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17.11.07 / Schengen: Gemischte Gefühle / Ab 21. Dezember keine Kontrollen mehr an der Oder-Grenze – freie Fahrt für Kriminelle?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-07 vom 17. November 2007

Schengen: Gemischte Gefühle
Ab 21. Dezember keine Kontrollen mehr an der Oder-Grenze – freie Fahrt für Kriminelle?
von Markus Schleusener

Florian H. (26) und Carl-Cesar K. (23) haben ihr Auto auf der bundesdeutschen Seite geparkt. Dann sind sie zu Fuß rüber auf die Ostseite von Frankfurt/Oder. „Weil es so doch schneller geht.“

Als die beiden Stunden später auf der Autobahn zurück nach Berlin unterwegs sind, da stoppt sie plötzlich der Zoll, der an der Grenze nichts von ihnen wissen wollte. Die Beamten leuchten mit Lampen ins Fahrzeug, lassen sich Personalpapiere aushändigen. „Waren Sie in Polen? Haben Sie zollfreie Ware eingekauft?“ Da die beiden nur die zulässige Menge bei sich führen, dürfen sie nach ein paar Minuten weiterfahren. (An der deutsch-holländischen Grenze wird in solchen Situationen regelmäßig nach Konsum oder Erwerb von Haschisch gefragt.)

So ist es heute schon: Grenzkontrollen finden im Hinterland statt – und nicht wie bislang an der „richtigen“ Grenze. Und gerade jugendlich wirkende Grenzgänger müssen damit rechnen, vom Zoll „rausgekellt“ zu werden, wie es die Ordnungshüter auszudrücken pflegen. „Verdachtsunabhängige Kontrolle“ lautet das Zauberwort, über das sich Florian H. und Carl-Cesar K. sehr geärgert haben. „Was ist das ganze Gerede über offene Grenzen wert, wenn wir dann wie Kriminelle kontrolliert werden?“ fragt einer der beiden empört.

Am 21. Dezember fallen auch die letzten offiziellen Kontrollen. Dann nämlich treten die 2004 in die EU aufgenommenen Mitglieder außer Zypern (also Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Malta und Slowenien) dem Schengen-Abkommen bei, und die Kontrolleure stellen ihre Arbeit ein, jedenfalls die an der Grenze. Die verdachtsunabhängige Überprüfung ist damit nicht vom Tisch, wenngleich das Personal dafür in Brandenburg drastisch reduziert wird.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gab sich erfreut, der Wegfall der Grenzkontrollen sei für Länder, die jahrzehntelang hinter dem Eisernen Vorhang gelebt hätten, von hoher psychologischer und politischer Bedeutung. Doch nicht alle sehen dem Termin so optimistisch entgegen wie der CDU-Politiker. Lars Wendland von der Polizeigewerkschaft GdP in Frankfurt/Oder befürchtet zunehmende Kriminalität nach dem Wegfall der Grenzkontrollen. Wendland behauptet, daß im kommenden Jahr 850 der 2100 Stellen der Bundespolizei in Brandenburg wegfallen – wegen der Reform der Bundespolizei.

Ab dem 21. Dezember könne man aus Polen über die Brücke nach Deutschland kommen, in einem Geschäft stehlen und ungehindert zurückkehren, so Wendland. Demnach wäre die Grenzöffnung so etwas wie ein Weihnachtsgeschenk für Kriminelle. Und mehr noch: „Polnische Grenzschützer signalisierten uns bereits, daß Flüchtlinge in Polen nur darauf warten, sich nach Deutschland abzusetzen“, berichtet der Gewerkschafter weiter.

Dennoch wird der Kontrollapparat an der Grenze Brandenburg-Polen zusammengestutzt. In Bayern dagegen werden all die bisherigen Grenzer für die verdachtunabhängigen Kontrollen im Hinterland der Grenze eingesetzt. Österreich setzt an der tschechischen Grenze gar sein Bundesheer ein.

Die Angst vor der osteuropäischen Kriminalität ist nach wie vor groß im Raum Berlin/Brandenburg. Immer wieder gibt es Fälle wie den von Horst S. Der neue Polo des Berliners wurde gestohlen und auf halbem Weg zur Oder „ausgeschlachtet“ vorgefunden. Der Verdacht: Osteuropäische Banden haben die wertvollen Ersatzteile entnommen, um sie – als Schrott deklariert – unerkannt nach Lettland oder Weißrußland zu bringen.

Können sich die Deutschen also mitfreuen, wenn Angela Merkel drei Tage vor Heiligabend die Abschaffung der Kontrollen mit den üblichen Europa-Reden feiern läßt? Die Kanzlerin wird wohl persönlich dabei sein, wenn der symbolische Akt vollzogen wird.

Ist es zulässig, sich über die Maueröffnung zu freuen und die Grenzöffnung nach Osten kritisch zu beäugen? Zwei Tage vor dem jüngsten Jubiläum des Mauerfalls empfing das „Checkpoint Charlie“-Museum in Berlin einen Ehrengast aus dem Diplomatischen Korps. Rudolf Jindrák, seit knapp einem Jahr der Botschafter Tschechiens in Berlin, sprach über den Wegfall der Grenzen in Europa. Mit großem Interesse verfolgten die geladenen Gäste, darunter Kollegen Jindráks wie die Vertreterin Afghanistans oder Politikerinnen wie die geborene Danzigerin Hanna Renate Laurien (Ex-Schulsenatorin, CDU), den Vortrag des Diplomaten.

Jindrák erinnerte in seiner Rede an die Ausreise von DDR-Flüchtlingen via Prager Botschaft und sagte: „Wir waren von der freien Welt getrennt durch einen Eisernen Vorhang. Das kann ein Zeitzeuge niemals vergessen.“ Jindrák war damals 23 Jahre alt.

Der Zusammenbruch des Kommunismus sei ein Wunder gewesen, führte er weiter aus. Auch deswegen habe der bevorstehende Wegfall der Kontrollen am Jahresende für ihn „persönlich eine sehr starke symbolische Bedeutung, mehr noch als der EU-Beitritt 2004“.

Diese EU-Erweiterung vor drei Jahren war ebenfalls von Befürchtungen begleitet. Die meisten davon haben sich nicht bewahrheitet. Ob die Vorteile der endgültigen Grenzöffnung am Ende dieses Jahres die Nachteile überwiegen, wird sich erst noch zeigen.

Wenn Bundesinnenminister Schäuble nächste Woche nach Frankfurt an der Oder kommt, um sich über die Lage vor Ort zu informieren, dann will ihn die Polizeigewerkschaft mit einer großen Demo erwarten.

Foto: „Flüchtlinge in Polen warten nur darauf, sich nach Deutschland abzusetzen“: Grenzkontrolle bei Schwedt


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