gebe auch hier den üblichen Familienzoff. Es brauche eine ordentliche Portion guten Willens, Rücksichtnahme sowieso und die Fähigkeit, auch mal großzügig über Störendes hinwegzusehen. Offenbar ist alles das vorhanden.

RTL II. „Zwei Waschmaschinen laufen ständig auf Hochtouren, auf dem Herd dampfen vier Kilo Kartoffeln, zwölf hungrige Münder wollen gefüttert werden. Horror in Reinform für die normale Hausfrau – Alltag pur für Deutschlands größte Familien“. So beschrieb der Fernsehsender RTL II seine Serie „XXL – Abenteuer Großfamilie“, die 2003 erstmals ausgestrahlt wurde. Weiter hieß es im Ankündigungstext: „Die statistisch auf 1,7 Kinder abgerundete Familie ist Durchschnitt, aber es gibt sie noch: die Großfamilie. ,XXL – Abenteuer Großfamilie‘ zeigt die einzelnen Familienmitglieder, zehn Familien mit all ihren Hoffnungen und Träumen, die kleinen und großen Katastrophen und Erfolge, ob der erste Kuß der 14jährigen Tochter, oder die erste gewonnene Schulhof-Schlägerei des Sohnes.“

Foto: Drei Generationen unter einem Dach: Das passiert heute fast nur noch bei Familienfeiern wie Weihnachten.


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